Veteranen der Roten Armee treffen sich jedes Jahr am 9. Mai in Frankfurt, um den Sieg über die Nazis zu feiern. Ein Bericht mit Audio-Slideshow über Trauer, Tanz und Tradition.
Martin Höcker /
Einmal im Jahr, am 9. Mai, legen sie stolz ihre Orden an und kommen zusammen, um diesen für sie so wichtigen Tag gemeinsam zu begehen. Es sind Veteranen der Roten Armee, die gegen Hitler-Deutschland gekämpft haben und nun alljährlich den Tag des Sieges über das Dritte Reich feiern. Mit ihrem Einsatz haben sie wesentlich zur Befreiung Deutschlands vom Faschismus beigetragen und waren in der Sowjetunion hoch angesehen.
Später haben sie jedoch ihr Heimatland verlassen, weil sie dort aufgrund ihres jüdischen Glaubens vielen Repressalien ausgesetzt waren. So kamen sie seit den 1980er Jahren in die Bundesrepublik, oft lebten dort schon ihre Kinder. Richtig vertraut wurden sie mit der neuen Kultur nicht: Deutsch zu lernen fiel ihnen oft aufgrund ihres schon fortgeschrittenen Alters recht schwer und auch heute noch kaufen sie lieber in russischen Läden ein oder gehen zu russischsprachigen Ärzten.
Jana Ostrowskaja ist die Koordinatorin des Verbands für Jüdische Heimatvertriebene und Flüchtlinge. Sie richtet die jährliche Gedenkfeier aus: „Wir ehren unsere Veteranen, sie haben die Nazis besiegt und den Krieg gewonnen. Jeder bekommt eine rote Rose, dazu lese ich Namen und Dienstgrad der Kriegsveteranen vor.“ Begleitend wird jedes Mal kurz die Hymne „Mazel Tov“ angespielt und die Veteranen grüßen militärisch, soweit es die Gesundheit noch zulässt.
Einer von ihnen ist Eduard Rosenthal, mit seinen fast neunzig Jahren erstaunlich rüstig. Mit 18 Jahren kam er damals zur Fliegerschule nach Moskau und später nach Leningrad. Während des Zweiten Weltkriegs war er Navigator auf einem russischen Bombenflugzeug: „Mein schwerster Einsatz war ein Angriff auf ein Munitionsdepot der deutschen Wehrmacht. Das war sehr stark mit Luftabwehrgeschützen gesichert, aber wir haben es trotzdem geschafft, das Depot zu zerstören.“ Während seiner Militärzeit hat Eduard Rosenthal keinerlei Ressentiments gegenüber Juden kennengelernt: „Wenn mich jemand als Jude beleidigt hätte, so hätte ich ihn erschießen können. Der Antisemitismus kam erst nach dem Krieg auf.“ Hierdurch wurde es für ihn und die anderen Juden in der Sowjetunion immer schwerer, ihre Religion zu leben, so dass Rosenthal zu Beginn der Neunziger Jahre beschloss, nach Deutschland überzusiedeln. Seitdem lebt er mit seiner Frau in der Nähe von Frankfurt. Die Jüdische Gemeinde ist für ihn ein Stück Heimat, das heißt aber nicht, dass er keinen Kontakt zu seinen Nachbarn pflegt: „Mit einem verstehe ich mich sehr gut. Er war ebenfalls Navigator, allerdings bei der Deutschen Luftwaffe. Wir sind beide so tolle Leute – wenn wir uns früher getroffen hätten, so wäre der Krieg vielleicht früher zu Ende gewesen.“
Eine der wenigen noch lebenden Veteraninnen ist Rahil Shor-Chodnovskaja. Als junge Ärztin lernte sie in den Lazaretten die Schrecken des Krieges besonders intensiv kennen. Sie pflegte Schwerstverwundete. Diese hatten oft keine wirkliche Überlebenschance: „Eines Tages wurde ein junger Mann mit einem Lungenschuss eingeliefert. Ich operierte ihm die Kugel heraus und es ging ihm besser. Aber es war Winter und er bekam eine Lungenentzündung. Ich hatte leider kein Penizillin, so konnte ich ihm nicht helfen und er ist gestorben. Noch heute sehe ich sein Gesicht vor mir.“ Über solche furchtbaren Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs kann die inzwischen 95-jährige nur unter Tränen berichten.
Inzwischen werden es von Jahr zu Jahr immer weniger, die die Gedenkveranstaltung zum Ende des Zweiten Weltkriegs noch besuchen können. Das stimmt Jana Ostrowskaja traurig, doch eines ist ihr gewiss: „Wir werden diesen Tag immer feiern, wir werden nie vergessen, was sie für uns getan haben. Und wenn wir das einmal nicht mehr selbst feiern können, so machen das unsere Kinder.“