Ich hab’ es oft genug geschrieben und gesagt: „normale“ Rock- und Popkonzerte möchte ich im Cocoon nicht sehen. Dafür ist der Laden nicht gemacht. Aber für „spezial events“ mit ganz besonderem Charakter ist das Raumschiff in der Carl-Benz-Straße bestens geeignet. Wie jetzt, als die Yellow Lounge mal wieder vorbei schaute. Wer nicht weiß, was dahinter steckt: „Das Konzept: DJs legen klassische Musik auf. Alles von Bach bis Ligeti, wohl ausgesucht und durch raffinierte Übergänge miteinander verbunden.“ Und es gibt CD-Alben dazu – eine gute Gelegenheit für ein traditionelles Klassiklabel wie die Deutsche Grammophon, der Repertoire und Angebot zu erweitern und andere Käuferschichten anzusprechen. Die für diese ganz speziellen Klassik-Compilations (Puristen schrecken da zusammen, wenn ihnen Klassik quasi Ausschnitt- und Häppchenweise präsentiert wird, aber nicht alles ist für Puristen gemacht, Gott sei Dank!) werden immer wieder interessante DJs und Pop-Artisten gewonnen, so z.B. auch Rufus Wainright, die ihre Favourites mit Fimlmmusik und auch mal einem eigenen, passenden Stücke mischen. Wunderbar.
Und das Konzept funktioniert seit langem auch live, zumal auch Klassik-Künstler das Dj-Programm mit kurzen Sets auflockern. Und da hatten wir Frankfurter diese Wochen ganz besonderes Glück, denn das Schicksal wollte es, dass diese Gast Alice Sara Ott hieß. Gerade erst wurde die 22-Jährige für ihre Chopin-Einspielungen gefeiert, hier hatten man ihr den Flügel mitten in den Raum gestellt, das Publikum (Alt und Jung aller Kassen und Klassen) chillte in den Sitzsäcken, saß an der Bar oder auf dem Bodest, ganz nah und vor den Füßen der Pianistin, lauschte zunächst dem DJ (von Wagner über Bachs „Air“, dem „Schwan“ zu Philip Glass und Nigel Kennedys symphonischer Doors-Bearbeitung, ließ sich einen Drink schmecken und buß herzhaft in ein Sandwich. Ein hauch von Picknick im Techno-Tempel. Dann kam Alice Sara Ott, lässig in Jeans und beinah Hochhackigen, und bekannte, angesichts der doch ungewöhnlichen Location und des bunt gemischten Publikums nervös zu sein. Ich hatte mir auf dem Fahrrad beim Ritt durch das Hafengebiet auch überlegt, so unruhig wie das Publikum heutzutage ist, wird sie sich da überlegt haben, ob sie mit leisen Chopin-Stücken beginnen könne. Lustigerweise dachte ich an Liszt, der ja – nicht nur wegen der Darstellung im Film „Lisztomania“, bei mir als „Rock’n’Roller“ angespeichert ist. Und tatsächlich begann Ott mit zwei Liszt-Stücken sehr furios und dynamisch. Wow, was ein Einstieg. Zumal die junge Deutsche mit japanischem Blut immer souveräner und lockerer wurde, sich als charmante Entertainerin erwies und mit treffenden wie trefflichen Ansagen die von ihr ausgewählten Kompositionen erläuterte etwas mit Kommentaren wie „Liszt war ein Casanova seiner Zeit, er hat seine vielen Liebesgeschichten auch immer wieder in seinen Stücken verarbeitet und ich finde man kann das hören...“ Konnte man, liebe Alice Sara, so wie man auch die Melancholie und die Tiefe Chopins nachempfinden konnte, zumal der eine Walzer ja der japanischen Oma, die sie nicht am Sterbebett besuchen konnte, via Telefon gewidmet wurde. Viel zu schnell war das erste von zwei leider nur kurzen Sets vorüber, aber eines wurde schon nach Minuten deutlich: diese junge Frau hat die Gabe und die Aura, ihr Publikum so in den bann zu ziehen, dass selbst in eiern so lässigen Situation alle, aber auch alle, selbst zehnjährige Jungs andächtig lauschten und keiner einen Mucks von sich gab, mit Ausnahme der Klimaanlage (die auch mal nicht unbedingt angenehmen Rindswurstduft in die Saal pustete). Selbst das Tresenpersonal übte sich beim Ausschenken der Getränke in angenehmer Zurückhaltung. Eine tolle Erfahrung und etwas, dass Alice Sara Ott voll für sich verbuchen konnte.
Auch im zweiten Teil dann der gelungene Mix aus Chopin und Liszt, Introvertiertes versus Extrovertiertes, ein Nachtstück gegen „La Campanella“ (Das Glöckchen). Ich möchte mir nicht erlauben, tatsächlich beurteilen zu können, wie technisch brillant ein klassischer Pianist wirklich zu spielen vermag. Ich kann nur sagen, kommt das bei mir emotional an oder nicht. Und da stimmt – Verzeihung für den Ausdruck – das Gesamtpaket Alice Sara Ott einfach. Sie wirkt nie wie ein auf Erfolg getrimmtes Klassikkind, das sein Leben lang nichts anderes gemacht hat als sein Instrument zu üben. Zumindest scheint sie sich ihre Freiräume (vielleicht dank eines Hauchs von Zen oder so) erhalten zu haben und agiert eher unprätentiös, aber mit tiefen Verständnis für die Werke, die sie interpretiert und in deren Welt sie eintaucht. Dass da Verspieltes wie der „Minutenwalzer“ dabei ist, spricht für ihre nicht ganz unwichtige Unbekümmertheit als ein Feature neben Reife und wisdom beyond youth oder auch ihre Virtuosität. „Im Französischen heißt das Stück übrigens ,Der kleine Hund´ und beschreibt einen Hund, der im Kreis rennt und seinem eigenen Schwanz hinterher hechelt. Selbst als er dann wieder normal laufen will, ist ihm noch ganz schwindelig und er tänzelt und taumelt dahin.“ Ganz logisch, dass so eine Ansage das Publikum mitnimmt und Klassik so richtig plastisch und lebendig wird und die junge Künstler dabei supersweet rüberkommt.