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Foto: Dirk Ostermeier
Foto: Dirk Ostermeier

Neustart

42 Jahre bis zum Happy End

Mit 19 Jahren zieht Thomas Adam von zu Hause aus, wird kurze Zeit später obdachlos und verliert den Kontakt zu seiner Familie. Heute arbeitet er als Gästeführer in Frankfurt. Über ein Video, das ihn in Frankfurt zeigt, entdeckt ihn sein Bruder nach 30 Jahren wieder.
Nur wenige Tage vor seinem 62. Geburtstag erhält Thomas Adam eine E-Mail, die von heute auf morgen alles verändert. Sie stammt von seinem Bruder, Klaus Adam, den er mehr als 30 Jahre nicht gesehen hat. 1979, mit 18, zieht Thomas von zu Hause aus, bricht kurz danach den Kontakt zu seinen Eltern ab. Auch die Verbindung zu seinem Bruder Klaus reißt ab, als dieser das Gefühl hat, seinem jüngeren Bruder nicht mehr trauen zu können. Dann lernt Thomas Leute aus dem Hamburger Rotlichtmilieu kennen, die Scheinehen organisieren, damit die Frauen in Deutschland bleiben und vor allem arbeiten können. Kurze Zeit später bekommt er selbst das Angebot, jemanden in Offenbach zu heiraten.

„Die Hochzeit habe ich dann abgewickelt, die Gage dafür bekommen und dann bin ich hier nie wieder weggegangen – aber nicht, weil es mir hier gefallen hat, sondern weil ich keinen Antrieb mehr hatte“, erzählt er. Thomas beginnt, sich immer häufiger zu betrinken: „Mir ging’s damals nicht gut und wenn ich Alkohol getrunken hab, dann ging’s mir gut“, sagt er. Das Schlimme sei, so Thomas heute, dass sich Alkoholismus und seine Folgen nicht sofort bemerkbar machten, ein paar Jahre habe er auch so noch „funktioniert“. Dann verliert er seine Arbeit und seine Wohnung und wird schließlich obdachlos. „Von 1983 bis 2006 habe ich eigentlich nur noch für den Alkohol gelebt“, sagt Thomas Adam.

In dieser Zeit nimmt er auch ein einziges Mal wieder Kontakt zu seinem Bruder auf: Ende der 80er Jahre sagt Klaus’ Ehefrau eines Tages plötzlich zu ihm „da ist jemand am Telefon, der sagt, er sei dein Bruder“. „Da war ich schon ziemlich baff, weil wir schon ewig keinen Kontakt mehr hatten“, berichtet Klaus. Beide treffen sich kurz darauf in einer Hamburger Kneipe. Tränentattoo und fehlende Zähne – Klaus Adam erkennt seinen Bruder kaum wieder. Beide unterhalten sich, jedoch nur über Unwesentliches. „Dann sind wir rausgegangen und haben dann nur so gesagt ‚man sieht sich‘, aber wir wussten beide, dass wir uns nicht mehr wiedersehen“, sagt Klaus Adam. „Ich hatte auch kein Interesse daran. Da war keine Bruderliebe oder Verbundenheit mehr, Thomas war für mich wie ein Fremder“.

2006 hört Thomas mit dem Trinken auf, zieht 2011 in seine erste eigene Wohnung im Frankfurter Süden. Seine Familie hat er immer im Kopf, will aber nie den ersten Schritt machen. Zu groß ist die Angst vor ihrer Reaktion. „Bis vor drei Monaten habe ich gedacht, dass die mit mir nichts mehr zu tun haben wollen“, erklärt Thomas. Dann kam die Mail von seinem Bruder. Gefunden hat dieser ihn, wie sollte es heutzutage auch anders sein, über das Internet. Kurz vor Weihnachten ruft ihre Tante Klaus an und fragt ihn, ob er seinen Bruder Thomas eigentlich schon bei Youtube gesehen habe, erinnert sich Klaus. „Meinen eigenen Namen habe ich mal bei Youtube eingegeben, aber auf die Idee, Thomas Adam einzugeben, bin ich einfach nicht gekommen. Darüber ärgere ich mich im Nachhinein, dann hätte ich ihn wahrscheinlich schon viel früher getroffen“, so der 64-Jährige.

Klaus’ erster Gedanke ist sofort, wie er Kontakt zu seinem Bruder aufnehmen kann. Nach einer kurzen Recherche findet er heraus, dass Thomas bei den Frankfurter Stadtevents Führungen aus der Sicht eines ehemaligen Obdachlosen gibt und schreibt eine E-Mail dorthin. „Die Mail habe ich bestimmt 20-mal gelesen, weil ich das gar nicht begreifen konnte. Ich dachte erst, das wäre irgendwie ein Teilnehmer von meinen Führungen oder so“, sagt Thomas. Ein bis zwei Tage wartet er, bevor er auf die Nachricht antwortet. Nach kurzer Zeit telefonieren die beiden miteinander, anders als beim letzten Treffen vor etwa 30 Jahren herrscht sofort wieder eine Vertrautheit zwischen den Brüdern: „Da war nichts Fremdes, gar nichts“, sagt Klaus. Es dauerte nicht lange, da fällt der Satz: „Mutter will dich auch sehen.“ Thomas entscheidet, über die Osterfeiertage zu ihr zu fahren.

Sein Bruder Klaus holt ihn zunächst vom Bahnhof ab. Er erkennt ihn sofort, auch mit Maske. „Dann haben wir uns herzlich in den Arm genommen und sofort drauflosgesabbelt“, erzählt Klaus. Bei der Mutter angekommen, will Thomas erst einmal allein ins Haus gehen. „Den Moment, in dem ich meine Mutter gesehen habe, war ein Moment, den ich selbst nicht mehr steuern konnte. Das ist dann einfach so passiert, wie es passiert ist. Ich weiß noch, dass ich ihr die Hand geben wollte und dann habe ich innerlich gedacht, das ist zu wenig, du musst sie wenigstens mal umarmen“, erinnert sich Thomas. Mehr als 40 Jahre lang hat er seine Mutter nicht gesehen. Sie war damals Anfang 40, er 19 Jahre alt. Als sie nach all den Jahren die Tür öffnet, steht vor Thomas eine fremde Frau. „Meine Mutter hat zwei Muttermale mitten im Gesicht, ich habe die ganze Zeit geguckt, ob die auch da sind“, sagt er.

Eine Woche lang bleibt Thomas dort. Um sich langsam seiner Familie annähern zu können, schläft er in einem Hotel. „In der Zeit haben wir nur geredet, über alles“, sagt er. Sein größtes Anliegen beim Wiedersehen ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten, ohne zu viel wieder aufzuwühlen. „Meine Mutter hat vorher bereits am Telefon gesagt, dass wir nach vorne gucken müssen“, erklärt Thomas. Nun sei aber alles geklärt.

Mit seinem Bruder schreibt Thomas nun regelmäßig über WhatsApp, mit seiner Mutter telefoniert er hin und wieder. „Wir werden uns weiterhin kennenlernen. In einer Woche kann ich keinen Menschen kennenlernen, auch wenn es meine Mutter ist.“

Thomas Adam bietet mehrere Führungen an, in denen er Einblicke in seine Zeit als Obdachloser gibt. Infos und Tickets: www.frankfurter-stadtevents.de/Strassenblick
 
21. Juli 2022, 12.18 Uhr
Elena Zompi
 
 
Fotogalerie:
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