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The Slags würden gerne runden Geburtstag feiern

Vom Himmel in die Hölle und zurück

Auch The Slags wollten wie das JOURNAL FRANKFURT ihren 30. Geburtstag feiern. Aber das Jubiläumskonzert muss auf 2021 verschoben werden. Vorher wird es die Filmdoku „Babytree“ und ein neues Album geben. Das Crowdfunding dafür läuft noch.
Im März 1990 wurden The Slags gegründet. Keine Jungs mehr in der Band, gab Schlagzeugerin Suse Michel die Losung aus – um endlich etwas Besonderes vorweisen zu können. Denn genau das erwarteten die Medien immer von neuen Acts, die auf die Szene drängten. Möglichst auffällig, unbequem und kratzbürstig sollten ihre Mitstreiterinnen deshalb auch sein. Die fand Drumkilling Susan in Sängerin Bine Morgenstern alias B.Point.B., Bassistin Anja Kraft aka Angelgrace und Gitarristin Maj Werkhäuser, die sich mit krachenden Akkorden ohne viel Gefuddel ihren Künstlernamen No Solo Maj verdiente. Bei der Namensfindung waren die Vier nicht zimperlich. The Slags nannten sie sich. „Die Bedeutung für uns ist: Die Schlampen“, ließen sie dazu wissen. Das Geist des Punk lebte wieder auf. Eine erste Vinyl-Single wurde gleich produziert, live spielten sie bereits zwei Monate später, eine 17-Tage-Tour mit Dread Zeppelin mit einem Batschkapp-Gig folgte bald. Nach dem Motto: Keine Zeit verlieren und Frechheit siegt.

„Als das mit den Slags anfing, gab es sicherlich auch einige wohlwollende Menschen, die erst mal ganz unbefangen mit uns umgingen. Viele der etablierteren Musiker haben uns jedoch einfach ignoriert“, bemerkte Bine Morgenstern damals. Sie passten in kein gängiges Genre, machten eigene Songs. „Wir rumpelten so daher, laut und krachig, nicht perfekt und herkömmlich, sondern ungeübt. Scheiß drauf!“ Aber cooler Harmoniegesang musste schon damals sein. „Es war die Zeit, in der deutscher Hip-Hop aufkam aber auch viele Ami-Bands hier tourten. Unser musikalischer Input kam da eher von den Rock/Punk/Grunge-Bands, die im Negativ und solchen Clubs spielten. Und wir benutzten Röhrenverstärker, Stromgitarre und fanden es geil wenn es richtig dreckig klang“, erinnert sich die Sängerin. Dass das Quartett mit seiner Anti-Haltung ausgerechnet einen Vertrag bei einem Majorlabel bekam, ließ die wildesten Spekulationen ins Kraut schießen. Die wollen wir hier – da sexuell konnotiert – nicht wiederholen. Immerhin wurde Sony Music da von blassen, schwarz gekleideten Männern unterwandert, die versuchten ihre subversiven Indie-Ideen bei der Industrie zu implementieren. So sollte es wenigstens wirken.

Vor der Produktion der zweiten CD „So What“ 1992 stieß Conni Maly aus der fernen Oberpfalz zur Gruppe. „Frankfurt war für uns Regensburger damals das Sündenbabel schlechthin, dahin fuhr man nur zum Anschaffen, Abtreiben oder Heroin einkaufen. Wenn ich nach Berlin gezogen wäre, wäre es für meine Eltern weniger schlimm gewesen. Aber ausgerechnet nach Frankfurt ...“, lacht Maly. „Und außerdem ist Rock’n‘Roll ja kein Beruf und schon gar nix für Mädchen. Aber genau darum ging es uns ja damals mit den Slags. Für mich war das wie ein neues Leben. Und das kam ganz plötzlich mit dem Umzug.“ Frankfurt erlebte sie „so neu, so groß und hoch mit so vielen Lichtern“. Mehr noch: „Ich kannte keinen, aber viele kannten plötzlich mich. Denn ich war ja die neue Gitarristin bei den Slags.“ Doch das „naive Küken aus Bayern“ war eine ambitionierte Gitarristin, die dazu beitragen konnte, dass die Band fortan musikalisch ernster genommen wurde. „Insgesamt haben wir uns durch die vielen Tourneen und die Studioproduktionen zusammen weiterentwickelt und dabei als Band vom Majorlabel weg bewegt, um unsere eigenen Wege zu gehen und künstlerisch unabhängig zu sein,“, bringt Maly die Mitt-Neunziger auf den Punkt. Trotzdem trennte man sich, kam erst 2006 wieder zusammen, um das Album „Run Free“ einzuspielen. Zu einem Comeback kam es aber nicht, weil Anja keine Lust mehr auf Tourneestress verspürte.

2008 erkrankte sie zudem schwer an einer Lungenentzündung, die sich zu einer lebensbedrohlichen Autoimmunerkrankung auswachsen sollte. Trotzdem trat sie mit der Batschkapp-Hausband The Terrible Noises auf, spielte die Konzerte mit Sauerstoffflasche hinter ihrem Bassverstärker und überstand nach langem Warten darauf eine Lungentransplantation erfolgreich. Ein Jahr nach der OP spielten Suse, Bine und Conni ihrer Bassisten ein Ständchen zum ersten Geburtstag mit dem neuen Organ – als Slags unplugged. Bei diesem Stripped-to-the-bone-Konzept wurde die Qualität vieler Songs erst richtig hörbar. Zu viert gab es ein legendäres Konzert vorm Offenbacher Waggon. Das letzte mit Anja, Sie starb am 1. Oktober 2014. The Slags machten – auch für sie – akustisch weiter.

„Seitdem hat sich die Stimmung in Frankfurt uns gegenüber positiv verändert. Durch die Unplugged-Konzerte haben wir uns ein neues Publikum erspielt“, erzählt Suse Michel. „Und was toll ist – Musikerkollegen, mit denen wir in den Neunzigern gar nicht viel zu tun hatten, nehmen uns heute anders wahr und kommen zu den Konzerten, Tenor: Die Songs sind ja wirklich gut. Insgesamt ist die Situation viel entspannter geworden. Weil wir es auch sind. Und weil wir viel zu erzählen haben, uns selbst nicht zu ernst nehmen und lachen können, sogar über den ganzen Wahnsinn des Lebens.“ Corona hat ihnen allerdings doch die Tränen in die Augen getrieben. Das für 12.12. im Bett geplante Geburtstagskonzert mit vielen befreundeten Musikern*innen, die Slags-Songs auf ihre ganz eigene Weise interpretieren sollten, kann wegen der Hygieneregeln nicht stattfinden. „Wir machen es wie die Olympiade, verschieben es auf 2021“, haben The Slags entschieden. Ihre ambitionierte Dokumentation „The Slags – Babytree“ über „30 Jahre Himmel, Hölle und alles dazwischen – ein wildes, musikalisches Leben“ mit vielen Interviews mit Weggefährten*innen soll jedoch schon zum Jahreswechsel erscheinen. „Nach dreißig Jahren haben wir uns schon in Frankfurt als Musikschaffende etabliert, wir zusammen, aber auch jede von uns für sich allein“, spielt Michel auf die unzähligen Projekte wie Nova Drive, Eeka The Geek, The Imperial Mustard oder Lava 303 mit Slags-Mitgliedern an. „Ein nie versiegendes Kreativitätskraftwerk“, kommentiert die singende Schlagzeugerin augenzwinkernd. Deshalb heißt ihr Filmprojekt „Babytree“. Mit einem Stamm, der viele kreative Blüten treibt. Für eine neue CD zum Jubiläum haben sie ein Crowdfunding an den Start gebracht. Wenn fremde Gelder dann bitte von Fans und Förderwilligen. „Indie im Wortsinn sind wir, weil wir unabhängig sind. Und das ist ein Zustand, den wir ja wollten und brauchen, um das machen zu können, was wir machen wollen und müssen“, betont Michel. „Allerdings hat diese Unabhängigkeit natürlich ihren Preis – unser Rock´n Roll ist teuer bzw. er macht uns vielleicht berühmt oder berüchtigt, aber leider nicht reich. Aber wer weiß, wir lassen uns überraschen … Vielleicht bekommen wir wenigstens mal eine Rock‘n‘Roll-Rente. Wir hätten es verdient.“

>> Der Text ist zuerst in der Ausgabe 11/2020 des JOURNAL FRANKFURT (11/2020) erschienen.
 
18. November 2020, 12.00 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
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