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Alony & Leicht im Rind
Neu gewonnene Freiheiten
Mit „Hollywood Isn’t Calling“ hat Efrat Alony ein neues Album aufgenommen, das sie mit Quartett im Oktober präsentieren wird. Vorab gibt es ein Duo-Konzert mit Oli Leicht am 3. April im Rind – auch mit speziellen Versionen der neuen Songs.
JOURNAL FRANKFURT: Sie haben Ihr neues Album „Hollywood Isn’t Calling“ in Quartett-Besetzung aufgenommen und setzen diesmal auf eine klassische Rhythmussection mit Bass und Schlagzeug – warum haben Sie die gewählt?
Efrat Alony: Bei meinen letzten zwei Veröffentlichungen mit zwei unterschiedlichen Electro-Trios, „Dismantling Dreams“ und „A Kit For Mending Thoughts“, war viel von der Musik auf Computer-Arbeit basiert. Wir waren eigentlich zu viert – mit Computer(n) als viertem Bandmitglied. Das war eine große Bereicherung, ich habe sehr viel gelernt, Spannendes experimentieren können. Diese Vermischung von akustischen und elektronischen Klängen finde ich nach wie vor faszinierend. Allerdings hat diese Arbeit auch eine Abhängigkeit von Technik mit sich gebracht, von der Launen meines Computers (ja, er hat auch gute und schlechte Tage), einen gewissen Drang zu Spiel-Perfektion (denn alles kann genau bemessen werden) und somit auch weniger Freiheit beim Spielen. Wenn etwas vorprogrammiert ist, kann der Computer schlecht in dem Moment meine Gedanken oder Gefühle lesen und den Kurs ändern. Aber genau diese Magie passiert wunderbar bei (guter) Kommunikation unter Musikern auf der Bühne – wir können einander tatsächlich die Gedanken lesen. Und dann gehen wir gemeinsam einen ganz anderen musikalischen Weg, gegen alles was vorher besprochen war.
Stichwort Spontanität und Improvisation …
Solche Momente liebe ich, wo alles passieren kann, und keiner genau weiß, wo wir enden werden. Du musst einfach abwarten und darauf vertrauen, dass das, was entsteht, dann auch wirklich Sinn macht. Genau deshalb habe ich beschlossen, zurück an die Wurzeln zu gehen, um den „human factor“ zu zelebrieren, die Inspiration, die non-verbale Kommunikation, die „Fehler“, die passieren können, die aber in spannende musikalischen Wege führen, um ganz im Moment zu sein ohne Vorprogrammierung. Die Quartett-Besetzung auf dem neuen Album hat sicherlich auch mit der Instrumentierung zu tun, aber sie hat noch viel mehr mit den spezifischen Musikern zu tun, die diese Instrumente spielen. Mit Frank Wingold (Gitarre), Henning Sieverts (Bass) und Heinrich Köbberling (Drums) kann ich tatsächlich auf der Bühne alles auf den Kopf stellen, genau auf solchen musikalisch „unbekannten Straßen“ gemeinsam spazieren gehen und noch dazu: wir teilen den selben Humor und machen unsere Späßchen, vor und hinter der Bühne, in und außerhalb der Musik. Dieses Element ist mir sehr wichtig geworden, gerade bei zum Teil komplexer Musik sehe ich den „Humor“ als eine Möglichkeit in Kommunikation mit dem Publikum zu kommen, die Tür in meine Welt zu öffnen, sogar manches dadurch zu entschlüsseln oder entziffern zu helfen.
Auch wenn allein durch Ihre Gesangs-Performance die Musik nie nach Jazz-Standards klingt, musste ich trotz Hollywood im Plattentitel auch an den Broadway denken und da an die Musik von etwa Kurt Weill und seine Idee und Interpretation von Musicals … Ist das nachvollziehbar?
Ja, auf alle Fälle. Und dieses Album ist auch viel politischer als die vorherigen Veröffentlichungen, zum Beispiel in Songs wie „My Shorthand Modes Of Perception“ oder „El ha-Or“. Wir leben in einer Zeit, wo nichts zu sagen oder keine Meinung zu haben für mich keine Option mehr ist. Und es ist leider alles noch viel schlimmer geworden. Man braucht nur die Nachrichten zu lesen.
Es heißt in den Liner notes im D-Booklet, Sie hätten sich diesmal weniger in Komfortzonen und Fantasiewelten bewegt und keinen Eskapismus betrieben, sondern sich stattdessen der Wirklichkeit gestellt, gerade weil die Welt seit Beginn der Pandemie eine andere ist. Welche Denkanstöße möchten Sie vermitteln?
Ich versuche, das zerbrechliche Gleichgewicht zu finden zwischen der Flucht in meine Blase, in die Ruhe, wo man Energie aufladen kann, um dann in der Lage zu sein, in die „echte“, reale Welt zu gehen, zu interagieren und Stellung zu beziehen. Den Mut zu haben, dass wir als Individuen wirklich alles in Frage stellen – das System, in dem wir leben, seine Voreingenommenheit und Ungleichheit, aber auch uns selbst, unsere vorgefassten Gedanken, Wahrnehmungen, unsere Voreingenommenheit, unsere Vorurteile zu hinterfragen und aufzuhören, in Schubladen zu denken, nur weil es einfacher ist, und zumindest zu versuchen, jede Situation, jede Person für sich selbst zu bewerten, ohne das, was passieren könnte, zu verurteilen, weil es schon einmal passiert ist und zu versuchen, jedem eine Chance zu geben, besser zu werden (uns selbst eingeschlossen).
Wie kann man diesen Reality Check so in Worte und vor allem Klänge kleiden, dass die Musik noch hell und licht dabei bleibt?
Musik ist eine Ruhepol für mich und für viele andere. Musik ist Magie, sie führt zu einer der höchsten Gehirnaktivitäten, sie kann heilen, Trost geben, sie kann aber auch benutzt werden, um Klarheit zu schaffen und zur Selbstreflektion, all die Fragen zu stellen, die man im „normalen" Leben nicht zu stellen wagt, wo wir damit beschäftigt sind, zu „funktionieren“. Ich versuche mit diesen Kontrasten zu spielen, zwischen „Trost geben“ und dem „Aufruf zum Handeln“, zum Teil zwischen den Songs, aber zum Teil auch innerhalb der Songs.
Es gibt zwei Termine im Rind in Rüsselsheim – den zweiten spielen Sie in der Albumbesetzung, den ersten jetzt im Duo mit Oliver Leicht aus Frankfurt. Wie werden die neuen Lieder da klingen?
Am 23. Oktober spielen wir mit der Album-Besetzung im Quartett, am 1. April werde ich mit dem wunderbaren Oli Leicht im Duo spielen, ein langjähriger musikalischer Partner, hier wieder doch mit viel Electronics. Das ist der Versuch zu sehen, ob ich die neu gewonnene Freiheit doch in eine elektronische musikalische Umgebung übersetzen kann. Ja, ich weiß, ich widerspreche mir damit, aber ich habe dabei diese wundervolle Zeile von Miguel De Unamuno vor Augen: Wenn ein Mensch sich niemals widerspricht, dann muss es daran liegen, dass er praktisch nie etwas sagt. Ich finde es so wunderbar und versuche mir auch diese Freiheit zu nehmen.
Jazzcafé mit Efrat Alony & Oliver Leicht, Rüsselsheim, Das Rind, 3.4., 20 Uhr, Eintritt frei, Reservierung erforderlich unter info@dasrind.de
Efrat Alony: Bei meinen letzten zwei Veröffentlichungen mit zwei unterschiedlichen Electro-Trios, „Dismantling Dreams“ und „A Kit For Mending Thoughts“, war viel von der Musik auf Computer-Arbeit basiert. Wir waren eigentlich zu viert – mit Computer(n) als viertem Bandmitglied. Das war eine große Bereicherung, ich habe sehr viel gelernt, Spannendes experimentieren können. Diese Vermischung von akustischen und elektronischen Klängen finde ich nach wie vor faszinierend. Allerdings hat diese Arbeit auch eine Abhängigkeit von Technik mit sich gebracht, von der Launen meines Computers (ja, er hat auch gute und schlechte Tage), einen gewissen Drang zu Spiel-Perfektion (denn alles kann genau bemessen werden) und somit auch weniger Freiheit beim Spielen. Wenn etwas vorprogrammiert ist, kann der Computer schlecht in dem Moment meine Gedanken oder Gefühle lesen und den Kurs ändern. Aber genau diese Magie passiert wunderbar bei (guter) Kommunikation unter Musikern auf der Bühne – wir können einander tatsächlich die Gedanken lesen. Und dann gehen wir gemeinsam einen ganz anderen musikalischen Weg, gegen alles was vorher besprochen war.
Stichwort Spontanität und Improvisation …
Solche Momente liebe ich, wo alles passieren kann, und keiner genau weiß, wo wir enden werden. Du musst einfach abwarten und darauf vertrauen, dass das, was entsteht, dann auch wirklich Sinn macht. Genau deshalb habe ich beschlossen, zurück an die Wurzeln zu gehen, um den „human factor“ zu zelebrieren, die Inspiration, die non-verbale Kommunikation, die „Fehler“, die passieren können, die aber in spannende musikalischen Wege führen, um ganz im Moment zu sein ohne Vorprogrammierung. Die Quartett-Besetzung auf dem neuen Album hat sicherlich auch mit der Instrumentierung zu tun, aber sie hat noch viel mehr mit den spezifischen Musikern zu tun, die diese Instrumente spielen. Mit Frank Wingold (Gitarre), Henning Sieverts (Bass) und Heinrich Köbberling (Drums) kann ich tatsächlich auf der Bühne alles auf den Kopf stellen, genau auf solchen musikalisch „unbekannten Straßen“ gemeinsam spazieren gehen und noch dazu: wir teilen den selben Humor und machen unsere Späßchen, vor und hinter der Bühne, in und außerhalb der Musik. Dieses Element ist mir sehr wichtig geworden, gerade bei zum Teil komplexer Musik sehe ich den „Humor“ als eine Möglichkeit in Kommunikation mit dem Publikum zu kommen, die Tür in meine Welt zu öffnen, sogar manches dadurch zu entschlüsseln oder entziffern zu helfen.
Auch wenn allein durch Ihre Gesangs-Performance die Musik nie nach Jazz-Standards klingt, musste ich trotz Hollywood im Plattentitel auch an den Broadway denken und da an die Musik von etwa Kurt Weill und seine Idee und Interpretation von Musicals … Ist das nachvollziehbar?
Ja, auf alle Fälle. Und dieses Album ist auch viel politischer als die vorherigen Veröffentlichungen, zum Beispiel in Songs wie „My Shorthand Modes Of Perception“ oder „El ha-Or“. Wir leben in einer Zeit, wo nichts zu sagen oder keine Meinung zu haben für mich keine Option mehr ist. Und es ist leider alles noch viel schlimmer geworden. Man braucht nur die Nachrichten zu lesen.
Es heißt in den Liner notes im D-Booklet, Sie hätten sich diesmal weniger in Komfortzonen und Fantasiewelten bewegt und keinen Eskapismus betrieben, sondern sich stattdessen der Wirklichkeit gestellt, gerade weil die Welt seit Beginn der Pandemie eine andere ist. Welche Denkanstöße möchten Sie vermitteln?
Ich versuche, das zerbrechliche Gleichgewicht zu finden zwischen der Flucht in meine Blase, in die Ruhe, wo man Energie aufladen kann, um dann in der Lage zu sein, in die „echte“, reale Welt zu gehen, zu interagieren und Stellung zu beziehen. Den Mut zu haben, dass wir als Individuen wirklich alles in Frage stellen – das System, in dem wir leben, seine Voreingenommenheit und Ungleichheit, aber auch uns selbst, unsere vorgefassten Gedanken, Wahrnehmungen, unsere Voreingenommenheit, unsere Vorurteile zu hinterfragen und aufzuhören, in Schubladen zu denken, nur weil es einfacher ist, und zumindest zu versuchen, jede Situation, jede Person für sich selbst zu bewerten, ohne das, was passieren könnte, zu verurteilen, weil es schon einmal passiert ist und zu versuchen, jedem eine Chance zu geben, besser zu werden (uns selbst eingeschlossen).
Wie kann man diesen Reality Check so in Worte und vor allem Klänge kleiden, dass die Musik noch hell und licht dabei bleibt?
Musik ist eine Ruhepol für mich und für viele andere. Musik ist Magie, sie führt zu einer der höchsten Gehirnaktivitäten, sie kann heilen, Trost geben, sie kann aber auch benutzt werden, um Klarheit zu schaffen und zur Selbstreflektion, all die Fragen zu stellen, die man im „normalen" Leben nicht zu stellen wagt, wo wir damit beschäftigt sind, zu „funktionieren“. Ich versuche mit diesen Kontrasten zu spielen, zwischen „Trost geben“ und dem „Aufruf zum Handeln“, zum Teil zwischen den Songs, aber zum Teil auch innerhalb der Songs.
Es gibt zwei Termine im Rind in Rüsselsheim – den zweiten spielen Sie in der Albumbesetzung, den ersten jetzt im Duo mit Oliver Leicht aus Frankfurt. Wie werden die neuen Lieder da klingen?
Am 23. Oktober spielen wir mit der Album-Besetzung im Quartett, am 1. April werde ich mit dem wunderbaren Oli Leicht im Duo spielen, ein langjähriger musikalischer Partner, hier wieder doch mit viel Electronics. Das ist der Versuch zu sehen, ob ich die neu gewonnene Freiheit doch in eine elektronische musikalische Umgebung übersetzen kann. Ja, ich weiß, ich widerspreche mir damit, aber ich habe dabei diese wundervolle Zeile von Miguel De Unamuno vor Augen: Wenn ein Mensch sich niemals widerspricht, dann muss es daran liegen, dass er praktisch nie etwas sagt. Ich finde es so wunderbar und versuche mir auch diese Freiheit zu nehmen.
Jazzcafé mit Efrat Alony & Oliver Leicht, Rüsselsheim, Das Rind, 3.4., 20 Uhr, Eintritt frei, Reservierung erforderlich unter info@dasrind.de
31. März 2022, 10.30 Uhr
Detlef Kinsler
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. Mehr von Detlef
Kinsler >>
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