Wenn Ressourcen knapp werden, werden ethische Fragen laut – das hat die Corona-Krise verdeutlicht. Nach welchen Grundsätzen entschieden wird, wenn es dabei um medizinische Versorgung geht, war Thema in einem Vortrag der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.
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Seit nun einem Jahr versuchen Menschen weltweit, die Corona-Pandemie zu bekämpfen, dabei möglichst viele Personen zu schützen oder im Falle einer Erkrankung zu versorgen. Was deutlich wurde: Ressourcen sind begrenzt. Ob Hilfsmittel, Geld, Impfstoff, Personal oder freie Intensivbetten – zahlreiche Bereiche waren oder sind von Knappheit betroffen, und könnten es auch in Zukunft sein. Vor allem im Falle von medizinischen Engpässen stellt sich dabei die Frage: Wer hat Priorität? Wer kommt zuerst? Welche Faktoren spielen bei der Entscheidung eine Rolle?
Um diese und weitere Frage ging es vergangene Woche in einem Diskussionsvortrag innerhalb der „Kurz und Klug“-Reihe der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Zu Gast war Prof. Dr. Christof Mandry, Professor für Moraltheologie und Sozialethik. Dieser versuchte, in der auf eine Stunde begrenzten Veranstaltung einen Einblick in das weite Thema zu geben. Aktuell seien zwar ausreichend Kapazitäten in den Krankenhäusern verfügbar, doch die Frage, wie man auswähle, falls die Nachfrage das Angebot übersteige, bleibe. Bislang gebe es noch keine Gesetzgebung in Europa, wie in solchen Fällen gehandelt werden soll – auch nicht in Deutschland. Es gehe bei der Entscheidung um „fundamentale Grundrechte“. Wenn der Staat eingreife, würde er diese laut Mandry mitunter aussetzen. Hierzulande wurde dabei die Verantwortung an den Ethikrat sowie die „Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin“, kurz DIVI, übertragen. Diese wiederum sprechen Empfehlungen aus.
Die sogenannte Triage, also die Auswahl, sei oftmals verbunden mit Werturteilen und angeführten vermeintlichen „Entscheidungsfaktoren“ wie dem Alter des oder der Betroffenen, vorhandene Kinder sowie die Priorisierung aufgrund eines bestimmten Jobs. Diese Kriterien seien laut Mandry jedoch vom Deutschen Ethikrat abgelehnt worden, stattdessen habe man sogenannte Grundsätze erarbeitet. Diese beinhalteten, dass Entscheidungen ohne jegliche Willkür und Diskriminierung gefällt werden sollen. Darüber hinaus folge man medizinischen Gesichtspunkten, wie etwa der Aussicht auf Heilung, etwaigen Vorerkrankungen sowie dem allgemeinen Gesundheitsstatus. Faktoren, wie die noch zu erwartenden Lebensjahre seien für den Ethikrat keine Begründung, da jedes Menschenleben gleich viel wert sei, berichtet Mandry.
Und wenn die Behandlung schon begonnen hat?
Neben der Frage, wer zuerst behandelt wird, gibt es jedoch eine noch weitaus komplexere Thematik, die in diesem Zusammenhang laut Mandry auftauchen könnte: Die sogenannte „Ex-Post-Triage“. Dabei würden medizinische Entscheider:innen bereits angeschlossene Patient:innen wieder von der Beatmung trennen, um Neueinlieferungen mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit eine Behandlung zu ermöglichen. Entscheidungen wie diese werden vom Deutschen Ethikrat als rechtlich problematisch angesehen. Bei Gewissensentscheidungen, die ethisch begründbar sind und transparenten Kriterien folgen, sei jedoch von Straffreiheit auszugehen.
In allen Fällen der Triage handele es sich um eine Grenzsituation, die es zu vermeiden gelte, sagte Mandry am Ende des Impulsvortrags. Seitens der DIVI hieß es, ein Leitfaden könne eine Unterstützung im Entscheidungsfall sein. „Wir alle kennen die Bilder von Kollegen aus Spanien oder Italien. Viele sind jetzt schon schwer traumatisiert. Das geht an niemandem spurlos vorbei. Daher kann unser Kriterienkatalog eine wertvolle Stütze sein.“