9 Fragen und Antworten zur Heroinvergabe

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Nils Bremer /

heroin1. Gestern hat der Bundestag die Versorgung von Schwerstabhängigen mit Diamorphin beschlossen. Was bedeutet dies für Frankfurt?

Das bedeutet, dass das Modellprojekt, das in der Grünen Straße im Ostend untergebracht ist, nun in einen Regelbetrieb übergehen kann. In den Räumen bekommen Patienten, die mehrere erfolglose Methadon-Therapien hinter sich haben und oft jahrelang an der Nadel hängen, künstliches Heroin. Das Modellprojekt startete in Frankfurt vor sieben Jahren und wurde wissenschaftlich begleitet. Vor drei Jahren wurden die Ergebnisse präsentiert. Dabei kam heraus, dass die Drogenabhängigen ein eigenständigeres Leben führen können, einige von ihnen arbeiten wieder, die wenigsten wurden straffällig (weil Beschaffungskriminalität nicht mehr notwendig ist).

2. Warum spricht ist die CDU dennoch gegen die Vergabe von Heroin?


Ist sie gar nicht. Jedenfalls nicht durchgängig. Vor allem Politiker aus den acht Städten mit entsprechenden Modellprojekten befürworten die Regelversorgung. In Hessen ist die Allianz besonders breit, hier hat sich auch Ministerpräsident Roland Koch hinter das Heroinprojekt gestellt. Deswegen ist eine entsprechende Empfehlung auch im Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossen worden.
Im Bundestag sieht es anders aus. CDU-Politiker, besonders die aus ländlichen Regionen, befürchten, ihren Wählern erklären zu müssen, "warum der Staat zum Dealer wird". Außerdem argumentieren einige Christdemokraten, dass am Ende stets ein drogenfreies Leben stehen müsse. Annette Widmann-Mauz von der CDU sagt: "Das Ziel des Ausstiegs aus der Sucht wollen wir nicht aufgeben."

3. Wird der Staat denn zum Dealer?

Zumindest gibt er Heroin aus, dies allerdings nur unter ärztlicher Aufsicht, mit psychosozialer Betreuung und der Möglichkeit in ein Methadonprogramm zu wechseln, wenn dies der Patient wünscht. In Frankfurt sind derzeit weit unter 100 Menschen in diesem Programm. „Es ist ein auf eine bestimmte Gruppe von Süchtigen begrenztes Projekt“, sagt Wilfried Köhler, Suchtmediziner und leitender Prüfarzt in der Heroinambulanz.

4. Wird die Zahl der Patienten nicht zunehmen, wenn die Versorgung zur Regel wird?

Zumindest in Frankfurt soll die Obergrenze bei 150 Patienten bestehen bleiben.

5. Wann wird das Modellprojekt zur Regel?

"Wahrscheinlich erst im kommenden Jahr", sagt Wulfila Walter vom Gesundheitsdezernat der Stadt Frankfurt. Einige Formalien wollen nämlich noch erledigt, etwa entsprechende Erlasse formuliert und die Zulassung von Diamorphin als Arzneimittel beschlossen werden.

6. Warum sprechen Gegner eigentlich von der Heroin- und Befürworter von der Diamorphinvergabe?

Aus psychologischen Gründen. Dass der Staat Heroin ausgibt, hört sich erstmal schlimm an. Diamorphin klingt da ganz einfach seriöser und medizinischer. Es ist aber auch der korrektere Ausdruck, denn Diamorphin ist der Wirkstoff des Heroins. Und genau dieser wird, synthetisch hergestellt, den Abhängigen verabreicht.

7. Was ist mit den Methadonprogrammen?

Die wird es weiterhin geben. In Frankfurt hat sich das Nebeneinander von Diamorphin- und Methadontherapie bewährt. Grundsätzlich wird Diamorphin erst verabreicht, wenn ein Abhängiger zweimal eine Methadontherapie abbrechen musste. Es hat sich aber gezeigt, dass einige der Heroinsüchtigen noch einmal einen Versuch mit Methadon wagen, um von der Droge doch noch ganz wegzukommen.

8. Ist das alles nicht sehr teuer?

Das ist es. Die Stadt Frankfurt kostet das Modellprojekt um die eineinhalb Millionen Euro im Jahr. Ohne den wissenschaftlichen Apparat, der zur empirischen Absicherung der Studie notwendig war, wird es wohl etwas günstiger. Die Stadt argumentiert, dies sei gut angelegtes Geld. Es rette nicht nur Menschenleben, es sorge auch für Sicherheit - denn ein Junkie gibt für seinen Stoff wenigstens 1000 Euro im Monat aus. Geld, dass er erst beschaffen muss.

9. Warum wurde die Vergabe erst jetzt beschlossen, wenn sie doch seit 2006 von den Experten empfohlen wird?

Weil die SPD bislang Koalitionräson zeigte. Man wollte die CDU nicht verprellen. Nun, im Jahr der Bundestagswahl, ist das nicht mehr so wichtig – die Kritik der Union fiel dennoch groß aus. Doch unter den Christdemokraten entschied sich eine Minderheit ebenfalls für den Antrag der anderen Bundestagsfraktionen zu stimmen, wie man am Ergebnis der namentlichen Abstimmung sieht. Der erste Antrag für eine staatliche Heroinvergabe wurde übrigens 1993 gestellt.


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