Vor dem Mousonturm eine Menschentraube, mittendrin Samy Deluxe, hochgereckte Handys, die das alles wahrscheinlich direkt auf YouTube laden, der Rapper hat wohl vor seinem Auftritt Stress mit einer Handvoll Leute, die manche Textzeilen irgendwie sehr doof finden, ansonsten vor allem Fans, die ihrem Star einmal nahe sein wollen. Interessiert mich eigentlich gar nicht, aber weil Herr Deluxe den unteren Teil des Hauses besetzt, hechte ich nun eine niedrige Wendeltreppe hoch in den sechsten Stock des Turms, zur Kontrastveranstaltung, wenn man so will. Der Dichter heißt hier Friedrich Schiller, seiner Elegie "Der Spaziergang" ist der Titel entnommen: "Des Schmetterlings zweifelnder Flügel". Es gibt einen iPod, darauf ein Audiospaziergang der Künstlerin Julia Krause. Es reicht noch für eine Flasche Bier, dann geht es schon los. Frau Krause holt uns einzeln ab, ich besteige mit ihr den Aufzug, schalte den MP3-Player ein, ihre Stimme ertönt, wir lächeln uns an, sie geht noch kurz mit raus, dreht sich um, geht weg, ihre Stimme bleibt, dicht in meinem Ohr, befiehlt über den Parkplatz zu gehen, ich höre das Klackern ihrer Schuhe neben mir.
Worum geht es also? Der Spaziergang ist ein Teil der Reihe Recherchen09 im Mousonturm, "Handeln" das Thema in diesem Jahr und Gehen ist Handeln. Also gehe ich, 25 Minuten einmal um den Zoo herum. Erst durch die hohle Gasse...
... weg vom Mousonturm, vorbei an einem Wohnstift, alte Menschen hinter Gardinen, am Wegesrand Mülltonnen in ihren Gehegen. "Gehen Sie über die Straße", sagt Julia Krause und wir gehen jetzt fast im Gleichschritt, Klackklack, klackklack.
Hinein in einen kleinen Fußweg, ein Mann schiebt ein Fahrrad, neben ihm, knapp unter dem Stacheldraht auf dem Zaun neben uns landet eine Amsel mit einem dicken Wurm im Schnabel.
Sie guckt, aber fliegt nicht weg.
Vor dem Zoo, über die Ampel, an den Springbrunnen vorbei, dann hinunter in die U-Bahn-Station.
Beim Gorilla zum Treppenaufgang, sagt die Stimme. Das Geräusch sich schließender U-Bahn-Türen.
Am Gagern-Gymnasium stehen Schüler mit Rosen in Händen und ihre Eltern, stehenbleiben geht nicht, denn "Über den Zebrastreifen und dann rechts an der Mauer entlang." Die Mauer gehört zum Zoo, der Geruch von Tieren schwappt herüber. Dann wird es zauberhaft.
Das Klackern der Schuhe ist da, aber dann auch plötzlich ein vorbeirauschendes Auto, ich schaue, doch da ist kein Auto. Dann sich nähernde Schritte von hinten, ein Blick zurück, doch die Straße ist leer. Vogelgeschrei, Stimmengewirr, Autotüren, das Geräusch eines Kinderwagens. Realität und Aufzeichnung vermischen sich.
Oben auf der Habsburger Allee in Höhe Brüder-Grimm-Straße in einer Grünanlage (Schiller: "Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung/Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein"): Federbälle zischen durch die Luft, knapp am Kopf vorbei, Jubel, der klingt, als käme er aus den Bäumen, was ja nicht sein kann, es ist sowieso niemand hier. Hinter mir wieder schneller werdende Schritte, ich blicke mich gar nicht mehr um, doch nun rennt doch ein Mädchen an mir vorbei. Dann wieder Gespräche, die, so hört es sich an, die beiden umhertollenden Amseln führen (immer wieder diese Amseln!).
Ein paar Schritte noch, dann bin ich zurück in der Waldschmidtstraße, der Befehl: Bleiben Sie stehen. Das Klacken verhallt. Dann ein Anruf in meinem Ohr: "Hier spricht Julia Krause." Es ist vorbei, bitte zurück zum Mousonturm. Kopfhörer raus, nun ist wieder alles real. Vor dem Haus hängen immer noch Hip-Hop-Kids rum. Sie wissen nicht, was sie verpasst haben. Als ich zu Hause die Bilder durchsehe, merke ich: vor allem viel Grün, und das mitten im Ostend, von der Stadtplanung in geordnete Bahnen gepresst. Schiller, dem die reine, wilde Natur schon ein bisschen unheimlich war, hätte das bestimmt gefallen.