Journal Frankfurt: Die Festwoche „goethe ffm“ geht auf Ihr Engagement zurück. Was hat Sie dazu bewegt?
Elisabeth Schweeger: Der Gedanke ist bereits am Anfang meiner Frankfurter Zeit entstanden. Es war an der Zeit, dass in dieser Stadt Goethe mit einem Festival geehrt wird. Aber es dauert ja, bis man in einer Stadt ankommt und plötzlich merkt, dass es da ein Interesse gibt. Ich kann eine solche Idee anschieben, Sinn und Bedeutung bekommt ein Festival für eine Stadt aber erst, wenn auch die anderen Kulturinstitutionen mitziehen.
Sie haben im letzten Jahr einen sechstätigen Testballon gestartet. Wie ist er angenommen worden?
Sehr gut. Ich glaube, dass die Stadt auf so etwas ganz gut reagiert, auf solche Festivals.
Warum?
Weil es vorübergehend ist, aber nicht im negativen Sinne. Ich finde die Stadt gerade deshalb spannend, weil sie diesen Grad an Mobilität lebt, den in der globalisierten Welt alle Städte irgendwann mal haben werden. Hier ist das bereits Fakt. Dadurch gibt es eine ganz bestimmte bewegliche Substanz, die sich unterscheidet von Städten wie München oder Wien zum Beispiel, wo es immer noch ein eingesessenes Bürgertum gibt. Frankfurt ist sehr viel beweglicher. Und deshalb glaube ich, dass man hier mit solchen temporären Sachen Interesse weckt.
Welches Ziel hat das Festival?
Es wäre schön, wenn dieses Festival zu dem werden könnte, was Mozart für Salzburg oder Schiller für Mannheim ist, und so das Profil der Stadt erweitert. Denn es ist nicht nur eine, die der Bankenwelt verpflichtet ist, sondern auch eine geistige und künstlerische. Beispielsweise goethe ffm könnte hierfür ein Label werden. Goethe war ein universeller Geist, und das passt sehr gut zu dieser Stadt.
Gemeinsam mit dem Kulturdezernat führen Sie bei „goethe ffm“ zahlreiche Frankfurter Institutionen zusammen. Welche Vorteile haben diese Netzwerke für Sie?
Sie verdichten eine Stadt. Man verbindet ihre einzelnen Orte und Möglichkeiten miteinander und bindet damit auch unterschiedliches Publikum. Zugleich sind diese Zusammenschlüsse auch ein Signal an die Kulturpolitik: keines der Institute ist wegzudenken, sie hängen miteinander zusammen, befruchten und stärken sich gegenseitig und bereichern ein Stadtleben.
Goethes Wunderkammer als Bildungsblase
Beispielsweise bei der „Wunderkammer“, einer mobilen Installation im Stadtraum während der Goethe-Festwoche, arbeiten Sie auch mit freien Theatermachern zusammen. Welche Vorteile hat das für Sie?
„Goethes Wunderkammer“ wird kuratiert von Auftrag: Lorey, das sind ganz besondere Künstler, mit denen wir bereits letztes Jahr in Kooperation mit den Salzburger Festspielen zusammengearbeitet haben. Sie entwickeln eine Bildungsblase als kreative Denkmaschine vom Alltag bis zu gedanklichen Höhen. Das hat einen sehr ernsthaften, aber auch einen sehr ironischen Unterton und hinterfragt den Begriff der Bildung. Weiters ist die Wunderkammer ein Exkurs in den Stadtraum hinein, weitet also das Verständnis von Theater, das traditionell ein Ort der Begegnung ist, kein abgeschlossener Bunker.
Wie verändert die Zusammenarbeit mit freien Gruppen Ihr Haus?
Ich habe immer gesagt, es gibt viele künstlerische Handschriften im Theater. Und wenn man die Möglichkeit hat und keiner anderen Institution damit in die Quere kommt, sollte man diese für das Publikum zur Diskussion stellen. Außerdem entwickelt sich Kunst weiter, muss überprüft werden und sich messen am Altbewährtem. Neue Tendenzen sind gleichberechtigt wie das Etablierte und damit so wichtig wie ein Peter Stein, zum Beispiel. Mich hat immer interessiert: Was kannst du alles mit dem Instrument, das du hast, machen? Was findet Antworten auf unsere Zeit? Auf Fragestellungen, auf Probleme?
Gräbt man sich nicht selbst Publikum ab mit so einer Programm-Bandbreite?
Nein. Je mehr in einer Stadt passiert, desto besser ist es, das ist Kulturhumus. Wenn alles anfängt zu wirbeln, dann fängt eine Stadt an, zu leben. Und je mehr heute existiert an geistiger und künstlerischer Qualität, desto sicherer kann man sein, dass es auch eine Zukunft gibt.
Zurück zur Goethe-Festwoche: Was sagen Sie zu fundamentalen Kritikern wie dem Autor und Regisseur René Pollesch, der sagt, man dürfe keine so genannten Klassiker mehr aufführen, da sie ein gestriges Gesellschaftsmodell am Leben erhalten?
Das sehe ich anders. Ich finde, Erinnerungsarbeit ist lebenswichtig, sie ist ja nicht mit Musealisierung gleichzusetzen. Natürlich muss Literatur jeden Tag überprüft werden, wie wichtig ist sie, welche Relevanz hat sie noch? Bringt es mir etwas für mein Verständnis, für meinen Durchblick auf Welt? Entschuldigung, aber kollektives Gedächtnis ist doch das, auf dem wir aufbauen.
Gretchen und Faust im Helmi-Puppentheater.
Aber wie zeitgemäß ist denn noch eine Figur wie das Gretchen?
Im Gretchen stecken doch aktuelle Fragen: Wie aufrichtig bist du in deiner Liebe zu mir? Und diese Frage stellt jede Frau an jeden möglichen Liebeskandidaten. Und sie stellt die Vertrauensfrage, von der Glaubensfrage einmal ganz zu schweigen.
Trotzdem ist es eine männliche Sicht auf Frauen, die da reproduziert wird – warum müssen immer Frauen auf der Bühne über die Liebe sprechen?
Natürlich, diese setzt sich ja fort bis in die Ensemblebesetzung. Man braucht eine Reihe junger Frauen, und für ältere gibt es in der Literatur keine Rollen mehr. Die Literatur ist eine patriarchalisch bestimmte, leider nach wie vor.
Also reproduzieren Sie diese Strukturen. Sie brauchen nur Frauen bis 35 …
Nein. Und man wirft sie dann ja nicht raus, nur weil sie 40 werden. Dann muss man halt überlegen und den Shakespeare vielleicht nur noch mit Frauen spielen oder junge Autoren bitten, sich dieser Thematik zu widmen. Der Einfallsreichtum ist garantiert ohne Grenzen.
Was war Ihnen noch wichtig an Ihrer letzten Spielzeit, die ja unter dem Titel „hin und weg“ steht?
Dieses „hin und weg“ bestimmt mein ganzes Leben, und auch die ganze Gesellschaft. Wir sind einfach eine Wandergesellschaft geworden, heißt aber auch, dass man verzückt ist, sich verzücken lässt, dass man aber auch hin und her gerissen ist. Wir haben doch eine lange Zeit hier gearbeitet, und haben unsere Spuren hinterlassen, acht Jahre sind ja keine Kleinigkeit. Ich bin sicherlich mein schärfster Kritiker, wir haben viel Gutes, aber auch Fehler gemacht. Die wird man immer machen, aus denen lernt man, dadurch erst bewegt man und verändert sich. Es ist uns gelungen, Kontinuität herzustellt, wir haben ein sehr klares Profil für das Haus entwickelt, das war mir wichtig. Für mich war die Erkenntnis, dass Ensemblearbeit eine sehr schöne Arbeit ist, dass sie Freiräume lässt, dass man zusammenwächst und gemeinsam für eine Stadt kämpft, die schönste Erfahrung. Ich wollte, dass das Haus sich nach Innen stabilisiert, personell, administrativ und technisch, und habe die längst fällige Sanierung des Hauses vorangetrieben. Sie wird noch ein paar Jahre dauern, aber es ist alles in die Wege geleitet. Und dass das Haus sich der Moderne wieder geöffnet hat, das finde ich wichtig. Wir haben hier einiges bewegt, stabilisiert und umgekrempelt, und ich denke, man kann nun leichter weiterarbeiten, da sich das Haus national und international einen guten Stellenwert erarbeitet hat.
Das Motto der Spielzeit formuliert ja auch den Abschied. Sind Sie traurig?
Natürlich hast du eine Trauer. Ich weiß nicht, wie es in anderen Berufen ist, aber in der Kunst gehst du ein Liebesverhältnis ein: mit der Stadt, mit dem Haus, mit den Leuten vom Pförtner bis zum Schauspieler. Und ich habe mich natürlich verliebt. Man macht Höhen und Tiefen durch. Man hat sich ja mit Leib und Seele, mit Haut und Haar diesem Haus und dieser Stadt verpflichtet, und dass man da nicht so ganz einfach weggeht, ist klar, obwohl das Neue bereits aufregend lockend vor der Türe steht. „Leben von Anfang an ist Trennung“, sagt Pedro Salina – aber erst einmal liegt ein Jahr Volleinsatz für eine spannende Spielzeit vor uns.
Alle Termine der Goethe-Festwochen finden Sie hier.
Fotos: Harald Schröder, Raumlabor Michael Meier, Helmi, schauspielfrankfurt