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Foto: Dirk Ostermeier
Foto: Dirk Ostermeier

Gespräch mit Mirjam Wenzel – Teil 2

„Der moderne Antisemitismus ist eine Transformation des christlich geprägten Judenhasses“

Mirjam Wenzel leitet seit 2016 das Jüdische Museum in Frankfurt. Im zweiten Teil des Gesprächs mit dem JOURNAL FRANKFURT geht es um den wiedererstarkenden Antisemitismus und Rassismus in Deutschland.
Jüdisches Leben ist in der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere in der jüngsten Vergangenheit wieder stärker unter Druck geraten…

Ich würde das so nicht nennen. Ich würde sagen: Jüdisches Leben in Deutschland ist bedroht. Es war immer fragil und es wird jetzt wieder stärker bedroht.

Beschäftigt sich die deutsche Öffentlichkeit nun erst im Zuge einer aufkommenden Islamophobie wieder intensiv mit Antisemitismus, weil sie in den vergangenen Jahren die Augen davor verschlossen hat?

Zu Islamophobie und Islamfeindlichkeit kann ich nicht so viel sagen wie zu Antisemitismus, weil sie schlicht nicht unser Thema sind. Aber sie beschäftigen uns insofern dann doch, als man Antisemitismus nicht isoliert betrachten kann und sollte. Wo gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sich durchsetzt, rassistische Einstellungen gepflegt und Vorurteile gegenüber anderen kultiviert werden oder wo Verschwörungstheorien kursieren, ist Antisemitismus nicht weit. Judenfeindschaft ist eine historische Konstante und sie äußert sich verschieden. Alle soziologischen Studien belegen: In der Bundesrepublik Deutschland hegten auch schon vor der Wiedervereinigung mindestens zwanzig Prozent der Bevölkerung judenfeindliche Einstellungen. Dieser Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsbevölkerung trat früher erst nach dem x-ten Bier zutage und zeigt sich heute enthemmt in direkter oder digitaler Hassrede. In unserer Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen räumen wir deshalb der Antisemitismusprävention einen großen Stellenwert ein. Dabei betreiben wir im Wesentlichen Erziehung zur Selbstreflexion. Es geht uns darum, dass Jugendliche ihre eigenen stereotypen Wahrnehmungen hinterfragen, ihre eigene Familiengeschichte reflektieren und ihre eigenen Ambivalenzen wahrnehmen.

Was ist der Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus?

Grundsätzlich kann man sagen, dass der moderne Antisemitismus eine Transformation des christlich geprägten Judenhasses ist und sich in einer gewissen Wechselwirkung mit dem modernen Rassismus entwickelt hat. Antisemitischen Einstellungen aber liegt im Unterschied zu rassistischen Auffassungen nicht die Idee einer Minderwertigkeit des anderen zugrunde, im Gegenteil: Antisemitismus hat eine Affinität zu Verschwörungstheorien, insofern als Jüdinnen und Juden als übermächtig imaginiert werden. Sie stehen vermeintlich hinter den Medien, hinter dem Kapital, oder wahlweise auch hinter dem Kommunismus. Rassismus hingegen basiert in der Regel auf der Annahme einer wie auch immer gearteten kulturellen, kognitiven oder körperlichen Überlegenheit der eigenen Kultur, die von dem vermeintlich minderwertigen Anderen infrage gestellt, bedroht oder kontaminiert wird. Das phantasmagorische Moment einer imaginierten Überlegenheit des Anderen fehlt im Rassismus.

Der Begriff „importierter Antisemitismus“ spielte im Diskurs um Antisemitismus zuletzt eine große Rolle. Verharmlost der Begriff, wenn er sagt, dass Antisemitismus von außen komme?

Unsere Realität ist die einer Einwanderungsgesellschaft und diese gilt es zu bewältigen, damit der Antisemitismus nicht weiter zunimmt. Anstelle eines importierten Antisemitismus würde ich eher von einem israelbezogenen Antisemitismus sprechen, das ist der richtige Ausdruck. Dabei treffen zwei Phänomene aufeinander: Einstellungen, die in einer dezidiert linken Sozialisation begründet sind, in der die Palästina-Solidarität eine große Rolle spielt, treffen auf Einstellungen von Migrantinnen und Migranten aus muslimischen Ländern, in denen Israelfeindschaft Staatsräson ist. Es gehört zu den Herausforderungen der Gegenwart, diesen israelbezogenen Antisemitismus in einen differenzierteren Blick auf Israel entgegen zu überführen – unabhängig von den tagespolitischen Entwicklungen vor Ort.

Dabei ist Antisemitismus auch bei jenen Gruppierungen zu Hause, von denen gedacht wird, dass sie eigentlich für eine plurale Gesellschaft eintreten.

Der israelbezogene Antisemitismus in Europa und in Deutschland ist auch eine Folge der 68er-Bewegung. Ich finde, dass dies bei im Rahmen des Jubiläums von 1968 viel zu wenig reflektiert wurde: 1969 gab es den Anschlagsversuch auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin, ein Jahr später den Anschlag auf das jüdische Altenheim in München. Beide wurden wahrscheinlich von den linksradikalen Tupamaros verübt, die gemeinsam mit Dieter Kunzelmann von der palästinensischen Fatah den bewaffneten Kampf erlernt hatten.

Wir erleben, dass Länder um uns herum einen Rechtsruck hinter sich haben. Ist der Rechtsruck in Deutschland und die damit steigende Bedrohung von jüdischem Leben eine Entwicklung, die in Deutschland nun mehrere Jahre später stattfindet?

Es gab in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR immer schon rechtsextreme Organisationen, die völkisches Gedankengut pflegten und vernetzt agierten. Dass dieses Denken ein enormes gewalttätiges Potential hat, wurde etwa in den brennenden Asylbewerberheimen unmittelbar nach der Wiedervereinigung deutlich. Ich bin deshalb skeptisch, ob man tatsächlich von einem Rechtsruck in Deutschland sprechen kann, weil nun eine Partei in beinahe allen Parlamenten sitzt, die Kontakte zu rechtsextremen Organisationen unterhält und deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch wenn dieser Einzug natürlich enorme Konsequenzen für unsere öffentlichen Diskurse und Einrichtungen hat. Ich ziehe es vor, in Anlehnung an das Buch von Volker Weiss von einer autoritären Revolte zu sprechen.

Ist das Jüdische Museum eine Institution, die auch Menschen aus den von Ihnen beschriebenen rechten Szenen erreicht?

Wir fragen die Besucherinnen und Besucher im Museum nicht, welche Partei sie wählen und in welchen Organisationen sie sich engagieren. Ich kann dazu nur Folgendes sagen: Wir haben gezielt Bildungsprogramme aufgesetzt, um bildungsferne Jugendliche sowie Menschen mit Migrationshintergrund ins Museum zu holen. Wir haben Angebote für ältere Menschen und für Kinder erarbeitet. Aber wir bauen keine Kooperationen mit rechtsextremen Organisationen auf, um ihren Mitgliedern den Zivilisationsbruch von Auschwitz verständlich zu machen – da sind andere Einrichtungen, die Justiz und die Zivilgesellschaft gefragt.

Das Gespräch führte Moritz Post.

Mirjam Wenzel, 46, in Frankfurt geboren und im Hochtaunuskreis aufgewachsen, seit 2016 Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt am Main


Das Interview mit Mirjam Wenzel erscheint als Teil unserer Reportagereihe „Gesicht zeigen! Warum Antisemitismus und Rassismus in Frankfurt keinen Platz haben“. In den kommenden zwei Wochen veröffentlichen wir an dieser Stelle Gespräche mit verschiedenen Akteuren, die sich im Kampf gegen Diskriminierung engagieren. Die aktuelle Print-Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT widmet sich diesem Thema in einer 22-seitigen Porträtstrecke.
 
25. Januar 2019, 11.16 Uhr
Moritz Post
 
 
Fotogalerie:
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