Kolumne von Ana Marija Milkovic

Die kleine Freiheit möchte im Kinderparadies abgeholt werden

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Unsere Kolumnistin würde gerne über Architektur schreiben, aber im Urlaub ist die Beschäftigung mit einem schönen Buch einfach angeratener. Leselandschaften haben Charme - mehr als die Frankfurter Häuserszene ohnehin.

Ana Marija Milkovic /

Vor ein paar Jahren habe ich mir ein Buch gekauft, das ich nun zu lesen begonnen habe. Darüber möchte ich heute schreiben. Viel lieber würde ich natürlich über Architektur schreiben, wenn derzeit nicht bessere Bücher geschrieben würden als Häuser gebaut, in denen diese Bücher dann liegen müssen.

In der Buchhandlung Hugendubel in Frankfurt zum Beispiel. Diese Buchhandlung gleicht einem Kinderparadies für Erwachsene, denen die Möglichkeit geboten wird, sich zwischen Ratgebern und Stiften dann doch noch für ein Kochbuch zu entscheiden. Über den Innenausbau und den werbewirksamen Schildern an der Fassade sei soviel gesagt, es tut dem Auge weh, wenngleich die Räumlichkeiten viel Platz und Sichtperspektiven über alle Stockwerke bieten. Und das ist unter viel Hässlichem auch schön.

Im Hugendubel kaufte ich vor Jahren Jonathan Franzens "Freiheit" und beließ es dabei. Jetzt befinde ich mich in den Ferien und tauche tief in dieses Buch und die amerikanische Kultur ein. Dabei stellte ich mir die Frage, warum ich eigentlich diesen Roman von Jonathan Franzen lese? Ich schicke voraus, Desperate Housewives hat mich auch nie interessiert! Natürlich habe ich begriffen, dass Franzen Charaktere im Detail aufzubauen versteht, wie sie eben Thomas Mann auch zu zeichnen verstand. Nur, Tony Buddenbrooks Naivität rührt mich eben stärker als die Stoik einer Protagonistin namens Peggy. Es wundert mich jedenfalls nicht, dass Franzen in seinem neuen Buch "Unschuld" einen Europäer einbaute, um dem ganzen Buch das gewisse Etwas zu geben. John Irvings wilde Geschichte vom Wassertrinker spielte ja auch hauptsächlich in Wien.

Ich bin aus Jonathan Franzens Buch ausgestiegen, vielmehr umgestiegen. Jetzt lese ich die "Flammenwerferin" von Rahel Kushner. Ich sehe das allerdings mehr pragmatisch als literarisch. Hier lerne ich immerhin etwas über Motorräder, auch schenke ich den Satzzeichen beim Lesen gesonderte Beachtung. Überlese ich eines der vielen Kommas, stürze ich auf einer Moto Valera sitzend in einen sich mit Verkehrszeichen und Landschaften vor meinem inneren Auge ausbreitenden Raum, der mir beim Durchrasen großes Lesevergnügen bereitet, um dann im Bett mit einem Kerl ohne Namen zu landen, der ein Marsden-Hartley-T-Shirt trägt. Vielleicht werde ich am Ende des Buches nicht die ganze Geschichte verstanden, dafür ein Gefühl von Freiheit beim Lesen erlangt haben. Ich entscheide, ob mit mehr oder weniger PS.

Das gleiche Vergnügen ließe sich übrigens auch in Häusern phantasievoll erfahren. Mir fällt nur gerade in Frankfurt keines ein. Frankfurt gleicht in seiner Skyline zusehends einem Kinderparadies für Erwachsene, die lieber an die Hand genommen werden möchten.


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