Das Sandmännchen ist da!

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Ab sofort sollte man nur noch abends ins Museum für Kommunikation gehen. Denn die neueste Ausstellung, die dort zu sehen ist, könnte vor allem bei Kindern einschläfernd wirken. Nicht etwa, weil sie langweilig ist – ganz im Gegenteil!




Vielmehr könnte die Auseinandersetzung mit dem Thema den Kleinen den Schlaf in die Augen treiben, denn immerhin bringt der Protagonist der Ausstellung seit fast 50 Jahren Abendruhe in die deutschen Familien. Die Rede ist vom Sandmännchen. Gestern Abend wurde die Ausstellung feierlich eröffnet. Eine Vielzahl von Kindern erfüllte den Saal mit einer Geräuschkulisse, während ein Chor „Mr. Sandman“, den Song von den Chordettes aus dem Jahre 1954, zum Besten gab – besser als mit einer Hymne auf den Helden der Träume kann man einen solchen Abend nicht einleiten. Mit ebensoviel Hingabe ist auch die Ausstellung zusammengestellt. Es werden vor allem Kinder auf ihre Kosten kommen. Während im ersten Obergeschoss die Ausstellung mit vielen bunten und bewegten Bildern aufwartet und auch die Möglichkeit bietet, selbst eine kurze Episode zu drehen, gibt es im Foyer unzählige Merchandise-Produkte rund um das Sandmännchen zu kaufen: Neben Spielzeug sind auch Schokolade, Fruchtgummi und sogar Überraschungseier der TV-Ikone gewidmet. Wer noch kein Fan ist, wird es spätestens nach einem Besuch im Museum.





Das Sandmännchen ist in Deutschland eine etablierte Erziehungsinstanz: Unzählige Eltern schulden ihm Dankbarkeit für seine beruhigende Wirkung, die er auf unruhige Kinder ausübt. Kinder, die gerade vor dem Zubettgehen zu Hochtouren auflaufen, bekommen zehn Minuten lang eine Geschichte erzählt, gerahmt von einer Sequenz aus dem Alltag des Sandmanns, und siehe da: Aus den Tobsüchtigen werden gefügige Schäfchenzähler. Der widerspenstigen Zähmung – dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen sei dank. Das Sandmännchen führt zu einer Ritualisierung des Alltags. Diese täglichen zehn Minuten, von 18.50 Uhr bis 19 Uhr, sind Garant für einen ruhigen Abend. Und wehe, wenn nicht! Als das Sandmännchen im Kinderkanal zu laufen begann und dort die Sendezeit auch nach 19 Uhr noch weiterging, brach ein Sturm der Entrüstung über die Sendeanstalt herein: Die bloße Tatsache, dass die Gutenachtgeschichte nicht mehr das Ende des Abends bildete, machte die Funktion des Konzepts für viele Eltern zunichte. Der Sandmännchen-Trick braucht auch seine Rahmenbedingungen.





Nächstes Jahr feiert das Sandmännchen sein Fünfzigstes. Damit gehört das Format zu den erfolgreichsten des deutschen Fernsehens – nur die Tagesschau läuft länger. Die Geschichte des Sandmännchens ist damit auch ein Stück deutsch-deutscher Geschichte. Zunächst begann es im Osten, als Rahmen für den sogenannten „Abendgruß“. Flog das Sandmännchen zuerst noch mit einem Heißluftballon ein, bereitete die Zensur diesem Fortbewegungsmittel ein Ende, als man befürchtete, dass die DDR-Flüchtlinge sich von dem Schlafbringer inspirieren lassen könnten. Der Westen kopierte das Format, doch zunächst nur mit mäßigem Erfolg. Trotzdem brachte es das Sandmännchen sogar zu regionalen Ausgaben: So ließ es der Hessische Rundfunk sogar über den Dächern Frankfurts fliegen. Nach der Wende drohte mit dem Zusammenbruch der DDR-Sendeanstalten auch dem Sandmännchen aus dem Osten das Aus. Schließlich aber war es ebendieses, das sich nach dem Mauerfall durchsetzte und noch bis heute Bestand hat. Neben dem Ampelmännchen ist es eine der letzten ostdeutschen Ikonen, die sich gehalten haben und in das kulturelle Gedächtnis des vereinigten Deutschlands eingegangen ist.





Das alles und noch viel mehr kann im Museum für Kommunikation erfahren. Neben Originalrequisiten der Produktion kann man sich auch viele Episoden des Sandmännchens ansehen. Die Aufstellung gibt Aufschluss über den Wandel der Puppe mit Ziegenbart und auch über die Entstehung des Sandmann-Mythos als Schlafbringer. So wird man daran erinnert, dass der Sandmann in der Traditionsgeschichte nicht immer das Sandmännchen war, das heute Kinder kennen und lieben. In E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ von 1817 heißt es über ihn: „Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen wollen, und wirft ihnen Hände voll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.“ In einem Animationsfilm aus dem Jahre 1991 kann man sich eine Vision dieses bösen Sandmanns ansehen. Dieses Exponat sollte jedoch lieber nur den Eltern vorbehalten bleiben, weshalb es auch so angebracht ist, dass Kinder es nicht erreichen können.



Bei der Eröffnungsfeier gab "Sendung mit der Maus"-Moderator Ralph Caspers Auskunft darüber, was es mit dem Sand in den Augen auf sich hat: Es handelt sich lediglich um eine vertrocknete Augenflüssigkeit. So viel zum Thema Desillusionierung. Der Sandmann ist eben doch nur ein Mythos wie der Nikolaus – wenn auch ein sehr wirkungsvoller. Bei der Direktübertragung des Sandmännchens im Museum konnte man hören, wie leise es plötzlich wurde, sobald die Titelmelodie erklang und sich die Kinder mit ihren Eltern gleichermaßen gefesselt das Programm ansahen. Das Rezept funktioniert noch immer wie vor 50 Jahren.





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