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Wie Frankfurt HIV-/AIDS-Hauptstadt wurde

AIDS and the City

„Frankfurt ist 1981 zur AIDS-Hauptstadt geworden“, sagt Stadtrat Christian Setzepfandt und führt uns zu Orten, die seither für Betroffene der Immunschwäche eingerichtet wurden und zeigen: die Krankheit ist noch präsent.
Als 1981 drei junge Männer aus Frankfurt in der Universitätsklinik an einer seltenen, durch einen Pilz verursachten, Lungenentzündung starben, war das für die Mediziner zunächst ein Mysterium. „Erst später konnte man die Symptome AIDS zuordnen“, berichtet Christian Setzepfandt, der uns als Stadtführer mit 37 Jahren Berufserfahrung und als Vorstandsmitglied der Aidshilfe Frankfurt durch die Stadt führt und über die Geschichte der Krankheit spricht. „Die gestorbenen Patienten verband nichts außer die Form ihrer Sexualität.“ Erst als die Ärzte sich mit ihren amerikanischen Kollegen in Verbindung setzten, wurde klar, dass es in den USA zu ebensolchen Fällen gekommen war. Erst 1983 sei es den Forschern Luc Montagnier und Robert Charles Gallo gelungen, aus derselben Blutprobe einen Virus zu identifizieren. Schnell brachten die Boulevardmedien den Begriff „Schwulenpest“ auf, auch angefeuert von einem vorläufigen Namen der damals weitestgehend unerforschten Krankheit, die man zunächst gay related immune deficiency, nannte, bevor man sich auf den neutraleren Begriff „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ – kurz AIDS, also eine erworbene Immunschwäche einigte. „Frankfurt ist seit 1981 zur traurigen HIV-/AIDS-Hauptstadt geworden“, sagt Setzepfandt. Mehr als 1500 Männer und Frauen seien hier gestorben.

Als AIDS nach Frankfurt kam

Doch wie kam die Krankheit von den USA nach Frankfurt? Setzepfandt vermutet, dass die 40 000 in Frankfurt stationierten US-Soldaten und auch Deutschlands größter Flughafen eine Rolle gespielt haben könnten. „Erste große Ansteckungen sind vermutlich in den 70er-Jahren erfolgt.“

Aus Unwissenheit resultierende Vorurteile begleiteten vor allem in den Anfangsjahren die Kranken, deren Familien oftmals mit ausgegrenzt wurden. Oft hätten die Angehörigen sich nicht einmal von den Totkranken oder Verblichenen verabschieden können. Statt dessen wurden die Toten heimlich beigesetzt, oft aus Armut in Sozialgräbern beerdigt und in Folien eingeschweißt, weil man eine Ansteckung fürchtete. Es waren die Zeiten, als man am Römer Schilder mit dem Hinweis aufhängte, man solle wegen der Ansteckungsgefahr niemandem die Hand schütteln. „Ein Zustand, der einer Gesellschaft nicht würdig ist.“

Zusammen mit anderen hatte sich Setzepfand für eine Gemeinschaftsgrabstätte eingesetzt, die Menschen mit HIV und AIDS vorbehalten ist. 2008 wurde dieses Grab „einer Wahlfamilie“, wie es Setzepfandt nennt, von Bürgermeisterin Jutta Ebeling auf dem Hauptfriedhof eröffnet. Das Ganze ist mit weißblühenden Pflanzen begrünt und besteht aus einem quaderförmigen Sockel, auf dem die Urne während der Trauerzeremonie ruhen kann und einem steineren „Seelenstuhl“. Beigesetzt werden die Urnen bei einem denkmalgeschützten Grabstein von 1929, für den die Aidshilfe die Patenschaft übernommen hat. Der Stein ist eine Säule mit der Inschrift „Die Liebe höret nimmer auf.“ An ihrem Sockel liegen schwere Steinplatten, unter denen die Menschen begraben wurden, deren Namen an einer Wand mit drehbaren Steinwürfeln verewigt sind. „300 Euro kostet so ein Grab. Der zuletzt Verstorbene verlängert die Liegedauer um 20 Jahre.“

Mit AIDS in Würde leben

Im Bus fahren wir vorbei an der Kaiser-Sigmund-Straße. Dort bietet das Lothar-Funken-Haus seit 21 Jahren betreutes Wohnen für Kranke an, die psychisch stabilisiert werden müssen und denen andernfalls Wohnungslosigkeit drohen würde. „Fünf Menschen leben derzeit dort und werden von Sozialarbeitern betreut“, sagt Setzepfandt über eine der Einrichtungen, die aus der 1985 gegründeten Aidshilfe Frankfurt hervorgegangen ist.

„Mitte der 80er-Jahre war die Krankheit so präsent in der Stadt, dass klar war, dass es eine Struktur geben muss, die betroffene Menschen sozial und politisch vertritt.“ Es habe damals Ideen in der Politik gegeben, Kranke zu tätowieren und man habe auch nicht davor zurückgeschreckt, Betroffenen ganz die Sexualität zu verbieten. Es ist der Leitung der Uniklinik zu verdanken, dass es keine geschlossene Abteilung für Aidskranke gegeben hat. Erst langsam sei man darauf gekommen, Menschen als mündig zu betrachten und sie durch Aufklärung zu schützen und „wissend zu machen“. Vergleiche man die Zahlen, so seien die getroffenen Maßnahmen erfolgreich. „Von rund 80 Millionen Deutschen sind 80 000 Menschen Träger des HI-Virus, während etwas in der Ukraine, ohne diese Präventionsarbeit von den 31 Millionen Einwohnern eine Million Menschen HIV oder AIDS haben.“

Risiko Drogengebrauch

Die Fahrt geht vorbei an der Taunusanlage, die vor 20 Jahren mit 2500 Menschen belebt war, die den Park zur Drogenwiese werden ließen. Druckräume sorgten dafür, dass der Drogenkonsum in geregelteren Bahnen und vor allem mit sterilen Utensilien und Spritzen stattfinden kann. An der Mainzer Landstraße treffen wir bei La Strada auf Jürgen Klee, der werktags Ansprechpartner für Drogengebraucher ist, sich um den Spritzentausch kümmert und uns nicht nur den mit weißen Kacheln verkleideten Druckraum zeigt, mit Stahltischchen auf denen Kerzen brennen – „zum Erhitzen der Drogen, nicht weil es so gemütlicher aussieht“, sagt Klee, der sich trotz des rauen Alltags noch seinen Humor bewahrt hat. Rund 100 Drogengebraucher schauen hier täglich vorbei, manche finden in den oberen Etagen auch für kurze Zeit ein Dach über den Kopf. 1,2 Millionen alte Spritzen werden bei La Strada jährlich gegen sterile getauscht. „Durch die Präventionsmaßnahmen leben die Drogengebraucher länger und sind verhältnismäßig alt, im Durchschnitt sind sie 34 Jahre.“ Ohne den Spritzentausch sei die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren und früher daran zu sterben weitaus höher gewesen. Früher seien 40 bis 60 Prozent der Drogenkosumenten HIV positiv gewesen, heute seien es 6 bis 8 Prozent.

Risiko Prostitution

AIDS-gefährdet sind auch die 2500 Prostituierten in der Stadt, vor allem die rund 600 Stricher. „Viele Stricher stammen aus Osteuropa, dabei handelt es sich meist um reine Armutsprostitution“, berichtet Setzepfandt. Viele männliche Prostituierte seien gar nicht selbst homosexuell, die 300 bis 500 Euro seien hart erarbeitet und gingen oft mit erheblichen seelischen Belastungen und natürlich mit einem höheren Ansteckunsgrisiko einher. KISS sei die Anlaufstelle der AIDS-Hilfe für Stricher.

Die Sterblichkeit AIDS-Kranker sei durch die Therapiemöglichkeiten gesunken. Im Haus 68 A in der Uniklinik werden HIV-Positive und AIDS-Kranke mit Mehrfachkombinationspräparaten behandelt. 30 Medikamente gebe es derzeit auf dem Markt, so Setzepfandt. Da es mehrere Virentypen gebe, sei die Forschung aber noch eine ganze Weile beschäftigt. Wir fahren am Georg-Speyer-Haus in der Paul-Ehrlich-Straße vorbei. „Hier lagern HI-Viren aus der ganzen Welt“, sagt Setzepfandt und im Schwulencafé Switchboard erklärt er, dass es 20 Subtypen mit unterschiedlichen Genstrukturen gebe. In dem Café in der Alten Gasse finden nicht nur Veranstaltungen für die Community statt, es wird auch Beratung angeboten und an jedem Montag kann man sich dort zwischen 17 und 19.30 Uhr einem anonymen HIV-Schnelltest unterziehen. 1600 solcher Tests habe man in den vergangenen drei Jahren durchgeführt. Davon seien 20 positiv gewesen, erfahren wir. Die Aidshilfe Frankfurt, übrigens die größte ihrer Art in Deutschland, wird also auch weiterhin bei ihren Einrichtungen regen Zulauf haben.

Bald ist Weltaidstag

Wenn am 1. Dezember Weltaidstag gefeiert wird, dann hat dieses Aufmerksam machen auf die Krankheit immer noch einen Sinn: Das Robert-Koch-Institut geht von 78 000 Menschen mit HIV-Infektionen in Deutschland aus, schätzungsweise 51 000 davon sind Männer, die Sex mit Männern haben. Am Weltaidstag findet um 18 Uhr eine Gedenkveranstaltung in der Paulskirche statt, an der auch Renate Künast teilnehmen wird, mit anschließendem Trauermarsch zum AIDS-Memorial, das sich auf dem derzeit im Umbau befindlichen Peterskirchhof befindet.

Mehr zu der Arbeit von La Strada lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT!
 
20. November 2013, 10.21 Uhr
Nicole Brevoord
 
 
Fotogalerie: AIDS and the City
 
 
 
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