Gehen Sie wählen?

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Jan-Otto Weber /

Reichstag

Stellen Sie sich vor es ist Bundestagswahl und keiner geht hin. Tut ja auch keiner, meinen Sie? Weit gefehlt. Zumindest, wenn man von unserer Umfrage ausgeht, die wir am vergangenen Donnerstag auf der Zeil durchgeführt haben. Entgegen unseren Erwartungen antworteten erstaunlich wenige Menschen (etwa jeder 15.) mit "Nein" auf die Frage "Gehen Sie zur Bundestagswahl?" Ja, klar, werden Sie jetzt einwenden, wer outet sich schon gerne als Nichtwähler? Dagegen könnte man anführen, dass Passanten wohl eher mit "Nein" auf Ansprachen in der Fußgängerzone antworten, um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden. Über die methodischen Schwächen unseres Vorgehens ließe sich wohl noch einiges mutmaßen. Doch ich möchte lieber noch auf eine andere Besonderheit hinweisen, die mir bei der Befragung aufgefallen ist. Nämlich auf die große Anzahl von Ausländern, die schon seit langer Zeit in Deutschland leben und auch gerne das Wahlrecht hätten, jedoch nicht unter der Voraussetzung, ihre Staatsbürgerschaft abgeben zu müssen.

"Ich bin was ich bin", so ein spanischer Rentner, der schon seit den 70er-Jahren in Deutschland lebt. "Ich fühle mich als Spanier, warum sollte ich also einen deutschen Pass haben?" Für ihn ist es egal, wo man lebt und welche Staatsangehörigkeit man hat, "hauptsache man benimmt sich anständig, am Besten noch ein bisschen besser, als die Einheimischen". Von der Politik ist er enttäuscht. "Nach dem Franco-Regime habe ich große Hoffnungen gehabt. Aber heute ist die Korruption in Spanien noch genauso schlimm wie früher." 40 Jahre lang ist er in der Gewerkschaft, hat für soziale Rechte gekämpft. Er selbst hat als Fünfjähriger Kühe gehütet, um zum Auskommen der Familie beizutragen. Auch seinen Sohn hat er so erzogen, dass er zu schätzen weiß, was er hat. "Ich bin mit ihm viel gereist, nach Afrika, Lateinamerika und Asien. Ich hoffe, dass er diese Erfahrungen an seine Kinder weitergeben kann."

Eine Dame aus Slowenien, seit vierzig Jahren in Deutschland, vermisst die politische Kultur früherer Zeiten. "Der Herr Westerwelle ist eigentlich ein kluger und freundlicher Mann. Aber wie die FDP über die Linkspartei schimpft, das gehört sich einfach nicht", tadelt sie. "Unser Land könnte drei Obamas gebrauchen. Es fehlen die Visionäre." Auch sie würde gerne wählen gehn und die Opposition gegen die bürgerlichen Parteien stärken, wenn sie dürfte.

Dass man in Deutschland keine doppelte Staatsbürgerschaft haben kann, bedauert auch ein etwa 40-jähriger Kroate. "Wo ist da der Sinn? Warum darf ich nicht in dem Land wählen, in dem ich lebe, die Politik mitbestimmen, die mein Leben beeinflusst?" Deutscher werden möchte er deshalb aber nicht. "Ich lebe gerne hier. Ich habe Arbeit und bin mit einer deutschen Frau verheiratet. Aber im Herzen bin ich Kroate."

Dass es Leute gibt, die nicht zur Wahl gehen, ist für einen 30-jährigen Kubaner unbegreiflich. "Ich komme aus einer Diktatur. Die Menschen, die nicht wählen gehen, wissen nicht, was es bedeutet, diese Freiheit zu haben." Er selbst hofft darauf, dass er bei der nächsten Wahl dabei sein kann. Wenn er bis dahin die Einbürgerung geschafft hat.


Fragen zur doppelten Staatsbürgerschaft beantwortet das Bundesinnenministerium hier im Internet. Mehr zu unserer Umfrage und zur Bundestagswahl lesen Sie im kommenden JOURNAL FRANKFURT, ab 29. September am Kiosk.


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