Am heutigen Montag beginnt die Woche der Kommunikation. Vinzenz Hediger moderiert dort eine Vorlesung zur Medienkultur in Zeiten digitaler Netzwerke. Ein Gespräch über Facebook und Co.
Interview: Timo Geißel /
JOURNAL FRANKFURT: Herr Hediger, Sie sind Professor für Film- und Medienwissenschaft an der Frankfurter Goethe-Universität und müssen es deshalb ja wissen: Wie werden wir denn nun in Zukunft miteinander kommunizieren? VINZENZ HEDIGER: Neue technische Medien wie das Internet verändern stets die Art und Weise, wie wir miteinander reden. Schon heute leben wir in einer Medienkultur, und es gibt kaum noch soziale Räume, die nicht medial erschlossen wären. Durch öffentliche WLAN-Netze und Smartphones hat man mittlerweile fast überall einen Zugang zum Internet. Vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen, aber schon heute kommunizieren die Menschen online via YouTube-Videos oder unterhalten sich in Social-Media-Netzwerken wie Facebook. Diese Tendenz wird sich in Zukunft sicher noch weiter verstärken.
Bleiben wir kurz bei Facebook. Warum ist dieses Netzwerk im Moment so immens erfolgreich? Es gibt in der Geschichte immer wieder Entwicklungen, mit denen absolut niemand gerechnet hat. Wer hätte einst geglaubt, das es uns einmal so sehr interessiert, was andere in diesem Moment denken? Denn das Geheimnis von Facebook, oder auch von Twitter, liegt meiner Ansicht nach vor allem darin, dass jeder immer nur von sich selbst spricht – und alle anderen finden das spannend.
Das klingt aber eigentlich eher nicht nach Austausch und Kommunikation. Naja, Facebook dient eigentlich vor allem der Veröffentlichung eines Selbstgesprächs, das man ohnehin immer führt. Das ist für die Nutzer sehr reizvoll, denn die Lust am Über-sich-selbst-Reden steckt in jedem Menschen. In der realen Welt muss dieser Drang unterdrückt werden, denn wer mag sich schon einen Abend lang mit jemandem unterhalten, der außer sich selbst kein Thema kennt. Dass man das bei Facebook ausleben kann und dafür auch noch mit Interesse belohnt wird, kann durchaus eine psychohygienische Wirkung für den Einzelnen haben. Insofern stellt diese Art der Kommunikation eben keine Fortsetzung der herkömmlichen Kommunikation mit anderen Mitteln dar, sondern schafft einen ganz neuen Raum für Interaktion und Kommunikation.
Das Vorurteil lautet aber doch: Wer nur noch über Social Media kommuniziert, der ist zu echten Gesprächen nicht mehr fähig. Es gibt aber doch kaum jemanden, der nur noch über Facebook kommuniziert. Für den allergrößten Teil der Menschen gilt viel eher: Der Gesamtbetrag der Kommunikation steigt stark an. Man hat über Social-Media-Netzwerke Kontakt zu Menschen aus seinem Leben, die man ansonsten kaum noch trifft. Früher waren zum Beispiel Klassentreffen nötig, um zu wissen, was alte Schulkameraden heute machen. Heute ist es ein Leichtes, mit diesen Menschen zu kommunizieren, weshalb es viele ganz selbstverständlich auch tun. Insofern sehe ich da eher den Aspekt der Bereicherung als ein Verkümmern.
Ist das die einzige Neuerung, die die Kommunikation über Facebook und Co. bietet? Nein, gerade was wir vor ein paar Monaten bei der Revolutionswelle beim „arabischen Frühling“ in Nordafrika erlebt haben, zeigt noch einen ganz anderen Aspekt auf. Anlass aller Unruhen war der Selbstmord eines Straßenhändlers in Tunesien, der das Leben in einem so unfreien Land nicht mehr ertragen hat. Über Facebook verbreitete sich diese Nachricht rasend schnell in ganz Nordafrika und löste letztlich den Sturz etlicher Regierungen aus. Auch bei der Organisation des Widerstands spielten soziale Netzwerke eine zentrale Rolle – und das alles live und vor den Augen der ganzen Welt. Ohne neue Kommunikationsmittel und deren zentrale Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten wären diese Revolutionen nicht möglich gewesen. Ghandi hat einmal gesagt: „Es genügt, soziale Ungerechtigkeit sichtbar zu machen, um sie zu bekämpfen.“ So gedacht, hat man es hier mit einem politischen Akt der Kommunikation zu tun.
Und wo geht die Reise hin? Wie kommunizieren wir in 20 Jahren? Wenn ich da eine Ahnung hätte, dann würde ich mich sofort hinsetzen, an dieser Innovation arbeiten und damit viel mehr Geld verdienen, als ich es jetzt tue. Ich weiß es aber nicht. Fest steht: Wir können uns darauf verlassen, dass irgendwann irgendwer den nächsten Schritt tut.
>> Woche der Kommunikation, 24. bis 30.10., zahlreiche Veranstaltungen zum Thema, Beginn der Ringvorlesung Medienkultur und Bildung im Zeitalter digitaler Netzwerke am 26.10.