Das Museum Angewandte Kunst setzt sich gegen das Vergessen ein und ruft mit einer Videoausstellung Erinnerungen wach – mit 18 hochpolitischen Filmen von Künstlern aus der ganzen Welt.
Ronja Merkel /
Menschen haben die besondere Gabe, Unangenehmes zu verdrängen und zu vergessen. Das mag manchmal hilfreich sein, um sich selbst zu schützen, es verhindert jedoch Veränderungen und Verbesserungen. Das neueste Projekt im Museum Angewandte Kunst spricht sich gegen das Vergessen und für bewusste Erinnerungen aus, dafür geht es über die Grenzen seines Hauses hinaus und verwandelt den angrenzenden Park in eine Containerlandschaft, die gleichermaßen als Ausstellungsfläche wie auch als Ort der Diskussion und des Austauschs dient.
Die Videoausstellung „memórias inapagáveis“ setzt sich in zahlreichen Filmen mit dem Wert von Erinnerungen auseinander und macht ihre Bedeutung hinsichtlich kultureller, politischer und gesellschaftlicher Konflikte deutlich. Das Bildmaterial stammt überwiegend aus der Sammlung „Assoçião Cultural Videobrasil“ und konzentriert sich vor allem auf Filmemacher aus Asien, Afrika, Südamerika, Osteuropa und dem Mittleren Osten.
Videokunstwerke, Dokumentationen und Interviews erzählen von Spannungen und Eskalationen wie dem Sklavenhandel zwischen Afrika und Brasilien, dem Militärputsch in Chile, aber auch den aktuellen Flüchtlingsströmen. Die Schau möchte nicht belehren oder ermahnen, sie unterstreicht jedoch, dass sich Probleme nicht verflüchtigen, indem man sie verdrängt. Auch hinsichtlich des Begleitprogrammes geht die Schau weit über übliche Veranstaltungen hinaus: Vorträge, Diskussionen und Führungen intensivieren das Erlebnis und tragen dazu bei, den Besuch nicht bloß als kulturelles Nachmittagsprogramm abzutun, sondern trotz aller künstlerischen Ästhetik, den Ernst des behandelten Themas wahrzunehmen. Das Museum Angewandte Kunst bietet mit dieser Schau dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ der Goethe-Universität Frankfurt ein Forum, das dieses so wichtige und sinnvolle Projekt ins Leben rief. Nicht nur ist diese Schau ein großartiger Beitrag zur B3 Biennale des bewegten Bildes, sie ist vor allem ein wichtiger Appell an jeden von uns, mehr hinzusehen und weniger zu vergessen.
Zuerst erschienen im Journal Frankfurt vom 8. September 2015.
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin.