Die hessischen Tatorte mit Ulrich Tukur fallen ja immer besonders aus. „Wer bin ich?“ fiel besonders aus der Rolle. Darum haben wir ihn nicht wie sonst auf der heimischen Couch gesehen, sondern im Theater Alte Brücke. Ein großes Erlebnis.
Nicole Brevoord /
Das Theater Alte Brücke in Sachsenhausen ist recht klein und plüschig, mit geblümten Wänden und lauschiger Beleuchtung. Sieben Stuhlreihen müssen reichen und die sind an diesem Sonntagabend schon kurz nach 20 Uhr voll. Das ist, so Theaterleiter Alexander Beck, bei hessischen und Frankfurter Tatorten wohl häufiger so. Immer Sonntags lädt das Theater in der Kleinen Brückenstraße zum Public Viewing, es wird der Tatort an die Wand gebeamt, zur Not auch der Polizeiruf 110 (Achtung, es gibt eine kleine Urlaubs-Pause zwischen dem 1.1. und dem 17.1.). Wir haben gehört der hessische Tatort mit Ulrich Tukur soll mal wieder an Skurrilität nicht zu überbieten sein, also suchen wir uns auch einen ausgefallenen Ort, um den Film zu schauen. Vorher decken wir uns wie die anderen mit Getränken, Nüsschen und Chips an der Bar ein. Kaum beginnt der legendäre Vorspann mit den Augen im Fadenkreuz, verstummt das Gemurmel im Saal, es ist mucksmäuschenstill. Ganze vier Minuten glauben wir, der Krimi ist so wie so oft. Ein Kommissar wird zum Fundort einer Leiche gerufen, doch diesmal ist alles anders. Und das Schöne: Das Publikum im Theater geht so richtig mit. Als die vermeintliche Kofferraumleiche mit dem Gewicht am Büffet auftaucht, erschallt erstmals das Gelächter, das nun den ganzen Abend immer wieder das Theater erfüllt – selten wird so viel beim Tatortgucken gelacht, halten wir erstaunt fest, nicht mal bei dem aus Münster. Wir lassen uns von der ausgelassenen Stimmung im Saal anstecken, vielleicht auch deshalb kommt es uns gar in den Sinn, dass man diesen Tatort-im-Tatort nicht mögen kann mit seinen vielen Querschlägen auf den hr und das Frankfurter Ermittlerduo sowie den geschassten Leipziger Ermittler, brillant gespielt von Martin Wuttke.
In „Wer bin ich?“ kommt nicht Felix Murot vom LKA zum Ermitteln, nein der Schauspieler Ulrich Tukur gerät höchst selbst in das Fadenkreuz der unbeholfenen Kommissare, denn er soll den Aufnahmeleiter der Dreharbeiten zum Tatort auf dem Gewissen haben. Doch Tukur erinnert sich an nichts, findet aber das Geld, das der Aufnahmeleiter am Abend seines Todes im Kasino in Bad Homburg gewonnen hatte in seinem Hotelzimmer. Es wird eng. Was folgt ist eine satirische Tatortnabelschau, die Eitelkeiten, Eifersüchteleien (herrlich: Margarita Broich und Wolfram Koch) und fehlende Kollegialität ebenso zeigt, wie den mit seinen holzvertäfelten Wänden dargestellten, leicht staubig wirkenden Hessischen Rundfunk samt Kantine und Biergulasch. All das hat Charme, das Ende dann verwirrt komplett. Da hat sich doch wirklich die Rolle des Felix Murot verselbständigt, will ein eigenes Leben und lässt dabei den Schauspieler gegen die Wand rennen.
Im Theatersaal ist die einhellige Meinung „genial!“, während auf Facebook gemeckert wird, der Film sei Zeit- und Gebührenverschwendung. Ein Pärchen aus Freiburg hatte jedenfalls einen schönen Abend beim Tatort-Public Viewing. Sie hätten das in der Heimat nie geschafft und bei ihrem Besuch in Frankfurt hätten sie nach einer Möglichkeit den Krimi in einer Kneipe oder so zu gucken gesucht. Eine Zuschauerin erklärt uns den Reiz des öffentlichen Tatortschauens: „Die Alternative wäre alleine mit dicken Socken und nem Kamillentee auf der Couch zu hocken. Das ist doch langweilig!“
Theaterleiter Alexander Beck hat also eine Marktlücke im Viertel geschlossen. „Als die ‚Alte Liebe’ im März/April die Zelte abgebrochen hatte, dachte ich mir, dass wir dieses Vakuum gut schließen können“, sagt der 41-Jährige. Es sei schon etwas besonderes, den Tatort in der Gruppe zu sehen. Und da er immer behaupte, sein Theater sei Sachsenhausens Wohnzimmer, sei das Tatort Public Viewing doch ganz stimmig. „So sehen die Leute, was wir sonst so zu bieten haben und kommen auch mal in eine Vorstellung.“ Zum Beispiel in das Stück "Der Drecksack mit dem Hut", ab 22. Januar.