Na also, geht doch. Konzerte können mich doch noch berühren. Muss also doch an Licht und White Winterland und nicht an mir und meiner Stimmung gelegen haben, dass mich da nichts, aber auch gar nichts „erleuchtet“ hat. Geschafft hat das dafür Yasmin Levy in der Brotfabrik am Dienstagabend – mit einer Musik, die bis zu 500 Jahre(!) alt ist, aber so gar nicht museal daher kam und dargeboten wurde.
Schon der Einstieg ins Konzert war gelungen. Miguel Moreno, der spanische Gitarrist der israelischen Sängerin, begleitete den fast meditativen Beginn des Auftritts, dazu dezent, aber gleich bewegend gesetzte Töne des Bläsers im Bühnenhintergrund. Kann die Rohrflöte Ney so warm, voll und körperlich klingen?
Erst später, als der Mann als Armenier namens Vardan Hovhannisyan vorgestellt wurde, war klar: was da in eher atypischem Kontext erklang, war das (sorry, das klingt jetzt alles so technisch) armenische Doppelrohrblattinstrument Duduk, meist aus Aprikosenholz (jetzt klingt´s schon versöhnlicher und poetischer). Und jeder, der den Meister dieses Instruments, Djivan Gasparyan, schon einmal erleben durfte, ist dem Klang regelrecht verfallen. Und neben Ney und Duduk spielte der Virtuose dann noch Klarinette und – ebenso faszinierend – Zorna (oder Zurna), eine Kegeloboe mit eher quäkigem Ton, für mich aber untrennbar verbunden mit der Jajouka-Musik aus dem marokkanischen Rif, die schon den verstorbenen Ur-Rolling Stones Brian Jones so begeisterte, das er The Pipes Of Pan At Joujouka für ein Album aufnahm.
Das kleine, aber feine Ensemble ergänzte Miles Ofosu-Danso aus Ghana am Kontrabass und Yasmins Ehemann, Ishay Amir, an den Percussions, ein subtil mit Besen gespieltes Cajon, eine Darbukka, ein Becken und eine Triangle. Das genügte ihm vollkommen, um ein dynamisches Set zu spielen. Aber zurück zur Hauptperson. Nach einem „Guten Abend“ entschuldigt sich die Sängerin gleich, dass sie kein Deutsche, diese für sie schwere Sprache spreche, und geht aufs Englische über, um ein wenig über die Ursprünge ihrer Musik zu erzählen und in den Abend zu geleiten. Denn das, was die Frau im langen schwarzen Kleid mit einer Art Bolerojacke darüber (oh Gott, jetzt bekomm´ ich Zuschriften von Modekennern, was ich da für einen Blödsinn verbreite...) zu ihrer Leidenschaft erklärt hat und als Tradition pflegt und lebending erhalten will, ist die Musik sephardischer Juden auf der iberischen Halbinsel, von wo aus sie sich aber ums gesamt Mittelmeer, in den Maghreb, aber auch nach Griechenland und die Türkei, aber von da aus auch auf den Balkan bis nach Bulgarien verbreitet haben und überall Vokabeln aus den Landessprachen ins eigene Ladino übernahm.
In Ladino aber auch spanisch sang die Frau aus Jerusalem ihre Lieder, Lieder voller Emotion, Leidenschaft, auch Melancholie, Psalme, Traditionals, aber auch eigene Kompositionen. Vieles klang spanisch und war dann eben doch nur zum Teil. Und selbst wenn Yasmin Levy einen Flamenco ankündigte, dann nicht, ohne vorher klar zu machen: „Ich war zwar drei Monate in Sevilla, um Flamencogesang zu studieren, aber Flamenco ist mehr ein Lebens- als ein Musikstil. Mann muss sich ihm sein ganzes Leben widmen, um gut zu sein. Deshalb habe ich meinen eigenen Yasmin-Flamenco entwickelt, Text und Melodie aber aus Respekt beibehalten, aber den Rhythmus leicht verändert.“ Und hier kommen die Handinnenflächen zum Einsatz. Und das andächtig lauschende Publikum tut gut daran, eben zu respektvoll nicht mitzuklatschen zu versuchen. Denn die weniger Schläge sind letztlich doch komplexer gesetzt als man anfangs annehmen möchte.
Klar – hier sind auch die Wurzeln einer jeder Zigeunermusik (hier politisch korrekt benutzt) im fernen Rajasthan herauszuhören und auch Station, die sie auf ihrer Reise genommen hat, sprich Nordafrika. Nicht von ungefähr hört man auch – nicht nur wegen der Zurna und Darbukka – Arabesken heraus und mag sich zu einem der Songs auch vor dem geistigen Auge Bauchtanz vorstellen, so ganz anders als die eher stolzen, langsamen Bewegungen der Levy. „Mano Suave“, den Titelsong ihres letzten Albums, hat sie mit der Kollegen Natacha Atlas (erst kürzlich in der Centralstation in Darmstadt) aufgenommen. „Sie singt den arabischen Teil ds Textes in diesem Lied“, erzählt Yasmin auf der Bühne, eine klare Friedensbotschaft und der Glaube an die Kraft von Musik als verbindendes Glied zwischen auch verfeindeten Völkern. „Denn wenn es einmal Frieden gibt in unserer Region, ist das mit der schönste Flecken Land, den man besuchen kann.“
Bei aller Ernsthaftigkeit und Widmung an die Traditionen, gibt es auch ganz persönliche, aktuelle Geschichten und auch bewusst und gesucht komisches Momente im Programm der Levy. „Una noche mas“ hat sie nach einer wahren Geschichte geschrieben. Weil sie sie so berührt hat. „Eine Frau in den Sechzigern hatte eine Liebesbeziehung mit einem Mann in den Dreißigern. Sie war eine sehr smarte Frau. Eines Tages ließ er sie mitten auf der Straße stehen und meinte, ich habe eine Frau gefunden, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte, und das bist nicht du! Die Frau ist geschockt, wünscht sich von ihm aber noch eine letzte gemeinsame Nacht.“ Der andere Song bringt den (bösen) Witz ins Spiel. Sie kündigt ihn deutsch an: „Meine böse Schwiegermutter“. Und was so durchscheint ist, dass es im text durchaus um Mordgelüste geht. Bei der Bandvorstellung viel viel später am Abend, macht sie allerdings deutlich, dass der Sohn ihrer Schwiegermutter nichts zu befürchten hat, weil sie doch auch mit ihr einen eher guten Fang gemacht hat, so wie alle Besucher der Brotfabrik sich glücklich schätzen konnten, dieses Konzert erlebt zu haben. Uralte Weisen im Hier und Jetzt und ganz nah an sich heran gelassen wunderbarer Seelenbalsam und wirklich erhellend.