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Foto: Universitätsklinikum Frankfurt
Foto: Universitätsklinikum Frankfurt

Demokratie und Medizin

„Nicht alle Menschen zählen gleichwertig mit“

Die Virologin Sandra Ciesek spricht im Interview mit dem JOURNAL über die Herausforderungen im Bereich der Gesundheit, denen sich Frankfurt stellen muss. Dabei geht es auch um das Verhältnis von Demokratie und Medizin.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Ciesek, was ist für Sie eine gesunde Gesellschaft?
Sandra Ciesek: Ein gesunde Gesellschaft ist für mich eine Gesellschaft, die individuelle und kollektive Gesundheit anstrebt. Gleichzeitig sollten wir dabei nicht die Menschen aus dem Auge verlieren, die zeitweise oder langfristig nicht gesund sein können, beispielsweise aufgrund ihres Alters, einer chronischen Krankheit oder Behinderung. „Gesund“ sollte also nicht zu simpel mit „gut“ gleichgesetzt werden. Eine gute Gesellschaft ist für mich eine, die physische, mentale und soziale Gesundheit ermöglicht und fördert sowie Krankheit nach höchsten Standards heilt oder versorgt. Dazu gehört, dass man allen entsprechenden Zugang zur medizinischen Versorgung ermöglicht.

Wie würden Sie den Gesundheitszustand unserer Gesellschaft im Jahre 2024 beschreiben?
Generell kann man sagen, dass wir im internationalen Vergleich derzeit recht gut abschneiden, wenn man sich zum Beispiel die offiziellen Statistiken ansieht. Sowohl die hygienischen Bedingungen als auch die Ernährung insgesamt haben sich deutlich verbessert, Mangelernährung spielt zum Beispiel heutzutage in unserer Gesellschaft keine Rolle mehr. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls im internationalen Vergleich sehr gut und ich selbst denke immer, dass es eigentlich kein anderes Land gibt, in dem ich lieber leben möchte, wenn ich medizinische Versorgung benötige.

Trotzdem oder auch durch die veränderten Lebensbedingungen nehmen jedoch bestimmte Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Herzkreislauferkrankungen oder auch andere durch Übergewicht und Bewegungsmangel bedingte Erkrankungen immer weiter zu. Auch schneiden wir im Vergleich mit 15 weiteren westeuropäischen Ländern in der durchschnittlichen Lebenserwartung in einer kürzlich veröffentlichten Studie aus dem Max-Planck-Institut für demographische Forschung sowie dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung schlecht ab und liegen in dem Ranking nur auf Platz 15 bei Männern und Platz 14 bei Frauen.

Mehr Prävention und Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung gefordert

Was müsste verbessert werden?
Insgesamt wünsche ich mir, hier bei der Bevölkerung mehr auf Prävention und Gesundheitskompetenz zu setzen als auf die Behandlung dieser oft durch den Lebenswandel bedingten Erkrankungen. Auch gibt es heute noch eine gewisse gesundheitliche Ungleichheit in der Gesellschaft: Einige Erkrankungen finden sich häufiger bei Personen mit niedrigerem Bildungsstand, niedrigem beruflichen Status oder geringem Einkommen.

Die Lebenserwartung eines armen Menschen ist im Vergleich zu einem reichen Menschen um etwa zehn Jahre reduziert. Auch hat uns kürzlich die COVID-19-Pandemie wie ein Brennglas gezeigt, dass arme Menschen oder Menschen in prekären Lebensverhältnissen besonders unter der Pandemie, deren Folgen und Einschränkungen gelitten haben.

Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen Gesundheit und Demokratie?
Die Jahre der Corona-Pandemie haben uns gezeigt, dass man in der Medizin manchmal individuelle (Impf-)Entscheidungen gegen das Interesse der öffentlichen Gesundheit abwägen muss. Das Gleiche sehen wir in demokratischen Prozessen, in denen ebenfalls individuelle Freiheiten gegen das Gemeinwohl abgewogen werden müssen. Im Idealfall werden diese komplexen Situationen transparent, verständlich und öffentlich diskutiert und gemeinschaftlich entschieden. Meine Hoffnung ist, dass man damit sowohl der aufkommenden Wissenschaftsskepsis sowie Demokratieskepsis entgegentreten kann.

Ciesek: Frankfurter Bahnhofsviertel zeigt, dass nicht alle Menschen die gleiche Gesundheitsversorgung erhalten

Sie sind unter anderem Mitglied des Gesundheitsbeirates des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt: Welche Herausforderungen für die Gesundheit sehen Sie in Zukunft für Menschen, die in einer Metropolregion oder einer Großstadt wie Frankfurt leben?
Die beiden größten Herausforderungen sind meines Erachtens, dass unsere Bevölkerung immer älter wird und dass es durch den Klimawandel immer heißer in den Innenstädten werden wird. Ältere Menschen sind jedoch besonders anfällig für Hitze und Folgen der Luftverschmutzung. Es ist deshalb wichtig, dass Großstädte jetzt anfangen, sich darauf vorzubereiten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen wie zum Beispiel die Schaffung von Grünflächen und die Begrünung vom Stadtgebiet, um Hitzeinseln entgegenzuwirken und die Luftqualität zu verbessern. Auch macht mir die mögliche soziale Isolation, insbesondere von älteren Menschen in Großstädten, Sorge.

Man kann aber auch nicht an Frankfurt und Gesundheit denken, ohne dabei an das Bahnhofsviertel zu denken. Hier sehen wir Personen, die ganz offensichtlich gesundheitliche Probleme haben und mehr (oder andere) Hilfe bedürfen, als sie aktuell empfangen. Das sehe ich generell als eine der Herausforderungen für Menschen in Metropolregionen – dass nicht alle gleichwertig „mitzählen“ und nicht die gleiche hochwertige Gesundheitsversorgung erhalten, die uns allen zusteht. Ein weiterer Aspekt: der Einfluss von sozialen Faktoren wie zum Beispiel Wohnraum auf den Gesundheitszustand der Menschen.

„Medizinische Themen waren schon immer politische Themen“

Spielt in diesem Zusammenhang Demokratie eine Rolle? Und wenn ja, welche?
Demokratie spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, da es um Verteilungsgerechtigkeit von begrenzten Ressourcen geht – beispielsweise zwischen den reicheren und ärmeren Bewohnern einer Stadt. Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, dass Personen in Metropolregionen zumindest geographisch gesehen einen exzellenten Zugang zur medizinischen Versorgung haben, der Menschen in ländlichen Regionen auch ermöglicht werden sollte.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass medizinische Themen durch die Gesellschaft auch als politische Themen betrachtet werden können. Inwiefern, angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen, wird sich das Verhältnis zwischen Gesundheit und Politik aus Ihrer Perspektive in Zukunft entwickeln?
Medizinische Themen waren schon immer politische Themen. Durch die Corona-Pandemie ist dies gegebenenfalls für die Breite der Gesellschaft besser sichtbar geworden. Politik kann als „Wer erhält was wann und wie?“ zusammengefasst werden. Diese Fragen werden in Zeiten von Ressourcenknappheit und gegebenenfalls geringerem Zusammenhalt in der Gesellschaft auch für medizinische Themen immer mehr in den Vordergrund rücken.

Was die Demokratie von der Medizin lernen kann

Was würden Sie abschließend sagen, müssten wir tun, um die Demokratie gesund zu halten, oder da, wo Sie angekratzt ist, wieder zu gesunden? Was also kann die Demokratie von der Medizin lernen?
In der Medizin gehen wir nicht davon aus, dass Patientinnen und Patienten einfach so, ohne aktives Zutun, genesen. Stattdessen bilden wir über Jahre kluge und engagierte Köpfe aus, die sich über Jahrzehnte weiter fortbilden und spezialisieren, um sich so gut wie möglich um ihre Patienten und Patientinnen zu kümmern. So sollten wir uns auch um die Gesundheit unserer Demokratie kümmern.

Info
Professor Dr. Sandra Ciesek ist Virologin. Sie leitet als Direktorin das Institut für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Sandra Ciesek ist außerdem Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität.
 
22. Februar 2024, 12.15 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
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