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Foto: Norbert Schoerner
Foto: Norbert Schoerner

Museum Angewandte Kunst

The Fukushima Project

Norbert Schoerner hat Bonsai am Fuße eines aktiven Vulkans fotografiert und einen Film in der ehemaligen nuklearen Sperrzone von Fukushima gedreht. Zu sehen ist sein Werk nun im Museum Angewandte Kunst vom 14. Mai bis 18. September.
Ein robuster Stamm erstreckt seine Äste in entgegengesetzte Richtungen, wie ein Akrobat, der seinen Körper kunstvoll-bizarr verbiegt. Erst ziemlich gerade gen Himmel wachsend, nimmt der Stamm plötzlich einen scharfen Knick nach links an. Schließlich spaltet er sich in zwei Äste auf, an deren feingliedrig zusammenlaufenden Enden sich Fichtengrün auffächert. An seinem verbogenen, knubbeligen Korpus bleibt er karg. Doch bei näherem Betrachten ist da noch etwas: Die Extremitäten der Fichte sind teils umschlungen von schwarzem Kunststoff und dicken Drähten, wie ein Korsett, das ihnen die Richtung zu weisen scheint, in die sie wachsen dürfen. Dahinter verbirgt sich eine Methode, anhand derer der Lauf der Äste beeinflusst wird. Über vier bis acht Jahre hinweg werden die Bonsai am Vulkan Azuma-Kofuji in der japanischen Bergregion Azuma mit Drähten eingebunden und immer wieder neu fixiert. Der Mensch formt sich seine Natur. Genau das wollte Norbert Schoerner in seinen Fotografien einfangen. „Diese Gestaltung der Bonsai steht als Symbol für den Eingriff des Menschen in die Natur. Es geht um die Fesselung der Natur durch den Menschen“, sagt Schoerner. Zwischen 2018 und 2020 hat der Fotograf die Bonsai-Aufzucht der Familie Abe fotografiert.

sein Sohn Kenichi und sein Enkelsohn Daiki Bonsai aus Samen, die im Schatten des Vulkanberges zu finden sind. Die Bonsai-Meister haben Vertrauen zu Schoerner aufgebaut, seit der vor acht Jahren zum ersten Mal einen Baum ihrer Aufzucht sah und die Idee vom Fotoprojekt in ihm zu keimen begann. „Viele Meister würden ihre in Drähte eingespannte Bonsai nicht zeigen, sondern erst die final geformte Skulptur, nachdem die Drähte abgenommen wurden“, weiß Schoerner. Doch die Familie Abe habe seine Idee, den Prozess hin zur lebenden Skulptur zu dokumentieren, interessant gefunden.

Zwei Widrigkeiten überschatten die Umgebung: Der Vulkanberg Azuma-Kofuji ist bis heute aktiv, zuletzt brach er 1977 aus. Eine denkbar lebensfeindliche Umgebung, die durch die nukleare Katastrophe am 11. März 2011 im 40 Kilometer entfernten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima I) potenziert wird. Die Bergkette und eine günstige Windrichtung direkt nach der nuklearen Katastrophe haben dafür gesorgt, dass die Böden in der Region heute verhältnismäßig wenig belastet sind. Spurlos ist sie jedoch nicht an der hiesigen Landschaft vorbeigezogen: Als unmittelbare Maßnahme nach dem Desaster hat die japanische Regierung beschlossen, die oberste Erdschicht in der gesamten Region abzutragen – in der Hoffnung, dass es irgendwann wieder möglich sein möge, etwa die für die Gegend bekannten Apfelbäume zu kultivieren. „Heute sieht man dort viele Felder mit Apfelbaumstümpfen“, sagt Schoerner. Eines seiner Ausstellungsfotos zeigt die Entsorgungshalde, wo jene abgetragene Erde gelagert wird.

Am 2. Februar hat die EU-Kommission Atomkraft als klimafreundlich eingestuft. Das grüne Siegel steht im krassen Kontrast zur Energiewende, die Alt-Kanzlerin Merkel nach der Fukushima-Katastrophe vor zehn Jahren eingeleitet hatte. „Es ist unausweichlich für das Überleben des Planeten, auf erneuerbare Energien aus Wind, Wasser und Sonne umzusteigen“, betont Schoerner. Kernkraft stelle die Menschheit vor das „extrem komplexe Problem der Entsorgung“. Er kritisiert aber auch das menschliche Versagen in Fukushima: „Kernenergie wird oft nicht sicherheitsgemäß gehandhabt. Schon Jahre vor der Katastrophe wurden in den Atomkraftwerken entsprechende Regularien nicht eingehalten“. Vor dem Hintergrund des russischen Krieges in der Ukraine und dem damit einhergehenden Gas-Dilemma sagt Schoerner: „Das verdeutlicht ja nur, wie unausgegoren die Energiewende realpolitisch gehandhabt wurde und wird.“ In seinen Arbeiten bringt er diese Kritik eher subtil auf konzeptioneller Ebene zum Ausdruck.

Zusätzlich zu seinen Fotografien hat Schoerner einen Film gedreht. Entstanden ist er auf einem Bauernhof bei der Stadt Tomioka, nahe dem Kraftwerk Fukushima II, das nicht explodiert war. Nach dem Unfall befand sich dieser Hof in der nuklearen Sperrzone. „Die Gegend ist weitestgehend verlassen. Die Menschen wurden ja evakuiert. Zurückgelassen haben viele ihre Tiere“, erklärt Schoerner. Ein Bauer habe sich jedoch geweigert, zu gehen und einen Gnadenhof für Hunde, Schafe und Kühe errichtet, um den Tieren so wieder eine Heimat zu geben. „Der Landwirt hat uns erlaubt, auf seinem Hof zu filmen“, sagt Schoerner. Gedreht hat der Künstler den Film mithilfe einer Night Vision Technologie: „Das ist so etwas wie ein Nachtsichtgerät. Ich habe nach einer Darstellungsmöglichkeit für ein gewisses Leuchten gesucht.“

Sein Fukushima Project präsentiert Schoerner im Museum Angewandte Kunst in vier Kapiteln, die jeweils in vier Räume aufgeteilt sind. Romantische Motive wechseln zu solchen, die in der Dämmerung entstanden sind und gehen über zu architektonischen Fotos, bis hin zur „Fesselung“ der Bäume.

Die Natur der Natur – Fukushima Project, Museum Angewandte Kunst, 14.5–18.9, www.museumangewandtekunst.de

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Dieser Text ist zuerst in der Mai-Ausgabe (5/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
13. Mai 2022, 10.53 Uhr
Katrin Börsch
 
 
Fotogalerie:
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