Niemand ist perfekt

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Almut Siefert /



Ein bizarres Bild: Ich unterhalte mich gerade mit einem netten, interessanten Mann, da stürmt eine Frau auf ihn zu und dankt ihm gerührt für „seine bewegende Arbeit“. Der Mann ist Niko von Glasow, Regisseur und Leiter des Projektes „Nobody’s perfect“. Und die Frau ist restlos begeistert. Begeistert von zwölf mannshohen Aktfotos auf dem Marktplatz der Konstablerwache. Dass die Porträtierten alle eine Contergan-Behinderung haben, fällt erst auf den zweiten Blick auf. Von Glasow ist selbst ein „Contergankind“ und posierte ebenfalls nackt für eines der Bilder. Zu der Ausstellung gibt es noch einen Pin-up Kalender, ein Buch und einen Film, alle mit dem Titel „Nobody’s Perfect“. Die Bilder gefallen mir: sie sind ästhetisch und faszinierend zugleich. Die Gesichter der Fotografierten strahlen eine Art innere Ruhe aus. Vielleicht liegt es am lockeren und humorvollen, aber auch einfühlsamen Umgang, den Niko von Glasow mit seinen Model-Freunden pflegt. Das wird vor allem im Film, in dem der Regisseur die Kontaktaufnahme mit den Models und die Entstehung der Fotos dokumentiert, deutlich.

In unserem Gespräch erzählt mir von Glasow seine Sichtweise auf das Projekt. Das Ziel der Ausstellung und vor allem auch des Films sei es, eine gewisse Normalität herzustellen. Er wolle damit die Theorie bestätigen, dass, „wenn man längere Zeit mit Behinderten zusammen ist, sich an sie gewöhnt und nach 90 Minuten als ganz normal sieht“. Auch er selbst hat Veränderungen an sich festgestellt: durch die Arbeit mit anderen Conterganbehinderten sei für ihn endlich ein normalerer Umgang mit seiner Behinderung möglich. „Vorher habe ich mich nicht gerne mit Gleichgesinnten umgeben, da sie mir wie ein Spiegel vorkamen und mich mit meiner Behinderung konfrontierten“, sagt der 1960 geborene Regisseur. Auch nackt wollte er sich nie in der Öffentlichkeit zeigen. Erst durch die Arbeit an diesem Projekt habe er seinen Körper in einem ganz neuen Licht gesehen. Durch die Konfrontation mit seiner Grundangst habe sich bei ihm ein innerer Knoten gelöst. Er sei seinem Lebensziel endlich glücklich zu werden, ein gutes Stück näher gekommen. Solche privaten Einblicke wie diese sind es auch, die den Film so wertvoll machen.

An der Ausstellung der Bilder sollen die Menschen sich endlich einmal satt starren, so von Glasow. Denn an deren Blicke werde er sich nie gewöhnen. Die schlimmsten Blicke seien die mitleidigen, „denn Mitleid bedeutet immer Dominanz, Mitleid hat man nur mit Untergeordneten“. Es passiere sogar, dass Menschen ihm auf der Straße Kleingeld geben. „Sie halten mich für einen Bettler. Man geht eben nicht davon aus, dass Behinderte erfolgreich sind“.

Eine Passantin, die die Bilder lange anschaut, beschreibt mir ihre Eindrücke: „Zuerst war ich überrascht, weil hier so große Fotos stehen, dann erkannte ich, dass es Nacktfotos sind und war ein wenig peinlich berührt. Erst beim näheren Hinschauen stellte ich fest, dass die Menschen auf den Bildern alle eine körperliche Fehlbildung haben. Aber die Bilder gefallen mit gut und es ist wichtig, dass das Thema Contergan nicht in Vergessenheit gerät.“

Eine so reflektierte Einschätzung teilen längst nicht alle. Manche bleiben erst gar nicht stehen und gehen pikiert weiter. Andere finden die Bilder „einfach nicht schön“. Ich frage ein Paar aus Argentinien, was sie von den Bildern halten: „Beeindruckend – aber auch extrem schockierend.“ Der Mann schüttelt angewiedert den Kopf und sagt schlicht: „Das ist nichts für mich.“

Niko von Glasow steht für ein Pressefoto neben seinem eigenen Porträt: „Es ist für mich nicht so, als stünde ich neben einem Bild von mir. Man bekommt durch die Bilder einen ganz neuen Blick auf sich selbst.“

Foto: Harald Schröder


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