Seit zehn Jahren kämpft attac von der Bankenmetropole Frankfurt aus für ein besseres Weltwirtschaftssystem. Das JOURNAL FRANKFURT im Gespräch mit dem Geschäftsführertandem Stephanie Handtmann und Andreas van Baaijen.
Journal Frankfurt: Wie konnten wir in die Finanzkrise schlittern? Van Baaijen: Die Realwirtschaft, in der wir Normalbürger uns bewegen, wurde aber nicht mehr beachtet, weder auf politischer, wissenschaftlicher noch volkswirtschaftlicher Ebene. Die Volkswirtschaft spielt keine Rolle mehr. Es geht nur noch um betriebswirtschaftliche Sichtweisen. Der ganze Finanzbereich hat enorm an Bedeutung gewonnen, entglitt dabei aber vollkommen der Politik. Handtmann: Das ist eine völlig logische Folge der Art und Weise, wie das Wirtschaftssystem funktioniert und aufgebaut ist. Es geht gar nicht mehr darum, Wirtschaft im Interesse der Menschen zu betreiben. In den letzten 15 Jahren sind die Finanzgeschäfte sprunghaft angestiegen. Viele Leute haben damit gutes Geld verdient. Und auf politischer Ebene wurde kein Riegel davor geschoben. Infolgedessen brach das System zusammen und weite Teile der realen Wirtschaft sind mit hineingezogen worden.
Sie wissen, wie wir da wieder rauskommen? Van Baaijen: Das liegt im Grunde auf der Hand: Eine Kontrolle über das, was passiert. Ein Wissen darüber, was man will. Wirtschaft im Interesse der Menschen. Da spielen Begriffe wie Gerechtigkeit und Umverteilung eine wichtige Rolle. Schlimm nur, dass aus der Krise offensichtlich nicht gelernt wurde. Die Regierung reagiert nicht, wird aber auch nicht von der Bevölkerung vorgeführt.
Warum reagiert denn die Bevölkerung nicht? Van Baaijen: Eine Erklärung ist eine Orientierungslosigkeit seitens der Bevölkerung, wenn die Dinge immer komplizierter und unverständlicher werden. Was kann ich als Einzelner denn tun? Man weiß, egal was man macht, es ändert nichts. Es gibt eine Krise der Demokratie, was einen mangelnden Druck auf diejenigen, die behaupten, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, mit sich bringt.
Haben die Gipfel von G8 und G20 beziehungsweise die Finanzkrise für einen Boom der Mitgliederzahlen gesorgt? Handtmann: Wenn wir massiv in der Öffentlichkeit auftreten, Aktionen machen und auch ein Thema erwischen, das den Leuten unter den Nägeln brennt, erhöhen sich die Mitgliederzahlen tatsächlich. Im Ganzen G8-Kontext haben wir viele tausend neue Mitglieder innerhalb weniger Wochen hinzubekommen. Da haben sie uns die Tür eingerannt. 2003 G8-Protest
Was halten Sie eigentlich von unserer schwarz-gelben Regierung?
Van Baaijen: Abgesehen von den politischen Inhalten bin ich über die Unprofessionalität der Regierung wirklich erschrocken. Wie sie sich öffentlich darstellt, wie sie Themen bearbeitet, wie sie nicht in der Lage ist ein Regierungsprogramm zu haben. Das ist mir zwar nicht so wichtig und freut mich auch eher, aber es wundert mich, wie Leute, die ihr Leben lang vom Staat dafür bezahlt werden, weil sie Berufspolitiker sind, nicht dazu in der Lage sind. Handtmann: Ich denke, dass sich die Gangart nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verschärfen wird. Im Moment hat man eher den Eindruck, dass die richtigen Knaller noch gar nicht ausgepackt sind. Die werden zwar immer mal angedeutet, aber die Regierung hält noch still und will die Landtagswahl erst in trockene Tücher bringen, bevor richtig zugelegt wird.
Kommen wir zu attac. Wie blicken Sie auf zehn Jahre attac zurück? Van Baaijen: Auch wenn ich nicht von Anfang an dabei war, habe ich die Gründung von attac, die ja hohe Wellen geschlagen hat und in kürzester Zeit zu einem riesen Netzwerk geworden ist, mitbekommen. Zehn Jahre attac heißt für mich: Ja es geht - eine soziale Bewegung, die wach und agil bleibt und sich nicht in der Bürokratie verliert, kann funktionieren. Handtmann: Es ist sehr viel passiert. Wir haben uns in sehr viele Themen, auch inhaltlich, eingemischt. Wir haben Akzente gesetzt und Diskussionen angeregt, Forderungen gestellt und Debatten herbeigeführt. Ursprünglich ist attac als Vereinigung zur Besteuerung der Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger gegründet worden. Vor zehn Jahren eine völlig abgefahrene Forderung. Aber jetzt ist sie in aller Munde. 2009 Aktion "Kapital an die Kette" in Frankfurt
Sogar die G20 sprechen davon. Wird attac jetzt aufgelöst? Handtmann: Die geplante Finanztransaktionssteuer ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Das heißt ja noch lange nicht, dass es ein gerechtes Weltwirtschaftssystem gibt. Oder dass die weltweiten Unterschiede zwischen Arm und Reich auch nur andeutungsweise revidiert werden. Die Steuer ist nur ein winzig kleiner Teil, der zwar eine gewisse Summe Geld generiert, die dann auch für Entwicklungsprojekte ausgegeben werden können, aber das löst ja kein grundlegendes Problem mit dem Weltwirtschaftssystem oder der ungerechten Verteilung von Reichtum auf dieser Welt. Van Baaijen: Außerdem haben wir noch genug andere Forderungen, so dass wir uns mit Sicherheit nicht abmelden werden.
Was waren für Sie persönlich die spektakulärsten Aktionen? Handtmann: Die Aktion 2008 in Frankfurt, als wir in den Saal der Frankfurter Börse gegangen sind und über das Allerheiligste der Finanzmärkte, die Dax-Tafel, unser Banner gehängt haben, auf dem stand: „Finanzmärkte entwaffnen – Mensch und Umwelt für Profit“. 2008 Stürmung der Frankfurter Börse
Van Baaijen: Wichtig fand ich auch die Bahnkampagne gegen eine Privatisierung. Diese Aktion war ein wichtiger Grund, warum es nicht zu einer Privatisierung kam und auf lange Sicht auch nicht kommen wird. 2006 Bahn-Aktion Berlin Hauptbahnhof
Warum hat das Bundesbüro seinen Sitz ausgerechnet in Frankfurt? Handtmann: Der Hauptgrund ist, dass wir hier in der Stadt der Finanzen, der Finanzindustrie in Deutschland sitzen. Frankfurt ist die Bankenstadt und die Kernthemen von attac beschäftigen sich genau damit. So wollten wir demonstrieren, dass wir nicht nach Berlin gehen, wo alle anderen Organisationen sitzen, weil es uns nicht primär darum geht, Lobbyarbeit zu betreiben. Wir haben unsere Zelte bewusst in Frankfurt aufgeschlagen, um der Dominanz der Finanzmärkte inhaltlich etwas entgegensetzen. Dezember 2002 Eröffnung des Bundesbüros in Frankfurt
Wo sehen Sie attac in zehn Jahren? Van Baaijen: Wir werden weiterhin den Finger in die Wunde legen und die Menschen dazu animieren, Alternativen zu entwickeln. Handtmann: Ich fürchte, wir werden nicht überflüssig werden. Wir müssen viel mehr Menschen aufzeigen, dass man etwas tun und sich wehren kann. Die Verhältnisse sind nicht gottgegeben, sondern das ist Politik, die von Menschen gemacht wird. Und wenn Leute sich engagieren, können sie etwas erreichen. Die Ohnmacht der Leute muss überwunden werden. Und wir werden weiterhin der Sand im Getriebe sein. 2009 Verteilung des Zeit-Plagiats in Frankfurt