Der Regisseur Dominik Graf hat in seiner Poetikvorlesung an der Goethe-Universität über das Zusammenspiel von Bildern und Worten in Filmen gesprochen. Für ihn sind Erzählstimmen ein künstlerisches Mittel erster Ordnung.
Lukas Gedziorowski /
Es gibt diese Szene im Film „Adaption“: Der unter einer Schreibblockade leidende Drehbuchautor Charlie Kaufman sitzt in einem Schreibseminar des berühmten Robert McKee. Er fühle sich erbärmlich, hören wir ihn aus dem Off sagen. Und gerade als er aufstehen und gehen will, brüllt der Seminarleiter ihm zu: „Gott stehe Ihnen bei, wenn Sie in Ihrem Werk eine Erzählstimme verwenden! Gott stehe Ihnen bei! Das ist schlaffe, schlampige Kunst! Jeder Volltrottel kann mit einer Erzählstimme die Gedanken einer Figur erklären.“
Es gibt Autoren und Regisseure, die sehen das anders. Nicht nur Hollywood-Größen wie Charlie Kaufman, der für sein Drehbuch zu „Adaption“ für den Oscar nominiert wurde. Auch ein deutscher Regisseur wie Dominik Graf schätzt die Erzählstimme und macht davon Gebrauch. Der Erzähler im Film sei nicht nur ein Hilfsmittel, wenn der Film missglückt sei, sondern ein künstlerisches Mittel erster Ordnung, so seine These in seiner Poetikvorlesung, die er am Dienstag an der Goethe-Universität gehalten hat. Die Erzählstimme treffe mittenhinein ins Wesen des filmischen Erzählens.
Für Graf ist dieses Mittel ein literarisches. Und damit entsprach seine Vorlesung auch dem Titel der Veranstaltung, der „Poetiken zwischen den Künsten - Dialoge mit der Literatur“ versprach. Die Aversion gegen die Erzählstimme erklärte Graf mit einer religiösen Feindsituation zwischen Bild und Sprache. „Wir wollen reine Areale in der Kunst haben.“ Doch die Forderung der Kritiker, dass eine Filmszene ohne Worte am besten funktioniere, halte er für einen Gemeinplatz. Nicht nur, weil das Bild seit der Digitalisierung täglich an Wert verliere. Graf führte aus, dass diese Aversion eigentlich daher rühre, dass man dem Wort generell misstraue. In Filmen seien Dialoge häufig Ausdruck der Unsagbarkeit und der Missverständnisse. Seit dem Beginn der Moderne hält sich ein grundlegender Zweifel an der Sprache – wie ausgedrückt in Hofmannsthals Chandos-Brief.
Für den Regisseur sind Wort und Bild keine Gegensätze: Die Liebe zum Film kam für Dominik Graf aus den Worten. Da Filme in seiner Jugend nicht so leicht zu bekommen waren, las er zunächst die Drehbücher oder was ein anderer über die Filme schrieb. In mehreren Filmbeispielen zeigte Graf, wie vielseitig das Stilmittel eingesetzt wird: Die Beschwörung einer Idylle in „How Green Was My Valley“ von John Ford, die selbstironische Erzählung eines Toten in Billy Wilders „Sunset Boulevard“, aber auch die verwirrende Erzählstimme in „Letztes Jahr in Marienbad“ von Alain Resnais, in dem „nichts zusammenpasst“ (und er deshalb auch furchtbar nervt). Auch Graf selbst hat mal so einen Film gedreht: „Der Felsen“ von 2002, über den damals die Kritiker geteilter Meinung waren. Anhand von „Jules und Jim“ von Truffaut zeigte Graf, dass eine Erzählstimme auch wiedergeben kann, was nicht im Bild zu sehen ist. Was manch Kritiker als billiges Stilmittel bezeichnen könnte, bezeichnete Graf als ein „virtuoses Zusammenspiel von Bild und Erzählung“.
Graf lieferte Beispiele aus der Literatur wie dem Beginn von Thomas Manns Roman „Der Erwählte“. „Wer also läutet die Glocken Roms?“, heißt es zu Beginn. „Der Geist der Erzählung“, lautet die Antwort des Erzählers. Dieser könne überall sein. Darin besteht sein Potenzial. Es gibt eben Dinge, die kann man nicht zeigen. Dafür gibt es Erzählstimmen.