Jutta Ditfurths Zorn

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Nils Bremer /

zdz

Der Zorn, so Seneca, ist der Feind der Vernunft, habe er einmal Besitz ergriffen, sei die Rückkehr zur seelischen Gesundheit schwierig. Nun hat die Frankfurter Autorin Jutta Ditfurth gleich ein ganzes Buch dieser Leidenschaft gewidmet: "Zeit des Zorns". Im Untertitel heißt es dies sei eine "Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft". Vor allem ist es aber eine Abrechnung mit unserer sooo ungerechten Gesellschaft. Verzeihen Sie, wenn ich hier in die Kindersprache zurückfalle, aber so ist das Buch auch geschrieben. Es fängt schon so an. Über einen Busfahrer auf dem Weg in den Taunus heißt es: "Er verliert, wie sich herausstellt, durch die Weltwirtschaftskrise sein Reihenhaus. Sein Hass ist riesengroß." Und später: "Die frühere SPD/Grüne-Bundesregierung, die er hoffnungsvoll gewählt hatte, hat ihn kalt lächelnd in die Armut gestürzt. Was soll er tun?"

Tja, was soll er tun, der arme Busfahrer? Jutta Ditfurths Antwort ist so einfach wie bestechend: Kapitalismus abschaffen. Braucht man, um dies auszudrücken, nun 265 Seiten? Nun, wenn man zugleich sagen will, wie unsagbar schlecht und zum Kotzen diese Welt ist, dann vielleicht schon. So reiht sich Katastrophe an Katastrophe, reiht sich Verbrechen an Verbrechen, die Macht des Kapitals ist erdrückend, alles ganz schlimm, wissen wir ja. Nur konnte das Naomi Klein schon vor Jahren besser, fundierter und vor allem: geordneter beschreiben. "Zeit des Zorns" ist lediglich eine von paranoider Weltanschauung getriebene Abrechnung, in der man in zwei Schritten vom Frankfurter Römer in indischen Slums ist. Da wird in einem Absatz noch darüber räsoniert, dass "das herrschenden Konsummodell" auf Verschwendung und Verschleiß basiere, unterentwickelte Länder würden "ausgeraubt, vergiftet und verelendet", im nächsten geht's dann schon um den immer kleiner werdenden Aralsee (die Autorin sieht dabei die Karte in der Tagesschau als Beweis für die Gleichgültigkeit der Medien, weil der See dort noch in den Grenzen von 1960 eingezeichnet sei), einige Seiten später ist dann von Afrika die Rede und vom hässlichen Rassismus, den der Kapitalismus stets gebiere.

Die Kreise ihrer Verbündeten zieht Jutta Ditfurth dabei recht eng. Die Grünen fallen schon mal aus (kriegstreiberisch, sozialfeindlich etc.) Die erzkonservativ gewordenen APO-Opas sowieso. Die Linken auch. Über die heißt es:

Die Linkspartei/PDS ist weder sozialistisch noch radikaldemokratisch. Sie ist prokapitalistisch und betreibt Sozialabbau. Sie behauptet, antimilitaristisch zu sein, aber sie fördert die Aufrüstung und ist, unter betsimmten Voraussetzungen, für Krieg. Sie ist ein Gegner emanzipatorischer linker Politik. Sie steht uns im Weg.

Und die Schlussfolgerungen? Bleibt nur die Außerparlamentarische Opposition. Bleiben nur Theorie, Aktion, Organisation. Mit diesen Dreien soll der Weltensturz gelingen. Und nun wird Ditfurths Buch vollends bedenklich. Nichts dagegen, dass man die Welt in Schwarz und Weiß einteilt, dass man Belege für die Unmenschlichkeit des Kapitalismus sammelt, dass man die Linke und die Grünen ablehnt, dass man sich die Welt zurechtlegt als Hort des Bösen, nichts Gutes sieht, Ansätze zur Verbesserung beiseite wirft und den Konsens verdammt. Doch dann diese Schlüsse:
Gewalt ist, wo immer möglich, zu vermeiden. Aus prinzipiellen Gründen, denn die Methoden der politischen Auseinandersetzung sollten von unseren Grundwerten getragen sein. in einer durch und durch gewalttätigen Gesellschaft aber wird "Gewaltlosigkeit" nicht immer möglich sein, sofern wir keine Opfer sein wollen. (...) Auf das pharisäerhafte Gerede von der furchtbaren Gewalt, die zum Beispiel in Betriebsbesetzungen oder Blockaden gegen Militärmanöver liege, kann man den guten Bürgern, die nicht mal wissen, woher ihre Privilegien kommen, gut mit Dietmar Dath antworten: "Die bürgerliche Demokratie hat auch ein paar Anläufe gebraucht. Zunächst mal ist sie in Frankreich im Blut ersoffen, alle haben sich gegenseitig geköpft."

So legen wir glücklich dieses Buch zur Seite, um das Wissen reicher, dass Frau Ditfurth nicht in einem demokratischen Staat lebt, sondern in einer Parallelwelt, die der unsrigen zwar ähnelt, wo politischer Diskurs jedoch erstickt wird, wo Demonstrationen stets von der Polizei niedergeknüppelt werden und wo das System durch und durch korrupt und Medien, allen voran die Frankfurter Rundschau, von faschistoiden, neoliberalen Journalisten bestückt werden. Zorn führt zu einer Verkehrung der Wahrheit, um noch einmal Seneca zu bemühen. Vielleicht ist dieser damit der falsche Anlass, ein Buch zu schreiben.


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