Pumpen, Pillen & Prothesen

Altes neu entdecken: 12. Tage der Industriekultur

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Die Route der Industriekultur reicht von Bingen bis Miltenberg. Vom 18. bis 27. Juli werden wieder historische Fabriken, Anlagen und Gebäude geöffnet. Schwerpunkt der Tage der Industriekultur: Gesundheit.

Nicole Brevoord /

Wer mit dem Auto oder dem Rad öfter am Schwanheimer Ufer vorbei rauscht, hat bestimmt schon mal das herrschaftlich wirkende Gebäude gesehen, ungefähr dort, wo es bei schlechten Witterungsbedingungen auch mal unangenehm müffelt. Dem denkmalgeschützten einstigen Betriebsgebäude aus dem Jahr 1904 sieht man nicht an, dass es zur Niederräder Kläranlage gehört, es ist viel zu schön, scheint deplatziert. Wie es darin aussieht, das wissen nur wenige Menschen, denn das Gebäude öffnet nur zu speziellen Anlässen und ist sonst den Mitarbeitern des Labors vom Umweltamt vorenthalten. Wenn vom 18. bis 27. Juli die KulturRegion FrankfurtRheinMain bei den 12. Tagen der Industriekultur wieder den Fokus auf die oft vergessenen Schätze der Industrialisierung zwischen Bingen und Miltenberg legt, werden die Besucher auch zu den alten, geruchsneutralen, Klärbecken in Niederrad hinabsteigen können, entdecken ein Art Deco Mosaik und ein faszinierendes Gewölbe aus gelblichem Sandstein mit Wassergräben, die grünlich schillern. Es handelt sich dabei um das erste mechanische Klärwerk des europäischen Kontinents aus Zeiten, als man seine Exkremente noch in Kübeln in der Gosse entsorgte und die aus Hygienemangel entstandenen Krankheiten Cholera, Pest und Typhus die Menschen bedrohten. 1887 ging das Klärwerk in Betrieb, damals galt es nur die Abwässer von 140 000 Einwohner zu klären, dann wurde es erweitert und heute reicht ein Klärwerk auch nach einer Erweiterung lange nicht mehr aus, darum hat Frankfurt zwei.

Verkehrsdezernent Stefan Majer, der auch für die Stadtentwässerung zuständig ist, weiß zu berichten, dass es erst 1880 Wasserklosetts gab und die Stadt Frankfurt bald einsehen musste, dass man die Abwässer nicht ungeklärt in den immer schmutziger werdenden Main entsorgen konnte. „Man hatte die Kläranlage damals extra außerhalb des Stadtgebiets errichtet.“ Heute ist Niederrad nicht mal der äußerste Bezirk der Stadt, die in den vergangenen 120 Jahren rasant gewachsen ist.

„Wir leben in einer Region, die ihre historischen Wurzeln strak in der Industriegeschichte hat“, sagt Thomas Will, Aufsichtsratsvorsitzender der KulturRegion FrankfurtRheinMain. „Uns allen geht es doch so, dass wir in der Region an Kleinoden vorbeifahren, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Darauf will die Route der Industriekultur hinweisen.“ Die Route führt entlang 40 Städte, von Rheinland-Pfalz bis nach Miltenberg und von immer mehr Menschen aus der Region werden die alljährlichen Tage der Industriekultur herbeigesehnt, weil es dann wieder seltene Einblicke in Firmenvillen, alte Fabrikhallen, Schleusen oder andere vormals industriell genutzte Gebäude gibt, Führungen und Vorträge machen die Geschichte greifbar.

In diesem Jahr heißt das Motto der Tage der Industriekultur „Pumpen, Pillen und Prothesen“, es geht also im weitesten Sinne um Gesundheit aber auch um Errungenschaften, die uns heute selbstverständlich erscheinen: frisches Wasser, Müllbeseitung, oder auch Schwimmbäder. In Darmstadt ist etwa das Jugendstilbad zu besichtigen, man kann sich aber ebensogut anschauen, wie eine Apotheke im 17. Jahrhundert aussah oder sich in einer Ausstellung über Hildegard von Bingen über Kräuterkunde informieren und in historischen Eisenbahnen und auf Schiffen fahren. Die Bandbreite des diesjährigen Programms wurde nochmals erweitert. Jetzt werden 170 Programmpunkte mit mehr als 400 Veranstaltungen in 35 Städten geboten. Zu vielen veranstaltungen muss man sich anmelden, weshalb ein frühzeitiger Blick in das Programm auf der Homepage oder im in vielen Museen, Rat- und Bürgerhäusern ausliegenden Büchlein zu den Tagen der Industriekultur ratsam ist.


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