Diorama in der Schirn Kunsthalle

Schein und Sein

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Die Ausstellung ist überraschend: Die festgefügten Vorstellungen über Schaukästen in Museen werden erst bestätigt, dann hinweggefegt – und führen bis zu recht philosophischen Fragen. Und über allem schweben zwei Axolotl.

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Schräg hinter dem Alaska-Schneeschaf wird mit einem Esslöffel noch etwas rostbraune Erde auf einen Stein getupft, dann ist das Diorama aus dem Bremer Überseemuseum auch schon so gut wie fertig. Ein Tier in seinem Lebensraum, entschlossener Blick, vorne echter Schiefer und der Horizont eine unendliche Weite auf Leinwand.


Foto: Matthias Haase

Es ist dies ein Schaukasten wie man ihn aus naturkundlichen Museen kennt. Die Tiere ausgestopft oder als Gipsmodell mit ihrem Fell oder Gefieder wiederhergerichtet, eine Glasscheibe als Trennlinie zwischen dem Besucher und seinem Blick in eine andere Welt. "Das Diorama setzt die menschliche Kenntnis der Welt in Szene, nicht ohne dabei die Wahrnehmung des Betrachters zu beeinflussen und nachhaltig herauszufordern", heißt es im Begleittext zur neuen Schau in der Schirn – die erste umfassende Untersuchung des Dioramas, so heißt es. "Es geht uns nicht darum, alle Arten von Dioramen zu zeigen, sondern ihre Entstehungsgeschichte und ihre Wirkung auf die Betrachter", sagt Kuratorin Ilka Voermann.




Die Arbeit von Jean Paul Favand aus dem Jahr 2014 nimmt zwei Leinwände aus dem 19. Jahrhundert als Grundlage für ein Farb- und Tonspektakel und lässt den Ausbruch des Vesuv lebendig werden. Favand erweist mit seiner Arbeit "Naguère Daguerre" einem der Erfinder des Dioramas die Ehre: Louis Jacques Mandé Daguerre. Er und Charles-Marie Bouton gelten als Erfinder des Dioramas – einer optisch-mechanischen Schaubühne. Sie eröffnete erstmals 1822 in Paris und bot laut Daguerre „dem Betrachter alle Mittel der Illusion“. In diesem begehbaren Theater wurden auf große, semitransparente Leinwände gemalte Geschichten mit Licht und Bühnentechnik in Bewegung gesetzt. Der dadurch erweiterte Bildraum brachte eine neuartige und gesteigerte Qualität des Illusionismus hervor. Zahlreiche Schausteller eigneten sich dieses Verfahren an: So bestaunten Besucher auf Jahrmärkten beleuchtete Leinwände, Dioramen mit Szenen historischer Ereignisse, die von Automaten bewegt und von Orchestermusik begleitet wurden.

Die Schau zeigt diese Anfänge, die die Besucher sprachlos vor Begeisterung zurückließen, ebenso wie die religiösen und die Tierdioramen, bis sie schließlich in der Neuzeit ankommt. Schon am Anfang ein kleiner Hinweis aus dem Film "Nachts im Museum" – der Versuch Teil eines Dioramas zu werden. Dann schließlich als großes Finale ein Werk des Künstlers Mark Dion, der mit seinen Werken die menschliche Präsentation von Natur hinterfragt und ein wahrlich interessantes Habitat-Diorama präsentiert, das eigens für die Schirn angefertigt wurde. In einem großformatigen Glasschaukasten zeigt Dion einen Ausschnitt der Pariser Stadtlandschaft. Durch Zivilisationsmüll, Plastikabfälle und Schrott erscheint die Natur vollständig verbannt. Das mit in Städten heimischen Tieren bevölkerte Diorama bricht mit den herkömmlichen idyllischen Darstellungen der Tiere in ihren natürlichen Ökosystemen. Dion aktualisiert das Diorama als Präsentationsform und reichert es mit zeitgenössischen Themen wie Konsumverhalten und Umweltverschmutzung an.

Gleich benachbart leben in einem Glaskasten voller Erde zwei Axolotls. Lebendige Tiere. "Recht genügsam", wie Pamela Rohde, die Sprecherin der Schirn, bemerkt. Sie bekommen Trockenfutter, als Festmahl aber einen Mehlwurm. Jetzt verkriechen sie sich gerade in ihren Höhlen und beobachten aus sicherer Distanz den Aufbau der Ausstellung um sie. Aus ihrem Blick erheben sich Menschen auf Hebebühnen, werden Schwarz-Weiß-Fotos an die Wand gehoben. Auch eine Art Diorama. Aber wer weiß schon, was diese Fabelwesen denken und überhaupt erkennen können. Es heißt, sie nähmen nur Farbunterschiede zwischen hell und dunkel wahr. Mit einem entschlossenen Blick wie das Alaska-Schneeschaf können sie nicht dienen. Dafür wachsen ihnen Gliedmaßen nach, wenn sie sie verlieren. Und der Zuschauer sieht beim Verlassen wieder auf den Film "Nachts im Museum", in dem der Protagonist Teil der Ausstellung wird. Wir verlassen, verwundert, die Schirn und betrachten die Welt mit etwas anderen Augen.


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