Schlöndorff auf Reise mit „Ulzhan“

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red /

Seit Donnerstag ist Schlöndorffs neuer Film „Ulzhan - Das vergessene Licht“ (Szenenfoto) in den deutschen Kinos. Am Wochenende stellte der Regisseur persönlich sein Werk im Harmonie Kino vor (Foto). Vor Beginn berichtete er kurz über die Entstehung: das Projekt wurde ihm im Sommer 2006 vom Drehbuchautor Jean-Claude Carrière angeboten und obwohl er zuerst zweifelte, ob er wirklich in Kasachstan drehen wolle – und er zu diesem Zeitpunkt noch mit den Vorarbeiten zur „Päpstin“ beschäftigt war – kam es zu der Zusammenarbeit. „Ich kann jetzt sagen, dass es ein Glücksfall war“, so Schlöndorff.


In „Ulzhan“ kommt der Franzose Charles nach Kasachstan, um seiner Vergangenheit zu entfliehen. Er verschenkt seinen Pass, sein ganzes Geld und wandert durch Steppe und Ölfelder, bis er von kasachischen Sicherheitsbeamten gefasst und nach Astana gebracht wird – eine Hauptstadt, die innerhalb von fünf Jahren aus der Wüste gestampft wurde. Man sorgt sich um ihn, führt in zu Modeschauen, doch Charles fühlt sich sichtlich unwohl, packt seine Reisetasche und macht sich wieder auf den Weg nach Osten, in Richtung China, quer durch die kasachische Steppe. Unterwegs begegnet er einem Nomaden (dargestellt von David Bennent, dem Oskar Mazerath aus der „Blechtrommel“), dessen Mutter deutscher Herkunft ist und der seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf seltener Worte aus den verschiedensten Sprachen bestreitet. Als Charles sich für seinen Weg ein Pferd kaufen will, trifft er auf eine Dorflehrerin, Ulzhan, die ihn zusammen mit ihrer Mutter herzlich bei sich aufnimmt. Doch Charles, der Flüchtige, Rastlose, zieht sofort weiter – und gerät in einen Sandsturm, den er nur durch Glück überlebt. Als er die Augen aufschlägt, wacht schon Ulzhan über ihm, die ihm fortan, wie ein guter Geist, nicht mehr von der Seite weicht, bis an das ferne Ende seiner Reise, ein von den Atomversuchen der ehemaligen Sowjetmacht verseuchtes Gebiet.


Schlöndorffs Ode an die vom Menschen unberührte Natur und die Ferne lebt vor allem von ihren überwältigenden Bildern. Oftmals scheint es, dass die Stimmung einer Landschaft sich auf die Figuren projiziert und nicht umgekehrt. Doch auch der hochgradig poetischen und überzeugend gespielten Handlung verdankt der Film einen wesentlichen Teil seiner Kraft.


In der Diskussion nach dem Film ging Schlöndorff auf die der mangelnden Kooperationswilligkeit der örtlichen Behörden geschuldeten alptraumhaften Dreharbeiten ein – wollten die Kasachen doch partout nicht, dass ein Hubschrauber ihre Hauptstadt überfliegt, bis der Regisseur ihnen glaubhaft versichern konnte, dass nur so ihre Schönheit einzufangen sei. Trotzdem gingen die Produktion zügig voran und weniger als ein halbes Jahr nach Beginn war die letzte Klappe gefallen. Mehrmals betonte er das rein Fiktive der Handlung – er habe keine dokumentarartige Geschichte drehen, sondern das lyrische Moment betonen wollten. So hätten die Behörden ihn darauf hingewiesen, dass keine kasachische Frau einem Fremden nachlaufen würde. Schlöndorff entgegnete, auch eine europäische Frau würde so etwas nicht tun. Und Wortehändler gäbe es sowohl in Kasachstan als auch in Europa nicht, als er von den Zuschauern auf seine ungewöhnlichen Charaktere angesprochen wurde. Im ersten Drehbuchentwurf wäre ein solcher zudem gar nicht vorgesehen gewesen. „Aber da im Film auch so schon wenig geredet wird und ich keinen Stummfilm drehen wollte, haben wir diese Rolle erfunden“, erzählte Schlöndorff, der sich, trotz des dritten Abends nacheinander im Kino, gesprächig zeigte. Nach seinem eigenen Lieblingswort gefragt, kam er prompt mit der Antwort: das französische cafard, das Kakerlake und in der Wendung „Il a le cafard“ zugleich wie das englische Blues Trübsal bedeutet. „Aber dass kann ich so schnell sagen, weil ich gestern das gleiche gefragt wurde und da erst eine lange Pause machen musste“, gestand der große Regisseur, der sich wünschte, sein Frühwerk „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kambach“ wäre Pflichtprogramm in hessischen Schulen.


Ein harmonischer Abend, mit „Ulzhan“ und Regisseur Volker Schlöndorff, den es gleich in die nächste Stadt zog. Es wäre ihm zu wünschen, dass dort etwas mehr Zuschauer warten als in der Harmonie.



Gary Vanisian


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