dk auf Tour – Phil Minton: Das ganze Leben in einer Stimme

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Detlef Kinsler /

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Ein Konzert vergesse ich mein Lebtag nicht: „Off Abbey Road“, der gelungene wie geniale Versuch, das Meisterwerk der Beatles auf ganz eigenwillige Weise neu zu interpretieren. Als Sänger glänzte dabei in Mike Westbrooks Bläser-durchsetzen Truppe (eine Tuba ersetzte McCartneys Bass) ein gewisser Phil Minton. Das ist 20 Jahre her und seitdem hat sich der Ausnahme-Vokalist aus Devon, der auch Trompete spielt, einen immer wohl klingenderen Namen in der Jazz-, und Avantgarde-Szene gemacht, u.a. mit Carla Bley, Peter Brötzmann, Ulrike Hagge, FM Einheit (Einstürzende Neubauten) und Alfred Harth zusammen gearbeitet. Nun kam der „beste männliche Sänger Europas“ wie ihn die Zeitschrift Jazz Forum nannte in der Reihe „Sommer Musik Städel“ nach Frankfurt, um dort als einer von zwei Programmpunkten am zweiten Abend – wegen des Wetters leider wieder nicht vorm Museum – aufzutreten.

Gut 20, vielleicht 25 Minuten blieben Minton, Jahrgang 40, der aber aussieht wie all die Jahre schon. Wie Peter Green am Abend zuvor konzertierte auch er im Sitzen und schaffte es trotzdem, allein und ohne Begleitung mit seinem ganzen Körper zu singen. Am Anfang richtete er sich ein, konzentrierte sich, eine kleine Meditation, Atemübungen, Einatmen, Ausatmen. Aber wer weiß, ob das nicht schon Teil der Komposition/Improvisation war?! Was dann folgte war wie eine kleine „World Sinfonie“ oder das ganze Leben in einer Stimme in sehr komprimierter Form. Ganz langsam steigerte sich sein Vortrag, immer deutlicher wurde, was ein Mensch alles mit seiner Stimme auszudrücken im Stande ist, wenn er sein Instrument beherrscht. Es dauerte nicht lang, bis Minton mit vollem Körpereinsatz dabei war, sich in seinem Stuhl hob und senkte, mit Händen und Füße als Quasi-Navigationsinstrumente hantierte und nicht nur seine Gesichtsmuskeln dabei verzog. Mit zur Hässlichkeit gehört zu einer solchen Performance, keine Frage, auch was das Farbenspiel des Gesichtes betraf.

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Das ist Body Language, wie man sie auch von Roger Waters mit Ron Geesin schon 1970 auf Platte hörte, unappetitliche Körpergeräusche inklusive, und auch später auf Pink Floyds „Ummagumma“ plus Tiergeräusche in „Several Species of Small Furry Animals Gathered Together in a Cave and Grooving with a Pict" (war ich stolz, als ich diesen Songtitel endlich auswendig aufsagen konnte). Man tut Minton sicher nicht unrecht, wenn man bei Teilen seines Vortrags allzu menschliches assoziiert, den morgentlichen Kampf auf dem Klo bei Verstopfung zum Beispiel und die Erleichterung nach verrichtetem Geschäft. Doch so profan in dem einen, so spirituell wirkte das Ganze in einem anderen Moment nach mittelalterliche Chorälen oder gutturalen Mönchsgesängen aus Asien, wenn auch alles eher als Rudiment. Auch trivialste Kunstgattungen sparte Phil Minton nicht aus. Stimmen aus den Zwischenwelten wie aus US-Horror-Streifen, eine kleine Hommage zum 75. an Donald Duck – sämtliche möglichen Assoziationen lagen im Ohr des jeweiligen Zuhörers. Dagegen stand die Realität in ihrer ganzen großen Spanne, Geburt, Tod, Schmerzensschreie, Jauchzer und undifferenzierte Artikulationen, Wirres, Psychotisches.

Aber auch räumlich ist die Stimme ständig auf Reisen. Eben noch alpenländliche Jodler, ein wenig später dann Obertöne aus der tuvinischen Steppe – unglaublich was Phil Minton in kurzer Zeit auf die Bühne brachte. Am 7.7. geht´s dann weiter im Städel bei freiem Eintritt und dann hoffentlich auch Open Air mit TÜÜT, einem Autohupen-Hörspiel, und den Revolutionsliedern von ARBEIT.

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Fotos: Detlef Kinsler


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