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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Wir haben viele Fragen

"Die Bundestagswahl scheint komplett aus der Zeit gefallen zu sein. Der Wahlkampf ist zum Erliegen gekommen." Meint zumindest unsere Kolumnistin Ana Marija Milkovic.
Der herrschenden Klasse ist das Talent verloren gegangen, glaubwürdig Politik zu machen. Zitate wie "Man müsse keine Fünf in Mathe erben" sind neben anderen Dummheiten der neue liberale Geist auf den Wahlplakaten der FDP. Das beleidigt unsere Intelligenz. Die FDP geht in ihrem Wahlprogramm davon aus, dass die Geburt unseren Platz in der Gesellschaft nicht definiert. Wer Didier Eribon liest („Rückkehr nach Reims“) wird eines Besseren belehrt. Das Buch ist autobiographisch geschrieben. Der französische Soziologe erklärt, wie er seine durch die Geburt in das Arbeitermilieu von Reims vorgegebene gesellschaftliche Demarkationslinie überschritten hat. Bestehende gesellschaftliche Normen werden in das Bewusstsein von Menschen eingeschrieben, so Eribon. Er sagt, dass die schulische Selektion sich heute zwar verändert hat. Letztlich bleiben die herrschenden Strukturen aber bestehen.

Eribon verwendet in seinem Buch sehr häufig die Begriffe Herrschende und Beherrschte. Diese Begriffe kommen in unserem Bundestagswahlkampf nicht vor. Die neoliberale Bewegung hat es weltweit geschafft, den Menschen den Glauben einzupflanzen, dass zukünftig keiner mehr einer Klasse angehören muss, wenn der Einzelne nur damit begänne, mehr Verantwortung für sich zu tragen. Beherrscht zu sein, galt fortan sprachlich als antiquiert, ohne dass der eigentliche Zustand beseitigt worden wäre. Damit verschwand zugunsten weniger Profiteure eine Klasse und ihre Sprache. Zurück bleiben Millionen Einzelpersonen, die über ihr Konsumverhalten den Mehrwert der Gesellschaft erschaffen, als käme es nur auf die dumpfe Maximalrendite von Investoren an. In diesem Zusammenhang mag es nur logisch sein, wenn Asylanten von Herrschenden als Investition begriffen werden, als Arbeitskräfte der Zukunft. Ob sie in dieser Gesellschaft allerdings eine Chance haben, sei einmal dahingestellt.

Hier teilt sich die Spreu von Weizen. Eine fehlende Zugehörigkeit zu einer Klasse artikuliert sich fast selbstverständlich in einer wachsenden Fremdenfeindlichkeit. Die Opposition liegt für viele heute greifbar rechts. Die klassische Einteilung in Arbeiter, Beamte und Angestellte ist im Neoliberalismus verlorengegangen. Die Kinder von Arbeitern, die dem Glauben aufgesessen waren, sie hätten die Zugangsschranken im Bildungswesen überwunden, stellen so Eribon häufig fest, dass das Erreichte mittlerweile seinen Wert verloren hat. Kostenpflichtige Privat- und Eliteschulen dienen dem Erhalt der Herrschenden und der Pflege Ihrer Netzwerke. Konkurrenz und soziale Selektion werden ausschließlich den unteren Gesellschaftsgruppen zugedacht. Der Abstand, so Eribon, zwischen Herrschenden und Beherrschten bleibt weiterhin konstant! Die Wahlbeteiligung sinkt. Das Fernsehen lädt zum Erhalt des Status Quo in seine Talkshows ein. Die Moderatoren stellen die falschen Fragen. Umso erfrischender der Azubi Alexander Jorde, der Angela Merkel kritisch zu den katastrophalen Zuständen in der Krankenpflege befragt. Die Kanzlerin antwortet, es würde nicht alles perfekt werden können, aber in zwei Jahren wäre schon einiges getan. Jorge glaubt im Gegensatz zu den Profi-Moderatoren nicht daran: sie sei immerhin 12 Jahre an der Macht und hätte bis dato nichts getan!

Was ist eigentlich in den vergangenen zwölf Jahren passiert außer Bankenrettung und Flüchtlingskrise? Wie hat sich unsere Gesellschaft entwickelt? Wie stellen wir uns den zukünftigen Herausforderungen einer Digitalisierung, die die klassischen Arbeiter ersetzen wird? Wie werden künftige Generationen zusammen leben? Wir haben viele Fragen. Didier Eribon sagt: "Und wenn es Diskurse und Theorien sind, die uns als politische Subjekte konstituieren, liegt es dann nicht an uns, solche zu entwickeln, die es uns gestatten, keinen Aspekt zu vernachlässigen, keinen Bereich und kein Register der Unterdrückung aus dem Feld der Wahrnehmung und Handlung auszuschließen, keine Zuschreibung von Minderwertigkeit und keine durch Beleidigungen hervorgerufene Form von Scham..." Freunde: aufwachen! Es gibt viel zu tun!
 
15. September 2017, 11.54 Uhr
Ana Marija Milkovic
 
 
Fotogalerie:
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