Lieblingswerk

Was Axel Hellmann und Frida Kahlo verbindet

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Manchmal geht einem ein Kunstwerk nicht mehr aus dem Kopf. Im Fall von Eintracht-Vorstand Axel Hellmann ist dies ein Gemälde der mexikanischen Malerin Frida Kahlo. Liebe auf den ersten Blick war es jedoch nicht.

Axel Hellmann /

Frida Kahlos „Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexico und den USA“ aus dem Jahre 1932 ist für mich als Gemälde keine Liebe auf den ersten Blick. Keine Faszination des Moments. Kein eroberndes Kunstwerk. Dafür prallt zu viel hart aufeinander, es verlangt den Blick auf die Details, auf die Gegensätze. Es braucht Zeit, um anzukommen. Bei mir waren es nahezu 30 Jahre.

Das erste Mal sah ich das Bild im Sommer 1991 auf einer Reise durch Portugal im noch provisorischen Centro Cultural de Belém in Lissabon. Ich habe es zur Kenntnis genommen, aber begriffen und gefühlt habe ich nichts. Ich war gerade mit meinem Zivildienst in Frankfurt fertig und freute mich auf mein Studium, das ich einige Wochen später in Würzburg aufnehmen würde. Der innere Kompass war auf Aufbruch und Offensive ausgerichtet. Der Blick in den Rückspiegel des Lebens war Thema der Eltern, Großeltern, Altvorderen. Die Welt lag mir doch zu Füßen, das Leben vor mir. Eine Sensorik für Zerrissenheit und Konflikte gab es allenfalls mikrokosmisch.

Danach begegnete mir immer das Gemälde immer mal wieder in diversen Bildbänden, doch erst vor etwa drei Jahren, an einem Samstagmorgen in einer Buchhandlung neben der Kleinmarkthalle, als ich einen Cappucino trank und dabei durch einige Werke stöberte, hat mich das Bild komplett gepackt. Vielleicht muss man in seinem Leben Zerrissenheit und Konflikte erlebt oder zumindest genauer hingeschaut haben, um diesem Bild in seiner Mischung aus Trivialität und Genialität nahezukommen, es zu fühlen und zu verstehen. Vielleicht hat es konkret eines Donald Trumps und seinem Irrsinn einer Mauer zwischen den USA und Mexiko gebraucht, um zu verstehen, dass dieses Bild so zeitlos die uns umgebenden Gegensätze zum Ausdruck bringt.

Es ist dabei weniger die faszinierende Biografie von Frida Kahlo, die das auslöst. Es bedarf keiner Erwähnung, dass diese von Krankheit und einem Unfall gezeichnete Frau, die so viel Zeit mit sich verbringen musste, dass sie selbst das häufigste Motiv ihrer Kunstwerke darstellt, über alle Maße beeindruckt. Der Konflikt ist auch ohne diesen Hintergrund zum Greifen nahe. Diese in rosa gekleidete unschuldige Person in dem harten Gegensatz zweier Welten. Eine Grenzgängerin. Links Mexiko, Heimat und Herkunft, rechts die USA, Lebens- und Leidensort. Hier das mexikanische Fähnchen in der Hand, dort die amerikanische Flagge im Smog der Fordwerke. Hier die zerfallenen Monumente einer untergegangenen Hochkultur, dort die wolkenkratzenden Monumente einer modernen Unkultur. Hier die feingliedrigen Reliquienkörper eines verlorenen Glaubens, dort der gleichförmige industrielle Standard ohne Seele, hier die Naturprodukte aus dem Boden, dort die Produkte aus der Steckdose.

Mich fasziniert, dass dies bereits vor annähernd 90 Jahren als erdrückender Gegensatz auf die Leinwand gebracht worden ist. Nichts davon hat bildlich an Bedeutung für unser heutiges Leben verloren, vielleicht haben sich die Achsen verschoben, aber die Gegensätze sind noch größer geworden in unserer Zeit, die Gräben in den modernen Gesellschaften tiefer, die Zerrissenheit in uns stärker. Arm prallt auf reich, Analog auf Digital, Heimatliebe auf Fernweh, private Entschleunigung auf berufliche Hochfrequenz. Wir stehen also auf der Grenze, ein Leben lang.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 4/21 des Artkaleidoscope (Oktober bis Dezmeber) erschienen.


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