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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Engagieren Sie sich!

Unsere Kolumnistin schreibt: "Die Diskussionen um Griechenland machen mich betroffen. Ich habe an der Griechenlanddebatte verstanden, was uns in Deutschland fehlt: Ein Kulturwandel."
Ich erinnere mich. Vor zwei Jahren ungefähr fragte ich einen Deutschen, gebürtigen Serben, in geschäftsführender Position eines weltweit agierenden Unternehmens, warum er die Sozialdemokraten wählt? Ich fragte ihn, ob er die Umverteilung des Geldes nicht kritisch sieht? Er verneinte, denn für ihn kommt es hauptsächlich auf seine eigene Zahlungsfähigkeit an.

Heute erinnere ich mich an das Gespräch, da viele Griechen nicht zahlen können. Die Hälfte der Bevölkerung ist aus diesem Grund nicht krankenversichert. Die Jugend, die Berufstätigen sowie die Alten verlieren Perspektiven und Sicherheiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Vielzahl von Ihnen, liebe Leser, nicht ermessen kann, was das in diesem Zeitraffer bedeutet. Als gebürtige Jugoslawin weiß ich davon zu berichten, wie eine andauernde wirtschaftliche Depression Menschen zusehends verändert und zerstören kann.

Wir haben im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten (und darauf waren wir einmal stolz) unsere Marktwirtschaft sozial getauft. Zwischenzeitlich ist das Kind in den Brunnen gefallen. Sozial bedeutet heute Politikern vorrangig die Möglichkeit zu erhalten, Gelder zu verteilen. Gerne verteilen Politiker dabei das Geld des Mittelstandes. An die „Oberen Zehntausend“ wagen sie sich nicht. Wir kennen das: Es brächte im Ergebnis wenig. So in Berlin. So in Athen.

Sozial ist eine Eigenschaft, die aber nicht nur monetär zu betrachten ist. Sozial ist vor allem der persönliche Umgang miteinander. Sozial bedeutet, den Protagonisten der bürgerlichen Gesellschaft Chancen und Perspektiven zu ermöglichen Ihr Leben frei zu gestalten. Sozial bedeutet deswegen auch, scheitern zu dürfen. Wenn wir nicht scheitern dürfen, fällt es den Menschen schwer ins Risiko zu gehen. Vom Risiko lebt die soziale Marktwirtschaft. Zu Ende gedacht bedeutet sozial auch, erhobenen Hauptes scheitern zu dürfen. Auch in Griechenland.

In Deutschland hat sich eine Kultur des Denkens und Handelns durchgesetzt, in der Scheitern ein Makel bleibt. Jene, die abstürzen, drängen wir an den urbanen Rand. Dort dürfen Sie sich Ihren Abstieg leisten. Nicht nur in Griechenland. Soziales Leben bedarf aus der gesellschaftlichen Perspektive somit nicht der gegenseitigen (Ein)Sicht und Perspektiven sondern der Zuteilung. Neue Perspektiven eröffnen sich aber durch Nähe, durch Horizonte, durch heterogene Strukturen, die uns aktiv am Leben des anderen Teil haben lassen. Das wäre für mich das Bild eines kulturell vereinten Europas. Bildung schien der Schlüssel dafür zu sein.

Mittlerweile ist die Bildung redundant wichtig, vorrangig werden Strukturen erhalten oder erweitert. So auch Institutionen in Europa. Vernachlässigt wird dabei das didaktische, kulturelle Programm, das uns an einen gesellschaftlichen Vertrag bindet. Dabei sollten Inhalte die Strukturen bestimmen und nicht etwa umgekehrt. Diametral dazu sprießen Auflagen in Europa aus dem Boden, die nicht logisch kohärent aufgearbeitet sind. Dabei sollten die Auflagen helfen, unser Geld zu sichern. Das Geld landet auch in Immobilienfonds, die geldpolitisch nicht aber kulturell bewertet sind. Deswegen geht es heute nicht nur der IVG, aber auch Ihrem Rentenanspruch schlecht. Was wäre aber, wenn der Markt besser zu gestalten ist?

Es wird den Köpfen mit neuen Ideen so ergehen wie Varoufakis und Tsipras. Mit Betroffenheit lese ich das Interview im Neuen Deutschland mit dem aus der griechischen Regierung ausgeschiedenen Finanzminister a. D. Varoufakis. Er beschreibt eine Situation, in der es in Gesprächen mit europäischen Partnern obsolet ist, ob vorgetragene Argumente analytisch, logisch kohärent aufgearbeitet sind, da eine vollkommene Verweigerung der Gesprächspartner besteht, sich darauf einzulassen.

Da kommt es gut, dass wir in Deutschland stolz auf unsere Handelsüberschüsse blicken. Nur, weder Vertreter der Politik noch der Presse erklären uns gerne die geldpolitische Bedeutung von diesen Überschüssen. Ich recherchiere deswegen auf eigene Faust, dass nach dem Krieg die Währungsordnung in festen Wechselkursen an Gold gebunden war. Dieses feste Wechselkurssystem wurde Bretton-Woods genannt. Als Deutsche in den 70er-Jahren Handelsüberschüsse erzielten, die zu einem Erstarken der Deutschen Mark führten, drosselte noch Kanzler Kiesinger die Leistung durch Besteuerung der Exporte. Heute, da das Bretton-Woods-System zusammengebrochen und Geldpolitik nicht mehr an feste Goldreserven gebunden ist, scheint der Spekulation kein Einhalt geboten. Handelsüberschüsse sind im Gegensatz zur deutschen Mark im Euro kein Problem, jedenfalls nicht für uns Deutsche. Nur, wessen Problem sind sie dann?

Ich bin keine Ökonomin. Ich kann Ihnen aber versichern, dass vieles was heute entsteht, unsinnig ist, weil es zu aufwendig und an der Gesellschaft vorbei geplant ist. Was uns fehlt sind Politiker mit Visionen, die in der Lage sind Potentiale zu entfalten und einen gesellschaftlichen Entwurf aufzubereiten, der nicht von Lobbyisten vorbereitet ist. Unsere Rente wird unter den Einfluss von Lobbyisten weder sicher, noch bauen wir erwiesenermaßen ökologisch. Wir planen und bauen planwirtschaftlich.

In Griechenland waren die Menschen ganz nah dran, durch ihre Stimme etwas zu bewegen. Wann hatten Sie bitte sehr das letzte mal dieses Gefühl als Sie zur Wahl gingen? Wenn Griechen heute gescheitert sind, dann auch an uns, deren Reallöhne seit 1991 nicht mehr gestiegen sind und die wir warten, dass es schon wieder aufwärts gehen wird. Das wird es aber erst, wenn es einer Mehrheit so schlecht geht wie in Griechenland. Dann ist es zu spät. Alter Spruch: Am deutschen Wesen mag die Welt genesen.

Ich hoffe doch nicht. Engagieren Sie sich!
 
16. Juli 2015, 14.44 Uhr
Ana Marija Milkovic
 
 
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