In seiner ersten Frankfurter Poetikvorlesung wühlte Clemens Meyer tief im Urschlamm der Schriftstellerexistenz. Es ging um Porno und Lohengrin, DDR und Heiduczek. Das brachte die Köpfe zum Schwirren.
Christoph Schröder /
Da unten steht er, im Großen Hörsaal des Campus Westend, im schwarzen Anzug, im schwarzen Hemd, er räuspert sich, trinkt, und dann legt er los, und er legt los, wie lange niemand mehr losgelegt hat im Rahmen dieser Veranstaltung: Clemens Meyer, der in diesem Sommersemester an fünf Terminen die altehrwürdige Frankfurter Poetikvorlesung bestreitet, gilt als einer, der das offene Wort nicht scheut. Der in Halle geborene und in Leipzig lebende Schriftsteller landete mit seinem Debütroman „Als wir träumten“ (unglaublich sei es, sagt Meyer, dass vor ihm noch niemand auf diesen grandiosen Titel gekommen sei) im Jahr 2006 einen Sensationserfolg; es ist ein hartes Buch vom Aufwachsen junger, sozial unterprivilegierter Menschen im Leipzig der Nachwendezeit.
Und in seiner Poetikvorlesung mit dem Titel „Der Untergang der Äkschn GmbH“ wühlt Meyer nun tief im Urschlamm seiner Schriftstellerexistenz. Er tut das mit Aplomb und Witz und Ironie, aber auch mit einem spürbar tiefem Ernst, der unter allem liegt. Die Gewalt, der Tod, der Schmerz, die Verluste – sie alle sind stets präsent. Was Meyer zutage fördert, ist ein Sammelsurium, ein hochexplosives Gemisch: Porno und Lohengrin, das Leipzig der Nachwendezeit und Kolportage-Romane, DDR-Schriftsteller wie Werner Bräuning oder Werner Heiduczek als Symbolfiguren eines verloren gegangenen Referenzrahmens.
Zunächst aber ist Meyer ein begnadeter Performer: Seine Stimme röhrt, er verliert, mal absichtlich, mal unabsichtlich den Faden, findet ihn wieder oder knüpft an ganz anderer Stelle neu an. Die Äkschn GmbH des Clemens Meyer ist ein gigantischer Betrieb. Er produziert Mythen, Geschichten, Bedeutung, Kontexte. Meyer führt uns sozusagen in den Betriebsraum. Dorthin, wo die entscheidende Frage gestellt wird: „Wozu Literatur? Sentiment oder Zorn oder alles?“ Auf 45 Minuten sind die einzelnen Vorlesungen angelegt; Meyer nahm sich gleich zu Beginn einfach mal die doppelte Zeit. Es war monströs, ausufernd, großartig. Wer früher gegangen ist, ist selbst Schuld. Den Zuhörern werden in den kommenden Wochen noch die Köpfe schwirren.
>> Nächste Termine: 16., 23., 30.6. und 7.7., jeweils 18 Uhr im Audimax des Hörsaalzentrums auf dem Campus Westend.