Das English Theatre beschließt seine Spielzeit mit einem Thriller, der von Roman Polanski auch verfilmt wurde. In „Death and the Maiden“ geht es um eine einst gefolterte Frau, die glaubt, ihren Peiniger wieder zu erkennen – an der Stimme.
Nicole Brevoord /
Ganz schön harter Tobak, den das English Theatre zum Abschluss seiner erfolgreichen Spielzeit 2014/15 serviert. „Death and the Maiden“ ist ein Thriller von Ariel Dorfman, der 1991 in London uraufgeführt wird. Auch wenn das Land und die genaue Zeit, in der das Stück spielt, nicht näher genannt wird, so liegt es nahe, dass die Handlung in Chile, nach dem Zusammenbruch der Diktatur spielt. Paulina Salas (Helen Bradbury) versucht in der sich langsam etablierenden Demokratie ihr Trauma zu verarbeiten. Einst war sie eine politische Gefangene, wurde unter Anleitung eines Arztes, dessen Gesicht sie nie gesehen hat, mehrfach vergewaltigt. Darunter leidet sie auch mehr als zehn Jahre später noch. Während ihr Mann Gerardo (Kevin McGowan), ein Anwalt, künftig im Auftrag der Regierung juristisch die während der Diktatur verübten Gräueltaten aufarbeiten will, ist zu bezweifeln, dass seiner Frau jemals juristische Gerechtigkeit widerfährt, sie lebt ja noch. Das Blatt wendet sich, als Gerardo eines Tages den gutmütig erscheinenden Dr. Roberto Miranda (Gareth Clarke) mit nach Hause bringt, der ihm – als er einen Platten hatte –großzügig geholfen hatte. Paulina glaubt Mirandas Stimme als die ihres einstigen Peinigers wieder zu erkennen und sie sinnt auf Rache. Dem Folterdoktor soll der Prozess gemacht werden, nach ihren eigenen Gesetzen und ihr Mann soll ihr dabei helfen.
Das Stück ist brillant. Es lebt nicht nur von geschliffenen Dialogen, einem moralischen Diskurs über Gesetz und dem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden, sowie der bangen Frage, wie die Geschichte wohl ausgehen mag, vor allen Dingen müssen darin die Darsteller überzeugen. Eingebettet in ein großartiges Bühnenbild von Bob Bailey, das einerseits modern und stylisch wirkt, andererseits mit seiner Holzverkleidung, den Fensterstreben und den Bäumen vor dem Haus perfekt die Isolation der Familie Salas und die Gefangenschaft widerspiegelt, agieren die drei Darsteller und vermögen es, die für den Thriller nötige Spannung aufzubauen. Aber, und das muss man unter anderem der Regie von Guy Unsworth zuschreiben, weiß das Stück im English Theatre das Publikum nicht so recht emotional zu ergreifen. Das ist äußerst schade, denn wenn die Hauptdarstellerin Helen Bradbury, mit rotgeränderter Augen als Paulina von ihrer während der Folter erlittenen Pein erzählt, dann sollte einem ein Schauer über den Rücken laufen, dann sollte man mit ihr mit fühlen können aber das geht nicht, weil ihr Verhalten zuvor nicht ganz nachvollziehbar erscheint und wenn Gareth Clarke als Dr. Miranda überraschend gefesselt und zur Geisel wird, dann sollte er sich doch wenigstens anfangs mal wehren und hinterfragen, was los ist. Stattdessen verharrt der Charakter starr in seiner zumeist misslichen Situation, halbnackt, blutend, an einen Stuhl gefesselt. Das wirkt eher passiv und im Ganzen wenig charismatisch. All das kann einem unbedarften Zuschauer auffallen. Wer zudem die Verfilmung von Roman Polanski mit Sigourney Weaver und Ben Kingsley in den Hauptrollen kennt, dem dürften die emotionalen Unterschiede zwischen Film und Unsworth Inszenierung noch viel schmerzlicher bewusst werden.
Dennoch ist das mit insgesamt 95 Minuten recht kurze Stück sehenswert. Es könnte der Beginn eines angeregten Abends werden, an dem man über Menschenrechte diskutiert und hinterfragt, ob Gesetze jemals dem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden entsprechen können. Kann Selbstjustiz eine wirklich Lösung sein? Das Stück gibt eine eindeutige Antwort.
>>Death and the Maiden: bis 11. Juli, English Theatre, Gallusanlage 7, Di–Sa 19.30 Uhr, So 18 Uhr, Tickets Vollzahler: 25 bis 37 Euro.
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig