Welch ein Luxus – ein ganzes Wochenende ohne Konzerte, ohne für mich zwingende Termine, auch wenn Big Names wie Depeche Mode und Liza Minnelli in der Stadt waren. Man muss auch mal zu Hause bleiben können und statt Musik zwei Mal, Freitag wie Sonntag, den Tatort genießen. Damit keine Missverständnisse aufkommen: übersättigt bin ich noch lange nicht, aber der Kick kann sich nicht bei jedem Auftritt einstellen. Und die Begeisterungsfähigkeit ist – zugegeben – durchaus auch von so etwas wie auch eigener Tagesform abhängig.
Vielleicht habe ich letzte Woche Lila Downs Unrecht getan (andere wie Barbara Leiff, die hier im Blog schon über viele Konzerte berichtet hat, und Musiker Gregor Praml waren begeistert von der Halb-Mexikanerin im Mousonturm), als ich schon nach zwei Stücken wieder gegangen bin. Warum musste sie auch ausgerechnet mit „Black Magic Woman“ (die meisten kennen es von Santana, der Komponist der Nummer, Peter Green, Ex-Fleetwood Mac, ist heute, Montag live in der Batschkapp) anfangen und die mit fetter Band und Bläser spielen wie eine südamerikanische Galaband, was mich daran zweifeln ließ, dass mit Fortdauer des Konzertes der schamanistische Aspekt ihres neuen Albums auf der Bühne stärker zum Tragen kommen würde). Also doch noch ins Bett nach Sachsenhausen, wo mit Caroline Keating eine junge Kanadierin, unsigned, aber schon hoch gelobt, allein mit Stimme und E-Piano ihre Publikum zu begeistern versuchte. Was Piano-Ladies betrifft, bin ich verwöhnt und auch Keating brachte meine Hierarchie diesbezüglich nicht durcheinander. Lieb war das, was sie da in ihrem Kleidchen auf die Bühne brachte, ganz sicher hatte vieles auch Substanz, aber – und das spürt sie wohl auch selber – das Meiste ist noch work in progress. Charmant bis kokett sind ihre Ansagen in diesem Zusammen, kündigt sie doch das eine oder andere Lied als „unfertig“ an. Aber der Titel „Unfinished Music“ ist schon besetzt von John Lennon und Yoko Ono. Und so – was viele allerdings nicht als Mangel begreifen werden – wird Carolines Musik nie klingen. Also abwarten und weiter beobachten.
Ein wirkliches Highlight gab es dann doch noch in dieser Woche. Anton Bruhin in der Reihe „What Is Music?“ im Raum für Kultur im Galileo-Hochhaus der Commerzbank, eingeladen vom Frankfurter Musiker Oliver Augst. Der Schweizer Künstler, Jahrgang 1949, ist Schriftsteller und Maultrommel-Spieler. Letzteres mag für manchen unspektakulär klingen, zumal wenn er eigenes versuche mit diesem Instrument in Erinnerung hat und Gefahr lief, damit seinen Zahnschmelz zu zerstören und seinem Dentisten zu mehr Arbeit zu verhelfen. Aber sehen wir's mal so – wer sich das Brummeisen auswählt, ist meist auf sich selbst gestellt und muss – anders als Lavier- und Geigenschüler – seinen eigenen Weg zur Virtuosität finden. Bruhin ist dies gelungen.
Er besitzt Maultrommeln in allen Größen und Tonarten, die meisten aus Ungarn, besonders schön geformte aus Japan. Und er kombiniert, montiert sie auf Brettchen, um variabler, flexibler, schneller zu sein beim Formen von Melodien. Seine Mundhöhle genügt ihm dabei nicht zur Tonbildung, er nimmt noch handelsübliche Versandrollen als Resonanzkörper, ein Rohr mit Schiebetechnik zur Veränderung der Tonhöhen und mit Wasser gefüllte Behältnis dazu, um immer wieder mit neuen Sounds und Schwingungen zu überraschen. Zwischen Ländler und Avantgarde findet Bruhin seinen Platz, streift das Genre Programmmusik mit „Die Mücke“ (eine Art „Hummelflug“ im kleinen) und beweist mit seinen Klängen, dass die Maultrommel mit ihren Obertönen so tönt wie ein analoger Synthesizer der ersten Generation. Faszinierend. Zu seiner Performance gehört auch das Leser selbst verfasster Palindrome, die man allerdings vorgetragen weniger genießen kann als beim selber Lesen sie auch auf gedruckt zu sehen.