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"Die Debatte war zum Teil unfair"

Im aktuellen Journal Frankfurt widmen wir uns der Bildungspolitik der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen. Außerdem erfahren Sie, wie Sie die beste Schule für Ihr Kind finden. An dieser Stelle dokumentieren wir das Interview mit Frankfurts Bildungsdezernentin Jutta Ebeling (Grüne).

Journal Frankfurt: Frau Ebeling, für Sie war es ein Jahr der Höhen und Tiefen. Wie lautet Ihr Fazit?

Jutta Ebeling: Im Ganzen würde ich eine positive Bilanz ziehen. Denn beim Bau von Schulen und Kindertagesstätten sind wir gut vorangekommen. Im letzten Vierteljahr sind die Wellen wegen der Mehrkosten hochgeschlagen. Mir hat das als protestantisch geprägte Person schon Kummer bereitet, gleichwohl habe ich die erforderlichen Schritte eingeleitet und auch im Amt einige Dinge umgestellt.

Haben Sie die Rücktrittsforderungen getroffen?

Nein, zumal sie auch nur von einer Person kamen. Belastet hat mich die Debatte, weil sie zum Teil unfair war. Die Frage der Mehrkosten gab es immer schon in der Stadt - bei den Schulbauten ist das Fass nun übergelaufen. Sehen Sie sich die Städtischen Bühnen an, da gibt es bei einem Projekt Mehrkosten von fast 20 Millionen Euro. Bei den Schulen sind bei vier Projekten Mehrkosten von insgesamt zehn Millionen Euro entstanden. Hier waren die Argumente nicht verhältnismäßig.

Also werden wir uns auch in Zukunft auf Mehrkosten einstellen dürfen?

Durch die Maßnahmen, die ich veranlasst habe, wird dieses Risiko geringer. Das externe Controlling etwa macht die Bauvorhaben transparenter. Im Übrigen wurden ja auch nicht die Mehrkosten kritisiert, sondern die mangelnde Kommunikation - und daran arbeiten wir. Beispielsweise haben die Schulen seit Ende der Weihnachtsferien feste Sprechzeiten im Stadtschulamt.

Die Schulleiter haben sich ebenfalls beschwert, dass sie von manchen Vorhaben erst aus der Zeitung erfahren haben …

Richtig ist, dass es da Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Schulamt und den Schulen gab, was nicht zuletzt an der dünnen Personaldecke lag. Das Konjunkturprogramm musste unter hohem Zeitdruck auf den Weg gebracht werden, sonst wäre das Geld wieder weggewesen. Noch vor der Beschwerde der Schulleiter habe ich 14,5 neue Stellen für das Facility Management der Schulen in den Haushalt eingebracht - wir sind da, denke ich, auf einem guten Weg.

Wird der Bauboom in den nächsten Jahren anhalten?

Er geht jetzt erst richtig los. Es ist ja nicht nur das Konjunkturprogramm, auch die Stadt Frankfurt investiert viel mehr.

Dennoch hört man von einem Sanierungsstau an vielen Schulen.
Seit Beginn der schwarz-grünen Regierung haben wir die Bauunterhaltung an den Schulen von 16 auf 25 Millionen Euro erhöht. Von 2000 bis 2008 haben wir dort eine halbe Milliarde Euro verbaut. Davon, dass wir nichts unternehmen, kann also keineswegs die Rede sein. Einen Sanierungsstau hat es Anfang der 90er-Jahre gegeben, als die Lage der öffentlichen Haushalte katastrophal war.

Dass es den Haushalten wieder schlechter geht, kann man ja durchaus annehmen. Wird dann bei der Bildung gekürzt?

Wir haben gerade Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer von 800 Millionen Euro gehabt und dennoch den Bildungsetat erhöht. In den vergangenen 20 Jahren hat die Bildung nie ein Sonderopfer gebracht, wie das mal bei der Kultur der Fall war. Aber es ist nicht garantiert, dass das Wortungetüm Wachstumsbeschleunigungsgesetz zum Erfolg führt. Ganz im Gegenteil: Es sieht so aus, als wären die Kommunen die Leidtragenden. Die nächsten Jahre könnten sehr hart werden.

Die Gewerkschaft GEW spricht gerne davon, dass an der Bildung gespart wird. Sie auch?

Bundesweit betrachtet finde ich nicht, das gespart wird – es wird nicht genug ausgegeben. Beim Bildungsgipfel rechnet man sich gesund, um die Zahlen zu erreichen, die man einst versprochen hat. Bei den Schulen kommt dieses Geld aber nicht an. In Frankfurt wird aber investiert. Ich nenne nur zwei zukunftsweisende Projekte: nach einhundert Jahren bauen wir ein neues Gymnasium am Riedberg. Und eine integrierte Gesamtschule in Höchst. Damit tragen wir dem Elternwillen Rechnung.

Wo bleiben in dieser Rechnung die Grundschulen?

Die sind der Eckpfeiler der Bildung. Die Iglu-Studie hat ja gezeigt, das gerade dort die Entwicklung vorbildlich ist. Doch das das Land muss sich endlich aufraffen, Ganztagsangebote einzurichten. Wir haben mit unserer Halbtagsschule ein wirklich hinterwäldlerisches Bildungssystem, das es in keinem anderen europäischen Land gibt. Ich habe mit allen Kultusministern - und ich habe schon so manchen in den vergangenen 20 Jahren gesehen - darüber gesprochen, dass sich Stadt und Land zusammentun müssen. Zum Beispiel könnte das Land bis 13 Uhr zuständig sein, die Stadt danach. So könnte es schneller gelingen, die Grundschulen umzubauen.
Was muss passieren?

Ich denke, eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre wird sein, die Schulen ganztagstauglich zu machen. Den ersten Schub gab es da bei den Gymnasien - durch die Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre sind die ja praktisch schon zu ganztägig arbeitenden Schulen geworden. 14 Cafeterien haben wir gebaut, weitere werden dazukommen.

Viele Schulen klagen, dass die Gymnasien bevorzugt werden.

Das ist zweifellos so, aber dies ist eine Entscheidung des Landes gewesen. Ich würde mir vor allem wünschen, dass uns das Land da mehr Freiheiten gewährt. Für die nächste Runde des Landesprogramms ,Ganztagsschule nach Maß’ haben wir vorwiegend Grundschulen angemeldet, die bisher wegen der Vorgaben des Landes vernachlässigt worden sind. Insgesamt geht uns der Prozess viel zu langsam voran. Bliebe es bei dem vom Land vorgegebenen Tempo, dann bräuchten wir in Frankfurt 18 Jahre, um alle Anträge auf Ganztagsschule zu berücksichtigen. Das kann nicht sein.

Das heißt aber nicht, dass die Schüler nachmittags einfach nur beaufsichtig werden.

Deswegen sage ich auch: Mit Autonomie allein wäre es nicht getan, wir brauchen auch die Ressourcen. Die Ganztagsschule ist ein pädagogisches Projekt. Sie muss aus einem Guss sein, es geht um eine qualitative Verbesserung der Schulen. Das versuchen wir ja gerade auch mit den Stadtteilschulen, die sich selbst in ihrer Umgebung Kooperationspartner suchen.

Der Schulelternbeirat kritisiert, dass dieser Prozess viel zu lange dauert.

Leider ist unser Einfluss auf das Land da begrenzt. Hessen hinkt da bundesweit hinterher.

Kann man es den Eltern und Lehrern nicht recht machen?

Schule ist ein System, das mit sehr vielen Belastungen von außen fertig werden muss. Vieles, was in der Gesellschaft nicht mehr richtig funktioniert – von Erziehungsarbeit bis zur Vermittlung von Kulturtechniken – wird auf Schulen projiziert. Der Druck ist hoch.

An einer Hauptschule wie der Salzmannschule gibt es Physik- und Chemieräume, die seit Jahrzehnten nicht saniert wurden. Da wundert es doch nicht, wenn sich die Schüler zurückgesetzt fühlen gegenüber einem Gymnasium mit einer neuen, schicken Cafeteria.

Ich denke nicht, dass die Hauptschule eine geeignete Schulform ist, aber die Schüler haben wir gerade aus diesem Grund immer besonders unterstützt. Wir unterstützen 23 sozialpädagogische Projekte mit rund fünf Millionen Euro. Kein Gymnasium, keine Grundschule bekommt so viel Geld, um mit ihren Schülern arbeiten zu können. Auch die Salzmannschule ist dort verzeichnet – zuerst haben wir aber abgewartet, welche Hauptschulen wir schließen müssen, weil die Eltern ihre Kinder dort nicht mehr hinschicken. Die Salzmannschule wird mittelfristig bleiben, also werden wir nun auch investieren.

Was heißt mittelfristig. Vier Hauptschulen haben Sie gerade wegen mangelnder Nachfrage geschlossen. Kommen noch mehr dazu?

Das Land wäre gut beraten, anderen Ländern – etwa Hamburg - zu folgen, und in die Kooperation mit Realschulen zu gehen. Als eigenständiges System werden die Hauptschulen keine Perspektive haben. Das heißt nicht, dass diese Schulen nicht sehr gute Arbeit leisten, doch für die Jugendlichen fehlt der Blick nach vorn. Selbst wenn sie einen guten Abschluss machen, haben sie sehr, sehr große Schwierigkeiten einen Ausbildungsplatz zu finden.

Mit einer schwarz-gelben Landesregierung dürfte die Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems nicht einfach werden.

In Sachsen hat eine reine CDU-Regierung die Hauptschulen abgeschafft. Und der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust hat das dreigliedrige Schulsystem als ,Ausdruck veralteten, ständischen Denkens“ bezeichnet.

Wir sind aber in Hessen.

Ich sage Ihnen: Auch Hessen wird sich in diese Richtung bewegen müssen. Weil unter den Eltern der Wille fehlt, ihre Kinder auf eine Hauptschule zu schicken.

Manche Eltern schicken ihre Kinder ja nicht einmal mehr auf die Gymnasien, sondern gleich auf eine Privatschule.

Da wird, wenn Sie mir die spitze Bemerkung erlauben, die Finanzkrise schon ordnend eingreifen.

Was können die öffentlichen Schulen von den privaten lernen?

Viele Eltern entscheiden sich für eine Privatschule, weil es dort Ganztagsangebote gibt. Da ist das Land klar gefordert. Der zweite Grund sind die pädagogischen Konzepte, die immer schon Rückwirkungen auf das staatliche Schulsystem gehabt haben – denken Sie etwa an die Integration behinderter Kinder oder die Montessori- und Waldorfschulen. Und dann gibt es eine dritte Ausformung, die ein ganz klares Zeichen für die Spaltung in unserer Gesellschaft ist.

Sie meinen etwa die Strothoff-Schule in Dreieich.

Namen möchte ich nicht nennen, doch es sind Schulen, bei denen die Eltern ihre Kinder gerne unter ihresgleichen haben wollen. Eine gefährliche Entwicklung, gerade im Grundschulbereich, wo die Kinder nicht nur fürs Leben lernen, sondern auch alle Schichten beisammen sind.

In den weiterführenden staatlichen Schulen gibt es diese Trennung doch genauso. Der Aufstieg von der Realschule aufs Gymnasium ist äußerst selten, der umgekehrte Weg hingegen kommt häufiger vor.

Richtig. Eigentlich haben wir ja sogar ein viergliedriges Schulsystem, wenn man die Förderschulen noch hinzunimmt. Und das lädt eben dazu ein, schwächere Kinder auszusortieren, anstatt sich um sie zu kümmern. Deswegen ist es richtig von den Eltern, mehr integrierte Gesamtschulen zu fordern.

Dabei war Gesamtschule ja mal ein Schimpfwort.

Selbst die CDU akzeptiert sie heute. Das war ein langer Weg. Als ich 1989 eine Gesamtschule im Nordend eröffnete, hat die Bild-Zeitung die Schlagzeile gemacht: Dezernentin gibt 20 Millionen für fünf Schüler aus. Heute ist es eine Schule, die hunderte Kinder pro Jahr abweisen muss. Eine gute Entwicklung.
 
19. Januar 2010, 16.56 Uhr
Jasmin Takim
 
 
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