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Ärztlicher Bereitschaftsdienst

Einsatz in vier Wänden

Krankheiten richten sich nicht nach Sprechzeiten. Deshalb gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Frankfurt. Auf Elf-Stunden-Schicht mit Doktor Messemer.
Blaulicht an, rote Ampeln werden ignoriert. Mit Tatütata geht es durch die Frankfurter Innenstadt. Ein Notfall. Dirk Messemer und Nico Alix müssen sich beeilen. Seit gerade einmal zehn Minuten sind sie im Einsatz für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Dirk Messemer ist Allgemeinmediziner mit einer eigenen Praxis in Bockenheim. Nico Alix ist an diesem Abend sein Fahrer und Rettungsassistent. In dieser Nacht leisten sie Hilfe, elf Stunden am Stück.

Während Alix den Kombi mit dem Fuß auf dem Gas durch die nächtlichen Straßen lenkt, liegen Messemers Hände ganz ruhig auf seinem Schoß, auf den Lippen ein Lächeln. Der Bereitschaftsarzt hat eine lange Erfahrung, schon während des Studiums war der 44-Jährige auf Schichten wie dieser. Vor einem Mehrfamilienhaus im Westend parkt Alix den Wagen am Straßenrand, steigt aus und holt einen schwarzen Hausarztkoffer und einen kleinen, mobilen Drucker aus dem Kofferraum. „Wenn die Leitstelle keinen Notarzt frei hat oder es sich um einen Grauzonen-Fall handelt, springen wir ein“, erklärt Messemer und drückt die Klingel. Der Türöffner summt. Mit schnellen Schritten laufen wir die Stufen hinauf bis in den sechsten Stock. Fatma Yagiz* steht schon in der Wohnungstür, eine kleine Frau, die uns aufgeregt in den einzigen Raum der Wohnung führt. In der einen Ecke türmen sich Mülltüten. Der Esstisch quillt mit Bergen von Papier über. In einem Krankenbett sitzt ein abgemagerter Mann ohne Zähne. Ein Nachbar hat den Arzt gerufen. Denn Fatma Yagız spricht kein Deutsch. Auch ihr 88-jähriger Mann nicht, um den sie sich sorgt. Aggressiv sei er, wolle nicht schlafen, so die Informationen aus der Einsatzzentrale. Messemer überprüft seine Reflexe. Er macht die Übungen vor. Der Patient macht sie nach. Stirn runzeln, Zunge herausstrecken – alles funktioniert. Fehlalarm. Doch kein Schlaganfall. „Alte Menschen haben manchmal ein gestörtes Tag-Nacht-Bild. Dann schlafen sie tagsüber und sind abends fit. Das hat die Frau einfach falsch interpretiert“, so der Arzt. Währenddessen beschäftigt sich Nico Alix mit der Abrechnung. Alles muss seine Ordnung haben. Er versucht Frau Yagız verständlich zu machen, dass er die Krankenkassenkarte und zehn Euro braucht. Die Karte wird in das mobile Lesegerät gesteckt. Doch der Drucker streikt. Für die restliche Nacht heißt es dann: Formulare per Hand ausfüllen. Dirk Messemer Laune sinkt.

Zurück im Auto. Nico Alix sagt: „Beim Notdienst hat man mit Menschen zu tun, die man sonst nie treffen würde. In kürzester Zeit bekommt man einen Einblick in die verschiedensten Lebensverhältnisse.“ Und diese könnten oftmals schlimm sein, ergänzt Messemer: „Aber das zeigt immer wieder, wie gut es einem selbst doch geht. Und ich erlebe die Patienten auch mal in ihrer häuslichen Umgebung. Das ist was ganz anderes, als bei mir in der Praxis.“ Bevor er sich mit seiner Frau vor einem Jahr niederließ, war er Anästhesist im Krankenhaus. „Doch auf Dauer war das nicht mit dem Familienleben zu vereinbaren“, sagt der Vater von drei Kindern.

Das Funkgerät knistert, der nächste Fall: Im evangelischen Hospiz sind zwei Menschen verstorben. Nico Alix weiß, wo er hin muss. Ein Navigationsgerät braucht er nicht, um von Einsatzort zu Einsatzort zu kommen.

Auf dem Hof des Hospizes dröhnt der Bass, im Nachbargebäude ist gerade eine Party in vollem Gange. Jugendliche tanzen und lachen. Die Krankenpflegerin öffnet die gläserne Eingangstür, ihr Blick ist nicht ernst, sie lächelt sogar: „Draußen tobt das Leben, drinnen wird man mit dem Tod konfrontiert“, sagt sie. „Das ist halt der Kreislauf des Lebens“, meint Messemer. Im Flur steht auf einem Holztisch eine Keramikschale mit zwei brennenden Kerzen. „Die zünden wir immer für die Verstorbenen an.“ Wir steigen eine Holztreppe hinauf. Auch vor den Zimmern der Toten brennen Kerzen. Daneben liegt ein rosafarbener Zettel, auf den Verwandte und Freunde ihre Wünsche und Gedanken notieren können. Später kommt er in ein Gedenkbuch in der Hauskapelle.

Was folgt ist Routine. In den Zimmern wird der Tod festgestellt, werden Formulare ausgefüllt, Totenscheine unterschrieben. Das war’s. Dann geht’s zurück zum Wagen. „Husten, Schnupfen, Heiserkeit, das gehört zu meinem Geschäft“, sagt der Allgemeinmediziner. „Aber die letzten Wünsche eines Menschen zu erfüllen und seinen letzten Weg zu begleiten, das ist etwas Besonderes.“ Das sei, sagt er, mehr als nur „technischer Papierkram“, mit dem er sich im Bereitschaftsdienst auseinandersetzen muss. Deswegen lässt sich Dirk Messemer zum Palliativmediziner ausbilden. „Es ist mir wichtig, mich intensiv um die Patienten, die eine unheilbare Krankheit haben, zu kümmern. “

Der Mann aus der Einsatzzentrale meldet sich. „Eine ältere Dame ist zuhause hingefallen, hat eine Schürfwunde am Arm und nimmt blutverdünnendes Mittel.“ Es folgt die Adresse – auch per SMS damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Dirk Messemer schnallt sich an. In einer ruhigen, gepflegten Wohngegend in Bergen-Enkheim halten wir an. Messemer schnappt sich die blaue Laptoptasche mit dem Drucker, Alix trägt den Ärztekoffer. Eilig haben sie es nicht. In gemächlichen Gang geht’s zur Haustür. Dort empfängt uns bereits eine kleine, gebrechlich wirkende Frau im Bademantel. Laufen fällt ihr schwer. Sie hakt sich bei Nico Alix unter. Im Wohnzimmer angekommen lässt sich Elsa Rühl* erstmal auf ihren Sessel fallen. Alix‘ erster Handgriff geht zur Fernbedienung. Er stellt das Gerät aus und sucht mit seinen Augen die Wohnung ab. In einem Korb entdeckt er den Plan eines Pflegedienstes. Zwei Mal am Tag komme jemand vorbei, sagt Frau Rühl. „Immer jemand anders! Das gefällt mir gar nicht.“ An den Wänden hängen Ölgemälde mit Hirschen, auf der Kommode aus dunklem Holz stehen Bilder der Kinder und Enkel. Große Teppiche, die auch schon bessere Tage gesehen haben, liegen auf dem Fußboden. „Sind Sie über einen der Teppiche gefallen?“, fragt der Mediziner. Frau Rühl nickt. „Im Krankenhaus haben wir immer gesagt: Der Teppich kommt vor dem Sturz“, scherzt Messemer. Sie lacht. Dann hilft der Arzt ihr aus dem Bademantel, hebt vorsichtig ihren zierlichen Arm, entfernt den provisorischen Verband und inspiziert die Wunde. Der Arzt öffnet seinen Hausarztkoffer. Allerlei Spritzen, Ampullen, Tabletten, Tropfen, Handschuhe kommen zum Vorschein. Natürlich auch Mullbinden und Pflaster. Er legt Frau Rühl einen neuen Verband an. Im Auto wird Dirk Messemer später sagen: „Die leisen Töne zwischen den Zeilen der Patienten sind oftmals wichtiger als der medizinische Notfall. Viele leben in Einsamkeit und die hat viele Gesichter. Aber das war eines, das noch lächelt.“

* Name von der Redaktion geändert
 
19. Juli 2011, 12.12 Uhr
Julia Lorenz
 
 
Fotogalerie:
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