Glück gehabt! Die Wiesen am Main waren feucht, im Schlosspark standen Pfützen auf den Wegen, am Nachmittag hatte es noch heftig geregnet und auch nach dem Konzert plätscherte es wieder vom Himmel. Aber während des Starts des Shooter-Konzert-Sommers 2009 mit dem 2 ½-stündigen Konzert von Haindling blieb es trocken. Nass wird ohnehin niemand in einer der schönsten Konzertarenen der Region, denn das Amphitheater Hanau, diese imposante Zeltkonstruktion, überdacht Zuschauer und Bühne und nur bei heftigem Wind könnte der Regen seitlich unters Dach gepeitscht werden. Aber trocken ist´s natürlich viel, viel schöner im Rund.
1982 schon erschien das erste Album von Haindling mit bis dato in Deutschland nicht gehörter, weiß-blauer Folklore, fast im Alleingang eingespielt. Die niederbayrische Antwort auf das Penguin Café Orchestra, ein Mix aus Walzer, Jodler, Jazz und Avantgarde, kauzig, charming, hinterfurzig, liebenswert und individuell zugleich. Aber Hans-Jürgen Buchner, eigentlich „a Preiß", den´s nur ins niederbayrische Haindling verschlagen hatte, schaffte es mit seinem Gespür auch für simpel-schöne Melodien prompt ins Radio und die Charts: mit Songs wie „Du Depp“, „Spinn i“ und vor allem „Lang scho nimmer g'sehn“. Wie passend – denn obwohl ich vor allem den Anfang von Haindlings Karriere verfolgte, hatte ich zuletzt eine lange Konzertpause eingelegt, die Band sicher 10, 12 Jahre nicht gesehen. Aber alte Liebe rostet nicht.
Schon der Einstieg ins Hanauer Konzert unterstrich die Genialität von Haindlings Musik. Noch bevor der Chef selber in den Ring stieg, zelebrierten seine fünf Multiinstrumentalisten (manchmal kam ein Roadie als sechster für zusätzliche Percussion dazu), darunter mit Michael Braun (Saxophon, Trompete, Tenorhorn, Keyboards, Percussion, Gesang) und Peter Enderlein (Schlagzeug, Perkussion) zwei Mitstreiter der ersten Stunde, ein Intro, das mit viel Atmosphäre wie eine Meditation (auch Prozession) auf eine Reise durchs Alpenländische und rund um die Welt gleichzeitig einstimmte. Selten wurde heimische „Volksmusik“ (gemeint ist die gute, authentische jenseits des „Musikantenstadls“) so tranzendierend dargeboten. Egal, welche Blasinstrumente da aus der in Silber, Gold und Bronze glänzenden Sammlung bis hin zur Basstuba gleich zu Gehör kamen, da klangen imaginär Alphorn, Didjeridoo und Rag Dun- wie Dungchen-Hörner an – die Alpen, die Outbacks und das Dach der Welt schienen zu verschmelzen, um gleich darauf doch mit beiden Beinen in der Heimat anzukommen - mit Walzern, Ländlern, Zwiefachen.
Bei Haindling und seiner bayrischen Weltmusik ist Platz für Vieles, auch Widersprüchliches, das sich aber in der Person von Hans-Jürgen Buchner irgendwie in Luft auflöst. So wie in der Musik neben Hochkomplexen, ja fast klassisch oder gar barock anmutenden Motiven, Kinderliedhaftes steht, ist er in seinen Texten mal Philosoph, dann wieder beinah naiv und vor allem gerne auch trivial (wenn er zum Beispiel Sushi auf Uschi reimt). Das macht den Reiz der alten, in einem tollen Medley dargebotenen Lieder aus, das ist auch auf dem brandneuen Album „Ein Schaf denkt nach“ nicht anders. Oft hält uns dabei der Sänger, der auch Saxophon, Tenorhorn, Tuba, Klavier, Maultrommel, Klanghölzer und vieles mehr spielt, uns (und auch sich selbst) den Spiegel vor, macht sich über Verhaltensmuster lustig (unser ständiges „O-käy“-Sagen an allen möglichen und unmöglichen Stellen in der täglichen Konversation - prompt bestellt ich, kaum war das Lied verklungen, eine Bratwurst am Stand, wie reagiert der Verkäufer? Mit einem Okay...), verpackt kleine Alltagsszenen in Poesie („Die Fliege“), beklagt – wenn auch mit einem lachenden neben dem weinenden Auge – den Umgang der Menschheit mit der Natur und mokiert sich über die zunehmende Entfremdung in der Gesellschaft.
Seine einfache Losung lautet dabei „Seid´s freundlich“, in seinen Konzerten bietet er nicht zuletzt auch eine Lachtherapie an, propagiert: „Singen ist sehr gut, am besten gleich morgens unter der Dusche". So ist der Auftritt wie der Versuch einer gemeinsamen Sinnsuche für 150 Minuten, dargeboten als unterhaltsames Musikprogramm, in dem sogar Swing, Rock’n’Roll, Funk und Reggae ihren Platz haben. Warum musste ich ständig an diesem Abend an das alte Zitat „Kinder und Narren sagen die Wahrheit“ denken?