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Familiengefühle

Der Name Ali Neander ist verknüpft mit den Rodgau Monotones, der Batschkapp, dem Rödelheim Hartreim Projekt und Glashaus, aber auch mit dem Kur- und Schulorchester. Darüber erzählt er im Interview.

JOURNAL FRANKFURT:  20 Jahre JOURNAL FRANKFURT – wo sollen wir da beginnen? Am besten chronologisch erzählen und damit anfangen, wie Du in Frankfurt angekommen bist auch wenn das lange davor war?  Wie hat Deine Beziehung zu Frankfurt  angefangen? Mit dem legendären Auftritt in der Batschkapp?
 
Ali Neander: Ein bisschen vorher schon. Manchmal kommt man ja als Jugendlicher vom Land dann abends in Frankfurt in die Disco – damals ins Cooky’s zum Beispiel – und ist schwer beeindruckt. Da stand schon so eine ganze Musikerkaste, die in Frankfurt damals erfolgreich war, am Tresen. Viele Österreicher damals. Für mich waren der Inbegriff von Frankfurt, die Lederhosen, die am Rand so geschnürt werden. Kannst dich daran auch noch erinnern, ne? Fashion Crimes.  Hair Crimes. Das war so für mich der Inbegriff des Frankfurter Musikers. Das war für mich der eine Eindruck und dann als nächstes spielten wir dann mit den Monotones, das erste mal in der Batschkapp. Das war 1979. Wir spielten als Ersatz für jemand anderen. Wir spielten unseren Gig, die Leute saßen draußen auf der Treppe und warteten, dass die Disco anfängt und dann kamen sie endlich rein. Und dann haben wir den Gig einfach noch mal gespielt, die Gunst der Stunde genutzt. Und dann wurden wir zur Hausband erklärt. Weil wir wahrscheinlich eben so eine Art von ländlicher Unschuld da angeschleppt hatten. Es wurde mir dann später auch klar, dass die mit den geschnürten Lederhosen nie Auftritte hatten, sondern sie saßen immer nur rum und schmiedenen große Pläne.
 
JF: Lass es uns ganz konkret machen: „Vom Land“ heißt in Deinem Fall…
 
Ali Neander: ...logischerweise aus dem Rodgau. Meine Eltern wohnten in Nieder-Roden. Meine Mutter wohnt da immer noch.
 
JF: Eure Jungs sind auf alle Stadtteile verteilt?
 
Ali Neander: Damals wohnten noch weniger von uns in Rodgau als jetzt. Das war auch schon damals eher ein eher mythischer Begriff.
 
JF: Gut dann wäre das geklärt. Zurück zur Batschkapp und den Lederhosen, die nie auftraten.
 
Ali Neander: Das ist ein gewisses Pattern, das in Frankfurt sehr beliebt war. Frankfurt war, was die Musik betrifft, schon immer eine Stadt, wo unheimlich hohe Pläne mit ziemlich ernüchternden Ergebnissen konfrontiert wurden. Aber die Pläne wurden dadurch überhaupt nicht getrübt, es wurde fröhlich weitergeplant. Die Ergebnisse waren dann auch gerne mal wieder ernüchternd. Aber dann teilweise eben auch gar nicht. Es sind auch echt erfolgreiche Sachen hervorgegangen.
 
JF: Was diese österreichische Rockcrew betrifft, wurden daraus ja dann teilweise tatsächlich CDs für große Labels wie Ariola und Sony produziert, die Bands dann z.B. auf europaweite Stadiontour mit Queen geschickt, aber wenn die dann in der Batschkapp gespielt haben, ist keiner gekommen...
 
Ali Neander: Die Bands haben keinen Heller damit verdient, sondern alle anderen, die daran beteiligt waren. Das ist eine ganz alte Tradition: Die Major-ProDuktion, die dann vielleicht überhaupt nicht rauskommt. Für die Hunderttausende ausgegeben werden, wo alle dran verdienen, außer der Band. Auch so eine ganz alte – so eine „schöne“ –  Frankfurter Tradition.
 
JF: Du hast ja erzählt, als Du ins Cooky’s kamst, hast Du erstmal wie jeder mit großen Augen geschaut. Aber spätestens als Du dann reingerutscht bist in die Szene, hast Du dir eine ganz eigene Position erarbeitet, bist damit ganz anders umgegangen.
 
Ali Neander: Die Szene hat sich auch verändert, muss ich sagen. Anfang der 80er Jahre hat man dann eine Zäsur gespürt. Die Leute, die Ende der 70er Jahre noch unheimlich breit daherkamen, waren dann doch eher wieder normal. Dann war da auch gar nicht mehr Frankfurt gegenüber Nicht-Frankfurt. Das war eine große Musikszene.
 
JF: Aber Du hast das dann als Musikszene wahrgenommen? In den Jahren haben ja auch immer alle gejammert, es gibt gar keine Szene, heute immer noch oder wieder. Dabei gibt es immer wieder mal Bestrebungen, die Musikstadt Frankfurt zu definieren und zu stärken alle melden sich dann zu Wort.
 
Ali Neander: Ich glaube es gibt auch diese halboffiziellen Versuche, mit einem, damals, Rock-Beauftragten. Das hat dann zwar so eine bestimmt Kultur hervorgebracht –  um diese Nachwuchswettbewerbe, diese Nachwuchsszene. Es ist auch alles ganz löblich, aber man hat auch oft das Gefühl, dass es abgetrennt ist vom eigentlichen Leben. Das findet auf so einem eigenen Planeten statt. Wo dann eben auch irgendwie schöne Konzerte stattfinden, aber da passiert dann weiter nichts. Und die Bands, die hangeln sich dann so über die Jahre oder es versandet das auch gerne mal. Also Frankfurt ist jetzt nicht so das Band-Mekka. Ich glaube, andere Sachen haben in Frankfurt mehr gepunktet oder die Stadt passt mehr zu anderen Konzeptionen. Aber ich halte es für wünschenswert, wenn da mehr passieren würde.
 
JF: Was ganz wichtig ist zu wissen: Du hast Dir so ganz persönlich, mit deinen Jungs bei den Rodgaus und in anderen Konstellationen, so Deinen Weg geschaffen. So eine gewisse Autonomie. Dass Du es auch aus so einem Blickwinkel betrachten könntest, okay, so what?
 
Ali Neander:  Na ja, natürlich sind Bauchläden auch Läden. Man muss dann schauen, dass das alles funktioniert. Über dem Wasser schweben, geht dann natürlich nicht. Ich glaube der Punkt ist,  dadurch, dass ich das Glück gehabt habe, mit so vielen extrem unterschiedlichen Sachen Kontakt zu haben war das eine quasi immer wie Urlaub von anderem. Das ist ja dann wie „permanent vacation.“ Weil Du jetzt nicht so schrecklich festgenagelt bist, an einer Sache zu arbeiten. Man tut dann auch richtig Energie rein und dann kann man auch weiterziehen zu was anderem.
 
JF:Ich möchte gerne noch mal bei den Monotones bleiben. Hattest Du das Gefühl, dass der Erfolg den ihr da 1979 hattet, den man so nicht hätte planen können, auf den Überraschungseffekt, für euch wie fürs Publikum in der Kapp, zurück zu führen ist? So wie Du es eben beschrieben hast, dass da keine hochtrabenden Pläne dahintergesteckt haben, sondern einfach Musiker da waren, die spielen wollten, aus einem Spieltrieb heraus?
 
Ali Neander: Wir haben am Anfang extrem davon profitiert, dass man uns immer unterschätzt hat. Das war dann später auch der Nachteil. Als sehr viel von uns erwartet wurde, waren wir nicht hart und fokussiert genug, um diese Rolle auch zu übernehmen. Wir blieben so ein bisschen in der Rolle: „Wir möchten unterschätzt werden und dann die Leute überraschen.“ In einer gewissen Phase war das dann blöd für uns, dass wir dann diesen Schritt weiter nicht gegangen sind. Wo wir dann einfach auch gemerkt haben, dass uns bestimmte Sachen dann auch über den Kopf wuchsen. Oder dass wir diese klare Marktentschlossenheit, die andere bewiesen haben, einfach nicht hingekriegt haben.
 
JF: Aber es war trotzdem ein schönes Gefühl zu merken, dass da Leute, bis zu Fritz Rau, dem großen Impressario, dran geglaubt haben?
 
Ali Neander: Ja, logisch. Das ist jetzt glaube ich so etwas – wir werden geliebt von Leuten, über einen längeren Zeitraum, und wir wissen gar nicht warum. Und das ist doch etwas anders als wenn man das Ziel hat bewundert zu werden. Da kämpft man im Grunde mit den Leuten, immer. Wir erleben einfach, die Leute verbinden mit uns irgendetwas und wir verbinden mit den Leuten auch irgendetwas. Und da stellt sich so ein bestimmtes Familiengefühl über die Jahre ein. Und ich lerne das immer mehr zu schätzen. Das ist ein Unterschied im Vergleich zu: „Wie beeindrucke ich die Leute durch etwas Unfassbares?“ Das gibt es ja auch als Haltung. Aber das hält irgendwie nicht lange.
 
JF: Bleiben wir bei den Monotones. Es gibt doch bestimmt so ein paar bestimmte Daten und Termine, die für Dich besonders waren. Und hierbei sind dann Sachen passiert, die andere Sachen in Frankfurt losgetreten haben, wo Du dann auch dabei warst. Teilweise auch kommerziell sehr erfolgreiche wenn man zum Beispiel ans Rödelheim Hartreim Projekt denkt. Jedoch was Dich persönlich betrifft, agiertest Du immer mit einer Art Understatement, die ich sympathisch fand.
 
Ali Neander: Du, das macht ja jeder wie es ihm liegt. Ich bin halt so ein klassischer „Sidekick“ was so Sachen dann betrifft. Ich macht jetzt mit meiner ersten Solo-Platte ansatzweise, dass ich da mehr im Mittelpunkt bin. Das ist jetzt so eine Ausnahme. Ich glaube ich bin jemand, der auch mit anderen Leuten ganz gut zusammenarbeiten kann. Und diese Rolle gefällt mir einfach besser. Und im Grunde genommen kommt man damit auch mit mehr Leuten zusammen.
 
JF: Zähl doch mal so ein paar Highlights auf. Von Pampa Power im alten FSV-Stadion zu Hochzeit von „Die Hesse komme“ bis zum Open Air auf dem Bieberer Berg und den Geburtstagskonzerten in der Batschkapp....
 
Ali Neander: Es gibt ganz andere Highlights bei den Monotones: Ein Auftritt Anfang der 80er Jahre im Kinosaal in Sonnborn. Das war unmittelbar, zwei Wochen, nachdem unsere Platte draußen war. Und vorher waren wir eine Cover-Band, mit so freundlich geduldeten eigenen Stücken. Und dann spielten wir in diesem Kinosaal in Sonnborn das erste Mal vor einem Publikum, das die ganze Platte gekannt und mitgesungen hat. Das war der Wechsel von der Cover-Band zur originären Band, was ja ein schwieriger Wechsel ist. Das hat mich sehr beeindruckt. Da war ich sehr glücklich danach. Da dachte man so: „Oh wow, da öffnet sich jetzt eine ganz andere Zukunft.“ Solche Sachen zum Beispiel. Oder Auftritte in Hamburg oder so, wo man jetzt wirklich nicht damit gerechnet hätte, dass die Leute das gut finden, wo wir gemerkt haben, das lässt sich absolut transportieren auch in eine völlig andere Region. Und solche Sachen waren dann oft die größeren und beeindruckenderen Geschichten, als  Auftritte bei so einem Riesenfestival, die zwar ein bisschen das Ego pinseln, wo man aber am Ende doch merkt: das ist Arbeit. Es sind vielleicht 50.000 Leute hier, aber die sind ja nicht wegen mir hier, sondern wegen dem Haupt-Act. Im Grunde musst Du, so mit Gewalt, die Leute bei Laune halten
 
JF: So zum Beispiel in Offenbach dann bei Santana....
 
Ali Neander: Da wurde dann während unseres Auftritts erstmal die gesamte PA (die Tonanlage. Anm. der Red.)  verkabelt. Mit solchen Bedingungen musste man immer rechnen. Von den großen Festivals, ist mir vor allem Wackersdorf im Gedächtnis geblieben. Da war das anders, da hatten wir schon eine andere Position. Das waren auch 100.000 Leute und auch 100.000 Arme oben. Und das ist schon der Hammer gewesen.
 
JF: Die waren dann auch wegen der Anti-Atomkraft-Idee hinter dem Festival da und nicht unbedingt wegen einem einzelnen Act...
 
Ali Neander: Wir hatten dann auch andere Festivals, die so mit den damaligen Deutschrockgrößen waren. Wo das Publikum uns dann auch schon besser kannte. Das waren für uns dann die Gigs mit Deep Purple und Tina Turner usw. Das ist alles in Ordnung und das ist etwas, dass man seinen Kindern oder Nachbarn erzählen kann, aber im Grunde ist es damit auch okay.
 
JF: Haben die euch damit auch teilweise auch als „Frankfurt“ wahrgenommen oder als „Rodgau bei Frankfurt“?
 
Ali Neander: Nach 50 Kilometern wird das Frankfurt. Das ist den Leuten dann vollkommen egal. Das war dann so ein gewisses Berufshessentum und da war es den Leuten dann auch wurscht, ob das aus Frankfurt oder aus dem Umland kam oder so.
 
JF: Beim wievielten Geburtstag standen dann die Rödelheimer mit auf der Bühne?
 
Ali Neander: Das war beim 15 Jubiläum. Das war in der Batschkapp und das war quasi der erste Auftritt vom RHP. Vorher hatten sie zu zweit live überhaupt keinen Auftritt gehabt. Das war auch völliger Zufall. Ich hatte den Moses kennengelernt in einem Studio und ich habe ihn gefragt, ob er nicht Lust hat, als Gast aufzutreten. Wir wollten immer Gäste für unsere Auftritte, die genau so „nicht normal“ waren wie wir. Und seit der Zeit bin ich auch befreundet mit dem Moses, kann man so sagen. Wir haben da auch viel zusammen gemacht. Deswegen ist das auch schon so eine lange Geschichte, auch schon fast 20 Jahre. Oft sind es so überraschende Ausnahmen, mit denen man gar nicht gerechnet hätte und die an den seltsamsten Orten sind. Diese großen, symbolischen Veranstaltungen sind zwar ganz interessant und toll, aber manchmal steht man auch so neben sich. Auch der Rockpalast damals war, wenn man ehrlich ist, so eine unglückliche Geschichte, wo wir auf einmal so eine Art Headliner waren. Vorher gab es irgendwelche riesigen internationalen Acts und die Halle ist ja auch echt groß und dann gab es auf einmal keine großen Headliner damals und dann saßen wir da und die Halle war nur halb voll. Unsere Träume waren gewesen, mit irgendeinen internationalen Top-Act aufzutreten, z.B. mit Aerosmith als Headliner, wo wir als die Vorgruppe spielen, vor einer vollen Halle. Und dann mussten wir das alleine stemmen. Im Nachhinein ist es toll. Es hat uns zum Beispiel berühmt in der DDR gemacht. Im Raum Leipzig gab es dann drei Band die haben Monotones-Stücke nachgespielt. Das haben wir natürlich nicht gewusst, wir waren ja nicht da. Aber das haben uns dann später Leute aus dem Osten dann gesagt, dass wir durch den Rockpalast-Auftritt eine Zeitlang so eine richtige Fan-Gemeinde in der DDR hatten und wir haben das gar nicht mitgekriegt.
 
JF: 3p, das Label des Hartreim Projekts – ganz wichtig für Frankfurt. Und da bist Du ja irgendwie reingerutscht und warst dann auch gleich bei mehreren Acts der musikalische Direktor. Wie hat sich das so entwickelt?
 
Ali Neander: Ich habe den Moses kennengelernt. Ich spielte dann auf der Sabrina-Platte, auf der „S-Klasse“. Danach hat mich Moses gefragt ob ich einen Remix machen würde. Ich habe das dann gemacht, habe programmierte Sachen genommen und dazu live gespielt, damals mit dem Schlagzeuger Ralf Guske mit dem ich quasi so ein Projekt angefangen hatte und dann wurden wir quasi als Live-Band gekidnappt. Und das wurde dann auch so gemacht. Dann sah ich mich plötzlich drei Wochen später im Vorprogramm der Fugees und so hat sich das dann auf einmal rapide entwickelt. Aus Schwester S wurde Sabrina Setlur. Und aus dem Background-Sänger wurde dann Xavier Naidoo. Bis es dann zum großen Krach kam und zur großen Scheidung und da ich mit Moses befreundet war, blieb ich dann ohne mich zu sehr mit den Details beschäftigt zu haben, auf der Seite von Moses und bin dann eben nicht in die Xavier-Band gegangen was er vorgehabt hatte.
 
JF: Eigentlich ein kleines Trauma für Frankfurt, diese Trennung...
 
Ali Neander: Es ist ein Trauma, aber es ist natürlich auch die typische Geschichte eines rasanten Aufstiegs oder auch so einer extremen Frankfurter Selbstbewusstseinserweiterung. Es gibt noch Parallelen mit diesen ganzen Dancefloor-Erfolgen. Die auch in der Zeit doch sehr stabil waren, so seit den frühen 90ern. Eben so Sachen wie Snap, Jam & Spoon… Das war auch so eine kurze Zeit, da hatte Frankfurt auch Durch das Omen so musikalisch richtig eine Bedeutung international. Das ist dann aber irgendwie so ein bisschen verbröselt, erstmal ging natürlich die ganze Plattenindustrie in die Knie. Und live in der Bandszene, was es so als Gegengewicht hätte geben können, hat es nichts gegeben. Es waren eben einfach alles Produkte. Und diese Produkte haben das Schicksal aller Produkte erlitten – sie wurden nicht mehr gekauft. Oder sie wurden downgeloadet.
 
JF: Was ist für dich, aus dieser Zeit, so an Frankfurter Namen hängengeblieben? Was würdest Du so sagen, was man national und international mit der Frankfurter Szene assoziiert?
 
Ali Neander: International natürlich so eine bestimmte Art von Trance beeinflusst von Techno. Diese eigenartige Mischung, aus einer gewissen Prolligkeit und einem gewissen Kitsch. Eine romantische Prolligkeit, so würde ich das nennen.
 
JF: Sven Väth?
 
Ali Neander: Natürlich! Das war etwas ganz typisch Frankfurterisches. Was interessant war, war auch diese totale Abwesenheit von Underground-Attitüde. Sondern es ist immer gleich: „Ich will nicht von dir auf die Schulter geklopfter Underground sein, sondern ich will dein Geld.“ Das war als Attitüde immer da. Ich fand das auch gut. Ich hatte da so ein ganz interessantes Erlebnis, dass kann ich mal erzählen, weil das gehört für mich total dazu: Ich war am Tag vor der Plattenpräsentation von der Sabrina, bei einem Konzert von Blumfeld in Aschaffenburg. Ich war mit dem Tobias Lewin, dem Produzenten, ganz gut befreundet. Und ich bin so hin und mochte die unheimlich gerne und als ich so ins Publikum schaute: es war ein komplett mittelständisches, weißes Gymnasiastenpublikum. Also wenn man jetzt ganz böse ist: Eine national befreite Zone, obwohl die politische Ausrichtung von Blumfeld natürlich pc bis zur Halskrause war und immer noch ist. Und das war ein ganz interessantes Erlebnis. Und am nächsten Tag, war ich dann bei der Sabrina Setlur-Präsentation. Die politische Ausrichtung davon ist ganz diffus, teilweise wurde sie ja sogar der Rechtsradikalität bezichtigt was absurd ist. Das Publikum war extrem heterogen, alle Nationen, alle Hautfarben. Dies stellte für mich viel stärker die Realität in Deutschland dar, als dieses sozusagen abgeschottete, blütenweiße Indie-Publikum. Obwohl die Intention, die dahinter steckt genau gegenteilig war. Das ganze Gepose bei Sabrina, da musste man manchmal erstmal schlucken. Es stellte aber letztendlich politisch den korrekteren Ort da. Und das war eine unheimlich interessante Erfahrung für mich damals, dass man zwar etwas anderes will, aber etwas anderes ist. Also:  „Ich bin die Kraft, die Böses will und Gutes schafft“ oder so irgendwie. Später hat sich das alles etwas relativiert und die Szenen sind dann teilweise auch so ein bisschen ineinander übergegangen. Es war für mich trotzdem eine interessante Erfahrung. Das war auch sehr typisch Frankfurt. So zum Beispiel in Hamburg, in anderen Städten, dadurch das die unterschiedlichen Szenen da größer sind und sich viel besser voneinander trennen können, während in Frankfurt gibt es einfach nicht so viele Psychobillies, die müssen dann auch mit den anderen Punks saufen. In Berlin findest Du eine ganze Kneipe voll mit Psychobillies.
 
JF: Berlin hat ja nicht nur einen Kiez. Hier musst Du ja erstmal einen suchen… Frankfurter Phänomene und Sachen, die scheinbar nur hier möglich sind, dazu gehört natürlich auch Frank Wolf. Und da bist Du ja auch drin in der Geschichte, in einer sehr frankfurterischen Traditionslinie...
 
Ali Neander:  Weihnachten 1980 bekam ich einen Anruf von Heiner Goebbels und der sagte, dass der Frank Wolf, so ein Cellist, einen Gitarristen suche. Ich kannte Heiner Goebbels noch aus seiner Zeit als Keyborder bei der Jazz-Kapelle Raureif. Im Jazzkeller Seligenstadt habe ich sie gesehen. Eine Band mit Uwe Schmidt, der später Frankfurter Kolumnist von der FAZ wurde, glaube ich. Und mit Achim Fahr. Ich weiß nicht mehr wer was spielte. Wir reden jetzt von 1977/76 so ungefähr. Der hat mich dann gefragt, ob ich bei so einem Projekt mitmache. Die probten in einem Keller unter dem Beate Uhse Laden auf der Kaiserstraße. In so einem richtigen Luftschutzkeller, wo auch wirklich so Luftschutz-Anweisungen an der Wand standen. Man hörte so beim Proben immer die Porno-Filme von dem Keller da drüber. Und da wurde dann dieses Weihnachtsprogramm eingeprobt. Und später war dann so die Gründungsphase von diesem Frankfurter Kurorchesters. Ich bin da eben irgendwann weg, habe einen Ersatzgitarristen besorgt. Ich hatte so viel mit den Monotones zu tun gehabt.
 
JF: War das dann die klassische Viererbesetzung?
 
Ali Neander: Nee, nee, die klassische Viererbesetzung ist die spätere. Ich bin quasi Gründungsmitglied des Frankfurter Kurorchesters. Das geht auch auf ein Projekt in der Harmonie zurück – wo Thomas Manns „Zauberberg“ bearbeitet wurde. 1985 haben sie dann diese klassische und fantastische Besetzung gefunden, aber nach Irrungen und Wirrungen. Da gab es vorher jede Menge andere.
 
JF: Das heißt, Du bist als Gründungsmitglied wie viele Jahre später dann wieder dazugestoßen?
 
Ali Neander: 2002. Aber ich hab zwischendurch mit Frank und AnneBärenz  immer wieder gespielt. Wir hatten so Trio-Besetzungen. Wo wir bei der Gründung der Gewerkschaft ver.di „Gefangenenchor“ gespielt haben, wo wir versucht haben das zu verarschen. Worauf das ganze Publikum aufgestanden ist und das todernst mitgesungen hat. Und dann haben sie, so mit Hand auf dem Herz, aus voller proletarischer Seele den Gefangenenchor gesungen. Ich war total beeindruckt.
 
JF: Was bedeutet Dir persönlich der Frank und was bedeutet das Projekt für Frankfurt?
 
Ali Neander: Der Frank ist jemand ganz besonderes. Ich kann echt nicht singen. Das klingt furchtbar. Aber in den Besetzungen mit Frank singe ich. Weil da quasi die Tür aufgeht, Sachen zu probieren, die man sonst nicht machen würde. Also die Kombination von etwas auf dem höchstmöglichen Niveau, zu dem man fähig ist und damit gleichzeitig den totalen Dilettantismus zu verbinden. Mann muss nicht posen. Das ist etwas ganz Typisches, was sich in Frankfurt hoch entwickelt hat und das habe ich vom Frank gelernt. Er hat seine politische Vergangenheit nie verraten, er ist sozusagen künstlerisch damit umgegangen. Wenn ich in dem Alter noch so cool bin... Für mich bietet der Frank eben diese Folie. Er ist jetzt 65 und wirkt immer noch unglaublich jugendlich und ist immer noch voller Pläne, enthusiastisch. Und das ist natürlich total toll, wenn man so jemanden hat. Da kann man sich echt eine Scheibe von abschneiden.
 
JF: Außer so einer wie Figur wie Frank, wie viele Vergleichbare gibt es für dich in Frankfurt, die Frankfurt ausmachen würden?
 
Ali Neander: Leute, die lange mit einer gewissen Ernsthaftigkeit dabei sind, die werden automatisch zu so was. Wie der Heiner Goebbels oder das Ensemble Modern – das ist immer noch die beste Frankfurter Band, das muss man ganz ehrlich zugeben. Oder in anderen Bereichen, nehmen wir einfach so jemand wie den Rolf Elmer, aus dem Jazz-Punk kommend, dann Dancefloor-Programmierer, rechte Hand oder der Jam von Jam & Spoon. Solche Leute, die einen ziemlich weiten Horizont haben, die aber trotzdem durchaus kommerziell erfolgreich gearbeitet haben und unheimlich nette Leute sind. Ich finde, dass ist eine sehr angenehme Kombination und das findet man manchmal bei Leuten die das länger machen. Die haben so eine gewisse Souveränität, die müssen ihre Position nicht ständig neu und immer mit Ellenbogen, erstreiten. Und sind auch ein bisschen selbstironisch, machen aber trotzdem ernsthaft, das was sie machen. Oder meinetwegen auch jemand wie Jürgen Zöller (Schlagzeuger bei BAP, Amn. der Red.). Jürgen ist ganz typisch Frankfurterisch, auch wenn er seit 1000 Jahren in Kölner Bands spielt. Mike Müller –  es gibt so typische Frankfurter, das ist diese Mischung aus großen Plänen, grandiosem Scheitern und dieser immer gleichen guten schlechten Laune. Das gibt es wahrscheinlich in der Form in anderen Städten nicht so viel. Da ist es viel stärker getrennt, diese Leute die es geschafft haben und die anderen. Frank zum Beispiel hat nie Reichtümer mit seiner Musik erwirtschaftet. Er ist so eine frei schwebende und immer noch gefährdete Figur. Auf der anderen Seite, ist er eine eigene Tradition schon, eine Legende.
 
JF: Also bleibt sozusagen auf diesem Pflaster in Frankfurt Hoffnung für alle die im Bunker sind.
 
Ali Neander: Ganz selbstverständlich. Ich meine, Frankfurt ist ja auch eine vergleichsweise reiche Region. Ich glaube solche Existenzen wie sie in Frankfurt sind, werden in solchen ärmeren Regionen ja gar nicht möglich. Die würden verhungern. Hier mogeln sie sich doch irgendwie immer durch. Hier war dann diese komische Gala oder das sowieso Event, hier eine Cover-Band. Das ist in Umland von  Bremen oder in der Umgebung von Sachsen-Anhalt nicht möglich, da gibt es so was nicht. Da gibt es dann auch viel weniger Musiker, die davon leben können.
 
JF: Es klingt so, als hättest Du durchaus ein positives Bild von Frankfurt....
 
Ali Neander: Ja, habe ich ja auch. Natürlich hat dieses ständige, freundliche Scheitern auch etwas nerviges. Es könnte ja auch einfach woanders sein. Ich glaube man muss in gewisser Weise einfach damit leben. Das ist der Charakter der Stadt. Frankfurt ist kein schlechter Platz.
 
JF: Jetzt hattest Du ja den Vorteil gehabt, dass Du mit unterschiedlichen Projekten/Genres unterschiedliche Andockungsmöglichkeiten hattest. Du hattest das Rock-Genre, Hip-Hop und Dance und den Popbereich. Auch die Kleinkunst, wie man das immer so schön nennt, ein bisschen Jazz. Dann hast Du noch dein eigenes Projekt was stilistisch nirgendwo hinpasst, vollkommen offen ist. Das heißt Du findest dadurch überall Möglichkeiten zu spielen. Anders als irgendwelche Leute, die jetzt nur auf Indie-Rock fixiert sind. Da ist es dann wahrscheinlich ein bisschen schwieriger.
 
Ali Neander: Ich sehe das so ein bisschen an der Band vom Moritz, den Hesslers, der auch auf meiner Platte spielt. Der spielt bei einer großartige Band, die durchaus auch Anschub kriegt, von der Pop-Akademie und über Lieberberg durchaus auch gefördert wird. Da sehe ich, was für eine Ochsentour das ist. Sie sind schon eine herausragend gute Band und sind nicht 100% auf sich allein gestellt und trotzdem haben sie jetzt ne Tour gemacht, da sagte der Moritz da kann man jetzt mal ein Hotelzimmer nehmen... Da darf man gar nicht zu viel darüber nachdenken, sonst wird man völlig deprimiert. Es gibt immer eine neue Generation, die Bands hören wird und auch will und deswegen herrscht da auch Hoffnung. Da braucht man glaube ich auch einen sehr gesunden Optimismus.
 
JF: Nach wie vielen Jahren kam die erste Soloplatte? Ab wann fängt in deiner Zeitrechnung das Profitum an?
 
Ali Neander: 1981/82, seit knapp 30 Jahren.
 
JF: Erzähl doch mal was dazu.
 
Ali Neander: Zu der Platte?
 
JF: Ja, klar und was Du dann damit machst. Spielt ihr dann auch irgendwo?
 
Ali Neander: Wir arbeiten gerade an einer kleinen Tour und zwar in der Besetzung mit Hellmut Hattler am Bass, mit Moritz und einen Keyboarder, der heißt Martin Kasper. Und in diesem Quartett werden wir spielen – im Colos-saal in Aschaffenburg am 2. Februar, am 3. spielen wir im Treffer in Neu-Isenburg, und am 4. in der Scheuer in Idstein.
 
JF: Da habt ihr Frankfurt gut umkreist.
 
Ali Neander: In Frankfurt selbst spielen wir nicht. Das ist eher Zufall. Es hätte natürlich auch Möglichkeiten gegeben im Sinkkasten zu spielen. Das Treffer ist ein altes Helmut Hattler Fan-Gebiet. Das hat eine gewisse Tradition und die haben gleich von sich aus gesagt: Ist ja super!
 
JF: Das sagt natürlich auch was über die Frankfurter Szene aus. Bei den genannten Clubs gibt es eine ganz andere Identifikation des Publikums mit den Läden, als das in Frankfurt möglich ist. Und für die Clubs stehen dann auch Namen, Gesichter, die man auch als Publikum kennt und deren Geschmack man vertraut.
 
Ali Neander: Ich glaube, dass gibt es hier auch ansatzweise im Jazzkeller. Es gibt ein Stammpublikum, das immer dahin kommt. Das gibt es schon dort.

 
29. Oktober 2010, 15.45 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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