Praktikantenweisheiten V

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Sunita Sukhana /

exotische frauIch habe ein neues Lieblingsspiel. Wenn ich mit der Bahn fahre, wenn ich die Zeil entlang wandere, wenn ich in einem Café sitze – immer und überall schützt es mich vor Langeweile. Und ganz nebenbei verändert es meine ganze Weltsicht. Die Spielanleitung? Ich beobachte die Leute um mich herum und nenne gedanklich das Beste an jeder Person. Ich laufe also umher und denke: Sie hat ein schönes Oberteil, er gut geformte Unterarme, sie ein nettes Lächeln, er ist Japaner – das reicht, Japaner sein ist bereits eine gute Eigenschaft. Mehr braucht es nicht.



Natürlich muss man nicht unbedingt Japaner sein. Die Hauptsache ist, dass man nicht einfach nur deutsch ist. Zumindest kommt es mir manchmal so vor. Ein ausländisches Aussehen macht sofort interessanter, meistens genügt sogar der Akzent. Letzte Woche redete mich in der U-Bahn ein junger Mann an. Kurze dunkle Haare, T-Shirt, Jeans – völlig normal. Mein erster Gedanke war standardgemäß „Nerv mich nicht“. Doch dann bemerkte ich seinen amerikanischen Akzent. Das warf gleich ein ganz anderes Licht auf ihn. Wie sich herausstellte, war er Tourist, der ein Wochenende in Frankfurt verbrachte. Touristen haben ja noch ganz andere Vorteile. Erstens: Leute im Urlaub, sind meistens ein bisschen lockerer drauf, als der alltagsgenervte Rest. Zweitens: In ein paar Tagen wird man sie nie wieder sehen. Hat auch seinen Reiz.

Aber was ist es, das Menschen anderer Herkunft attraktiver macht? Die Sprache? Englisch hat diese berühmte Coolness. Und in Italienisch oder Spanisch geht jeder Satz direkt ans Herz, mag er noch so belanglos sein. Daneben klingt Deutsch wie ein ewiges Gespräch über das Wetter. Auf der anderen Seite klingt wahrscheinlich die eigene Sprache immer etwas langweilig. Doch die Sprache kann nicht der einzige Grund sein. Immerhin wirken auch Deutschsprachige mit Akzent oft sehr anziehend. Von ihnen erhofft man einen Einblick in eine fremde Kultur. Vielleicht lernt man ja eine neue Religion kennen, ein paar spannende Rituale, aufregende Mode oder ein abwechslungsreiches Kochrezept.

Es geht also um Abwechslung, um Abenteuer. Vielleicht auch um den Wunsch, einmal in ein anderes Land zu reisen. Dabei gilt die Regel: Je exotischer, desto besser – mal abgesehen von den Dauerbrennern England und Amerika. An dem Punkt empfehle ich ein weiteres Spiel: Nationalitäten raten (falls es gerade mal eine Ausländer-Flaute gibt, funktioniert es übrigens auch mit Bundesländern). Dabei versuche ich die Herkunft meines Gegenübers aufzudecken und ermuntere ihn, auch meine herauszubekommen. Ohne solche Spiele im Urlaub hätte ich wohl nie erfahren, dass mich viele für eine Italienerin halten.

Apropos Urlaub. In meinem letzten Frankreich-Urlaub konnte ich den umgekehrten Effekt des Ausländer-Bonus erfahren. Das Deutschen-Makel. Mit einer Freundin beobachtete ich stundenlang zwei gutaussehende Franzosen. Wenigstens dachten wir das. Selbstverständlich besprachen wir dabei auch ausführlich alle Vor- und Nachteile ihrer Erscheinung. Gerade als wir uns ein wenig wunderten, dass einer von ihnen zu uns hinüber sah, als hätte er zugehört, fragte er uns in verdächtig akzentfreiem Deutsch „Was habt ihr gesagt?“. Tatsächlich kamen die beiden nicht nur aus Deutschland, sondern auch noch ganz aus der Nähe, nämlich aus Offenbach. Und sie hatten die ganze Zeit über zugehört. Mal davon abgesehen, dass es furchtbar peinlich war, verloren sie in dem Augenblick ihren Reiz, in dem sie sich als Landsmänner entpuppten. Im Ernst, wer will schon im Ausland Deutsche kennen lernen?

Menschen, die von Geburt an mit dem Makel gezeichnet sind, ganz und gar deutsch zu sein, müssen trotzdem nicht verzweifeln. Vielleicht finden sie jemanden, der genau das schätzt. Oder dem es einfach vollkommen egal ist. Wenn nicht, gibt es nur eines: ins Ausland ziehen und hoffen, dass auch hier der Reiz des Fremden weit verbreitet ist.


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