Privat in der Schirn

Intimität war gestern

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Die Schirn Kunsthalle setzt in ihrer neuen Ausstellung der Privatheit ein Ende. Schnappschüsse, privat anmutende Videos, intim und Blicke ziehend. Nur die Grundthese der Schau ist hoffnungslos falsch.

Nils Bremer /

Ein Mädchen in ihrem Zimmer, halb entblößt, verboten anziehend - klar, das taugt als Plakatmotiv für eine Ausstellung oder als Aufmacherfoto in einem Onlinemagazin, das darüber berichtet. "Privat – das scheint heute fast schon ein Wort aus der Vergangenheit. Kaum noch passend in Zeiten, da alles auf Facebook gepostet wird, vom Lieblingskochrezept bis zum aktuellen Beziehungsstatus", heißt es in der Ankündigung zur Ausstellung. Und weiter: "Exhibitionismus, Selbstenthüllung, Erzähllust, Zeigefreude und Voyeurismus sind die sozialen Strategien unserer Zeit, in der längst ein Strukturwandel der Öffentlichkeit stattgefunden hat."

Nun könnte man nicken, ja brummeln, stimmt schon, die Jugend von heute, keinerlei Scham mehr undsoweiter undsofort. Die Kuratorin Martina Weinhart erzählt von offenherzigen Telefongesprächen in der S-Bahn, von Foto- und Videohandys, mit denen alles sofort ins Netz gesendet werden kann. Sie sagt sogar: "Wir leben in der Post-Privacy-Gesellschaft."

Nur: Trifft die Zustandsbeschreibung überhaupt zu? Dass ein Künstler wie Ai Weiwei sich selbst entblößt, aus seinem inneren Zirkel twittert um damit seine Sicht auf China in die Welt zu tragen - nicht weiter überraschend, oder? Dass Mike Bouchet in der Ausstellung hunderte Pornofilme zeitgleich als Mosaik zeigt - so what? Wir wissen ja, dass es YouPorn gibt und das auch Amateurvideos dort zu sehen sind. Nur sagt das recht wenig über unsere heutige Gesellschaft aus. Nur weil die technischen Möglichkeiten sich potenziert haben, heißt das nicht, dass wir sie gedankenlos nutzen.

In Deutschland setzten sich vor einigen Jahren nicht wenige Menschen dafür ein, dass ihr Haus bei Google gepixelt wird. Ihr Haus. Von außen. Der Konzern Facebook steht weltweit aber besonders auch in Europa unter öffentlichem Druck, die vielfältigen Daten seiner Nutzer zu schützen und nicht grenzenlos auszubeuten. Und vor wenigen Wochen ging ein Aufschrei durch Italien und Frankreich, als dort Teile von privater Kommunikation auf den öffentlichen Profilen von Facebook-Nutzern auftauchten. In Deutschland wirbt Google mittlerweile für sein social network damit, dass man Fotos dort nur denen zeigen kann, denen sie etwas angehen. Das ist alles andere als die totale Öffentlichkeit. Vielmehr entscheiden wir uns bewusst dafür, was wir unseren Mitmenschen mitteilen wollen - und was eben nicht. Geht dabei etwas schief, sind wir peinlich berührt.

Die Kunstwelt ging mit diesen Zwängen freilich schon immer anders um. Künstler überschreiten schon seit jeher Grenzen - auch um der Aufmerksamkeit willens. Da muss man gar nicht, wie die Ausstellung, in den 60er-Jahren anfangen. Wenn Rembrandt seine Mutter malt, ist das nicht das gleiche wie die Fotoarbeit von Marilyn Minter von 1969? Dazwischen liegen Jahrhunderte und neue Technologien, die durch die direkte Reproduzierbarkeit der Wirklichkeit einen Schein von öffentlicher Privatheit erzeugen. Es geht nicht um Privacy, es geht um Aufmerksamkeit.

Nackte Haut zeigt man nicht in der Öffentlichkeit? Nichts leichter als es in einer Performance zu ändern. Sex ist etwas Intimes? Ab damit ins Museum. Deswegen ist die Schirn-Kunsthalle ja auch ein guter Ort für so viel Intimität. Ob nun real oder gestellt, das bleibt den Besuchern überlassen. Sie können durch die Hallen wandeln, sehen links und rechts die Timelines von Künstlern, die kuratierte Privatheit, die sie gerne hätten. Von den halbentblößten Mädchen gibt es übrigens noch mehr zu sehen, sogar als Video. Na, dann nichts wie hin.


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