Knorkator vertont Struwwelpeter

Verstörend, komisch, spröde, schrullig

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Ein Album „We Want Mohr“ zu nennen und den Struwwelpeter in Wort und Bild zu zitieren genügte schon, einen Shitstorm zu provozieren. Die Band Knorkator musste sich gefallen lassen, des Rassismus bezichtigt zu werden und bezieht jetzt Stellung.

Interview: Detlef Kinsler /

JOURNAL FRANKFURT: In einem ersten Presseinfo stand: Knorkator wollten schon immer ein wenig die modernen Heinrich Hoffmanns sein... Worin besteht denn die Geistes- gar Seelenverwandtschaft?

Alf Ator: Der Struwwelpeter ist verstörend, komisch, etwas spröde und schrullig, dabei aber Kult bei jung und alt – das sind exakt die Kriterien, nach denen wir auch uns selbst definieren.

Was war so reizvoll an den „Struwwelpeter“-Texten und gaben die Charaktere quasi schon musikalische Umsetzungen vor? Es sind ja „nur“ drei auf dem Album, es ist keine komplette Hoffmann-Platte...

Die Idee dazu entstand schon vor 15 Jahren. Eine Struwwelpeter-Vertonung als Konzeptalbum war eine verlockende Herausforderung. Doch es stellte sich als sehr schwierig heraus. Es gibt im Großen und Ganzen nur zwei verschiedene Reimformen, die Verslängen variieren dagegen völlig willkürlich, wie es dem Dichter gerade in den Kram passte. Daraus halbwegs machbare Strophen zu basteln, klappte fast nie. Kaum hatte ich eine Melodie, welche mit ein paar Zeilen einer Geschichte harmonierte, war die nächste „Strophe“ zu lang oder zu kurz. Es gelang mit Ach und Krach nur bei ein oder zwei Kapiteln, dann wurde es Krampf. Und so legten wir das Vorhaben erstmal auf Eis. Erst als mir die Idee kam, dass uns ja niemand zwingt, ein komplettes Konzeptalbum zu machen, wurde ein Schuh draus. Jetzt haben wir erstmal drei Stücke, vielleicht gibt es auf der kommenden Scheibe die nächsten drei.


Ich unterstelle mal: als ihr die CD-Titel gewählt habt, spielte eher die Klangverwandtschaft zu We Want More im Vordergrund und nicht die Provokation einer angeblich auf Krawall gebürsteten Band? Seid ihr verwundert was für ein Shitstorm über euch hereingebrochen ist, auch wegen die Illustration-Zitate zum „Struwwelpeter“, Tenor: rassistisch, politisch unkorrekt... Plötzlich findet man sich gar in der rechten Ecke wieder...


Ja, das ist ein wenig seltsam gelaufen. Ich meine, böse Buben zu sein, die verbotene Dinge machen, ist eine Sache, und wir genießen dieses Image natürlich auch ein wenig. Aber plötzlich in eine konkrete politische Ecke gestellt zu werden, ist eigentlich nicht unser Wunsch. Doch wir sollten uns nicht beschweren, denn in der modernen Kunst spielt der Betrachter nun mal eine wichtige Rolle. Das Spiel mit dessen Reaktion ist die eigentliche Kunst an der Sache. Und nur wenn die Reaktion genau so stattfindet, wie der Künstler es geplant hat, hat er auch gewonnen. Wenn nicht, hat er halt irgendwas nicht beachtet. Mit anderen Worten: Wer wie wir auf political correctness scheißt, sollte darauf vorbereitet sein, dass sich Leute aufregen, denen das wichtig ist. Natürlich habe ich zu der ganzen Problematik auch eine ganz persönliche Meinung: Rassismus ist ein schlimmes Wort. Und jede Sprache braucht schlimme Worte, um schlimme Dinge zu beschreiben. Aber wenn es nach dem Verein ISD geht, ist es schon rassistisch, sich zum Fasching als Schwarzer zu verkleiden. Der Struwwelpeter selbst sei schon rassistisch, weil Worte darin vorkommen, die man heute nicht mehr sagen soll. Und wie ich hörte, gibt es sogar „positiven Rassismus“, zum Beispiel, wenn ich behaupte, dass schwarze Musiker ein besseres Rhythmusgefühl haben. Ich will nicht so tun, als wüsste ich nicht, dass viele Schwarze sehr oft mit nervenden Situationen konfrontiert sind. Und natürlich erreicht man weniger, wenn man sagt „Das nervt“, als wenn man sagt „Das ist rassistisch“. Aber deshalb den Rassismusbegriff so auszudehnen, dass er praktisch jeden betrifft, der nicht alle seine Worte auf die Goldwaage legt, nimmt dem Begriff auf Dauer die Schärfe. Und das ist nicht gut. Eigentlich müssten die Aktivisten froh sein, dass es den Struwwelpeter gibt, anstatt sich an formalen Unzulänglichkeiten aufzuziehen. Es wird behauptet, die Geschichte mit dem Mohren suggeriere unterschwellig, dass es eine Strafe sei, schwarz zu sein. Für mich suggeriert es vor allem, dass Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten nicht etwa eine Erfindung nach 1945 ist, sondern schon vor 150 Jahren zur guten Erziehung gehörte. Manche Leute sind so damit beschäftigt, anderen über den Mund zu fahren, dass sie nicht mehr Freund und Feind auseinander halten können. Wir befinden uns natürlich auf der Seite der Rassismusgegner. Und hin und wieder positionieren wir uns auch. Aber wir tun das eben nicht plakativ, und vor allem niemals politisch korrekt. Damit müssen die Leute halt leben.

Wart ihr erstaunt, dass ausgerechnet die taz euch in Schutz nahm?

Wie gesagt, tief im Herzen sind wir Humanisten, warum also sollte ein tendenziell links orientiertes Blatt gegen uns sein? Das gleiche würde ich deshalb eigentlich auch von christlichen Organisationen erwarten. Man braucht natürlich auch ein gewisses Maß an geistiger Freiheit, um unsere Machenschaften richtig einzuordnen. Der allgemein vorherrschende Mangel daran hat weniger etwas mit der jeweiligen politischen Einstellung zu tun, sondern liegt eher in der Natur des Menschen an sich begründet. Okay, Religion und geistige Freiheit schließen sich schon einwenig aus, insofern wäre es nachvollziehbar, wenn die Kirche etwas gegen uns hätte. Interessanterweise gibt es aber in der Richtung keine Probleme.

Und jetzt traut ihr euch im Verlauf eurer Tour auch nach Frankfurt wo Kollege Hoffmann wirkte. Macht das das Konzert in Frankfurt zu etwas ganz Besonderen/Speziellen? Vielleicht bleibt ja sogar Zeit für einen Besuch im Struwwelpeter-Museum?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich da aufkreuzen werde. Wir reisen mit einem Nightliner, das bedeutet, ich wache irgendwann vormittags in Frankfurt auf und habe Zeit, mich etwas in der Stadt umzusehen. Ich werde mir ein Fahrrad besorgen und zum Struwwelpetermuseum fahren. Danke für den Tipp!

In der Heinrich Hoffmann Straße in Frankfurt ist die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Wie „gaga“ dürfen/müssen Musiker heutzutage sein?

Nun, es sind ja immer die außergewöhnlichen Typen, die es schaffen, die Gemüter vieler Menschen zu bewegen. Eigenschaften, die vielen anderen Berufen eher problematisch wären, können für einen Künstler ein Segen sein. Zumindest für seine Karriere, denn glücklich ist man als Verrückter nicht automatisch. Damit diese Karriere aber auch ein paar Jahre andauert, sollte man schon hin und wieder seine Emotionen im Griff haben, auch wenn das für das Songwriting nicht unbedingt hilfreich ist. Es ist eben eine Gratwanderung. Deshalb sterben auch so viele Popstars sehr früh. Sie sind geschaffen, um diese Welt zu bereichern, aber nicht, um in ihr zu bestehen.

>> Knorkator, Frankfurt, Batschkapp, 6.4., 20 Uhr, Eintritt: 24,20


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