Journal Frankfurt: Welche Lehren haben Sie persönlich aus der Finanzkrise gezogen? Lutz Raettig: Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Maßnahmen und Instrumente, die bislang den Finanzmarkt bestimmt haben, nicht gegriffen haben und uns nicht vor einer globalen Krise bewahren konnten. In einer globalen Marktverflechtung reichen nationale Regulierungen nicht mehr aus. Wenn wir global handeln, müssen wir auch globale Strukturen schaffen. Das hat die Finanzkrise aus meiner Sicht mehr als deutlich gemacht.
Wie kann Ihrer Meinung nach das Vertrauen in die Finanzwirtschaft wieder hergestellt werden? Anders als oft vermittelt, ist die Finanzkrise nicht ohne Konsequenzen für die Banken geblieben. Die Finanzwirtschaft will eine neue Finanzmarktstruktur und arbeitet daher bereits seit Monaten intensiv an einer adäquaten Regulierung. Dieser Prozess braucht Zeit, denn die Regulierungen sollten mit Bedacht umgesetzt werden, um eine erneute Finanzmarktkrise zu vermeiden. Ebenso langsam wird die Finanzwirtschaft das Vertrauen zurückgewinnen. Mit der Bereitschaft zu umfassenden Regulierungen und der ersten Umsetzung von regulativen Maßnahmen ist die Finanzwirtschaft jedoch auf einem guten Weg, die Vertrauenskrise zu überwinden. Die schrittweise und durchdachte Regulierung zeigt die Absicht der Finanzwirtschaft, künftige Krisen zu vermeiden, und den Willen aller Beteiligten, das Vertrauen dauerhaft zurückzugewinnen.
Welche Regeln müssen in der Finanzwirtschaft gelten? Regeln sind gut, wenn sie ihren Zweck erfüllen. Daher müssen die Regulierungen, die jetzt entstehen möglichst viele Parameter in den Reformprozess einbeziehen. Die wichtigste Spielregel im Finanzmarkt wird meines Erachtens die Nachhaltigkeit sein. Mit Blick in die Zukunft werden nur nachhaltige Finanzmärkte funktionsfähig und in der Lage sein, eine starke Wirtschaft zu fördern.
Wer soll die Bankenaufsicht führen? Weiterhin die Bafin oder vermehrt die Bundesbank? Zunächst ist aus meiner Sicht die geplante Zusammenlegung der Bankenaufsicht bei der Bundesbank die richtige Entscheidung. Sie ist auch eine logische Konsequenz aus der Forderung nach einer sachgerechten, effizienten und marktnahen Regulierung. Mit der Bündelung der Aufsicht unter dem Dach der Bundesbank hat man eine zentrale Organisation geschaffen, die einen engen Informationsaustausch sicherstellen kann. Ich bin der Meinung, dass unter Aufsicht der Notenbank krisenhafte Entwicklungen schneller erkannt und konsequenter adressiert werden können.
Mit der GLS und der Triodos und einigen kirchlichen Finanzinstituten sind mittlerweile mehrere Akteure auf dem Markt, die sich einer nachhaltig orientierten Zielgruppe widmen. Vernachlässigen die traditionellen Banken da einen Wachstumsmarkt? Wie andere Märkte auch, bietet der Finanzmarkt viele Geschäftsfelder und Kundengruppen. Jedes Finanzinstitut muss für sich entscheiden, ob es Wachstumspotenziale in einem Marktsegment sieht, das auf eine nachhaltig orientierte Zielgruppe ausrichtet ist. Ohne Zweifel spielt das Thema Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle. Als ein Geschäftsfeld unter vielen widmen sich bereits einige traditionelle Banken dem Cluster der nachhaltig orientierten Kunden.
Lutz Raettig ist Vorsitzender des Aufsichtsrates Morgan Stanley Bank AG und seit Mai 2006 Stadtrat der Stadt Frankfurt.