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Roman Flügel im Interview

Der Darmstädter Roman Flügel gehört zu den einflussreichsten Charakteren der elektronischen Musik. Im PUR-Oktoberheft spricht er über den Status Quo der Szene. Hier das Interview in voller Länge.

Sowohl auf Solopfaden als auch im Duett mit Jörn Elling Wuttke als Alter Ego landete Roman Flügel diverse Club-, aber auch Charthits. Wie Romans persönliche Reise nach 20 Jahren in der Szene weitergeht bzw. wie er zur „next generation“ steht, erfahren Sie hier.

PUR: Du bist unter verschiedenen Künstlernamen seit fast 20 Jahren in der elektronischen Musikszene verankert. Dadurch hast du verschiedenste Strömungen und Einflüsse mitbekommen und teilweise auch selbst geprägt. Wohin geht die Reise der elektronischen Musik aktuell, was wird deiner Einschätzung nach das „nächste große Ding“ nach House?

Roman Flügel: Auch ich sehe naturgemäß nur einen sehr kleinen Ausschnitt davon, was sich tatsächlich in der elektronischen Musik tut. Bevor ich auf den vermeintlich neusten Trend schiele, betrachte ich mich erst mal selbst, und versuche, mich inhaltlich in meiner Arbeit als Musiker und DJ weiterzuentwickeln. Clubmusik nimmt einen sehr großen Teil meines Lebens ein, und um bald 20 Jahre dabei zu sein, war es in der Vergangenheit wichtig sich nicht zu viele Gedanken um den „Sound der Stunde“ zu machen, sondern vielmehr zu versuchen, seinen eigenen Weg zu gehen. Sonst hätte ich vor 15 Jahren mal kurzzeitig auf „Jungle“ umsteigen müssen oder noch besser „Trance“ produzieren sollen. Das war beides mal ziemlich erfolgreich. Darum geht es mir aber nicht. Der Erfolg hat sich in meinem Fall zum einen durch viele, rein zufällige, aber sehr glückliche Umstände, zum anderen durch maximale Hingabe und wirkliches Interesse an der Musik eingestellt. In den letzten zwei Jahren haben viele Leute wieder ein Interesse an „deeperen“ Housetracks entwickelt, die sich in vielen Fällen auf Platten beziehen, die vielleicht schon produziert waren, als ich anfing, meine ersten Platten zu veröffentlichen. Das kann man wiederum als Reaktion auf Minimal bewerten, Minimal könnte vielleicht als Antwort auf frühe Electro Clash, später Electro House Produktionen gewesen sein. Das können zukünftige Geschichtsbücher aber viel besser beantworten. Die Frage nach dem nächsten „großen Ding“ ist natürlich überflüssig, da niemand eine hundertprozentige Antwort darauf haben kann. Das ist auch ganz gut so, denn obwohl alles und jeder miteinander vernetzt scheint und Trendscouts und Marketingfachleute weltweit nach den neusten Jugendbewegungen Ausschau halten, kommt so etwas tatsächlich meistens dann doch sehr überraschend. Wer in der glücklichen Lage ist, auch mal über den Tellerrand Deutschlands hinauszuschauen, der stellt fest, dass ein Trend hierzulande noch lange keiner im Rest der Welt sein muss und die meisten Stilrichtungen in der Regel einfach parallel existieren. Das eine mal erfolgreicher als das andere. Genau dann erkennt man wieder, wie wichtig es ist zu versuchen, seinen eigenen musikalischen Mikrokosmos zu entwickeln.

PUR
: Und wohin geht deine persönliche Reise? Willst du auch in der etwas ferneren Zukunft vor allem von der Musik und der Auflegerei leben, oder dich irgendwann ähnlich wie DJ Ata auch anderen Dingen zuwenden?

Roman Flügel: Die obligatorische Frage nach dem Zusammenhang von Alter und Nachtleben. Für mich ist es ein riesiges Privileg, ein Leben zu führen, in dem ich in der Lage bin, seit vielen Jahren mit selbstständiger Arbeit Dinge zu gestalten. Das ist vielleicht nur möglich mit einem gewissen Maß an Risikobereitschaft. Keiner weiß, was das Leben tatsächlich für einen bereithält, ich würde mir jedenfalls wünschen, mit dem, was ich mache, noch ein wenig älter zu werden. Deshalb habe ich mir auch noch keine „Exit Strategie“ zurechtgelegt. Deine Frage beinhaltet vielleicht ja auch deine eigene Furcht vor dem Tag, an dem du im Club irritiert feststellst, nichts mehr zu verstehen. Ich habe aber eine andere, für mich interessante Erfahrung gemacht: Viele meiner Freunde, die heute ein bürgerliches Leben in gehobenen Positionen führen und sich früher im „Omen“ verausgabt haben, schwelgen in Erinnerungen an diese verflossene Zeit. Es sind vor allem gesellschaftliche Konventionen aber auch natürliche Entwicklungen wie zum Beispiel die Gründung einer Familie, die das Nachtleben irgendwann immer unmöglicher werden lassen. Ich habe jedenfalls nicht vor, eine zweite Laufbahn als Gastronom einzuschlagen, denn das wäre ja nur der Schritt von vor der Theke hinter die Theke, bin aber gleichzeitig froh, bei meinem alten Freund Ata jetzt jederzeit auch ein kühles Bier im Bahnhofsviertel serviert zu bekommen ...

PUR: Als House vor einigen Jahren wieder deutlich an Popularität gewann und gerade der Musik aus dem Rhein-Main beziehungsweise Rhein-Neckar-Gebiet große Aufmerksamkeit zuteil wurde, sprachen die Medien von einer Renaissance der House-Music. Wie hast du dieses Wiederaufleben des Genres selbst wahrgenommen? War es nicht eher ein Revival derselben Musik im Neuzeitformat, das eigentlich vor allem für einen Generationswechsel der bestimmenden Szene-Protagonisten stand, anstatt der Musik neue Impluse zu verschaffen?

Roman Flügel: House und Techno haben jetzt tatsächlich eine Historie. Als alles anfing, hat daran fast niemand geglaubt, vielmehr wurde jedes Jahr aufs Neue damit gerechnet oder gehofft, dass alles möglichst schnell vorbei sein würde. Stattdessen wurden viele Journalisten und Rockmusiker enttäuscht, und unser „Ding“ ging einfach weiter. Jetzt kann man feststellen, dass „Techno“ als Großtrend vielleicht die letzte neue Jugendkultur vor der Erfindung des World Wide Web war. Seither ist wohl auch keine neue entstanden, und schließlich ist diese sogar in der Lage, durch die musikalische Hintertür Top-10-Acts wie Lady Gaga oder die Black Eyed Peas zum Erfolg zu verhelfen. Gleichzeitig ist das, was ehemals so neu war, dass man sich dafür gar keine Zukunft vorstellen wollte, eine feste Musikrichtung mit tausend Spielarten geworden. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht kenne, berufen sich heute fast jede neue Band oder eben auch viele junge Produzenten öffentlich auf ihre Vorbilder, um ihren Sound zu erklären, anstatt einen unverwechselbar eigenen zu erfinden. Auch viele Plattenkritiken reden nur noch davon, dass diese oder jene Band klingt/aussieht „wie...“, kombiniert „mit...“. Eigentlich ein schlechtes Zeichen; man könnte annehmen, Pop schafft sich selbst ab. Man kann daran vielleicht die große Veränderung erkennen, die das Internet mit sich bringt. Musik finden heißt heute nicht mehr, lange suchen zu müssen. Selbst die obskurste Klangmalerei ist nur wenige Klicks entfernt, gleichzeitig können ganze musikalische Zeiträume mehr oder weniger kostenlos auf der heimischen Festplatte in Beziehung gesetzt werden. Wirklich Neues entstand aber häufig gerade aus der Isoliertheit einer bestimmten Szene, und die ist heute wohl relativ selten. Stattdessen beruft man sich ständig auf ein bestimmtes Wissen, zeigt Geschichtsbewusstsein. Genau das geschieht in manchen Bereichen eben auch mit der Spielart „House“. Außerdem gehört für manch einen der Begriff DJ/Produzent heute zu einem ganz natürlichen Berufswunsch, und so klingen die Produktionen dann entsprechend recht bieder. Da wird für die eigene Produktion dann schnell die passende Schablone zur Hand genommen, die irgendwann schonmal ganz gut funktionierte. Man hat so natürlich ein schnelleres Erfolgserlebnis und ist vielleicht in der Lage, seinen Bausparvertrag zu bedienen. Auch um die Produktionsmittel braucht man sich nicht lange zu kümmern, das gibt´s mittlerweile alles recht zuverlässig und preisgünstig für den heimischen Laptop, und natürlich darf jeder sein Glück probieren. Es ist aber vielleicht auch Zeitverschwendung, auf irgendetwas wirklich Neues in dem von dir angesprochenen Bereich zu warten. Stattdessen fokussiere ich mich auf die einigen wirklich guten Platten, die versuchen, die bestehende Geschichte in interessanter Form fortzuschreiben, und die zum Glück immer noch erscheinen. In diesem Zusammenhang muss auch mal auf den „Deo“-Plattenladen in Frankfurt aufmerksam gemacht werden.

PUR
: Empfindest du das Zusammenspiel zwischen alten Stars und den jungen Hungrigen in der Szene als homogen oder sondieren sich die Gruppen in der Szene nach Altersmerkmalen? Heißt klar ausgedrückt: Verdrängen die Jungen die Alten so langsam von ihren angestammten Bookings?

Roman Flügel
: Dass junge DJs nachkommen, nach oben kommen wollen und sich ihre eigenen Netzwerke schaffen, ist doch vollkommen normal und in Ordnung. Man sollte aber nicht vergessen, dass man heute eine vollkommen andere Infrastruktur vorfindet, als das noch vor zehn, fünfzehn Jahren der Fall war. Diese ist zunächst einmal von den inzwischen älteren „Stars“ geschaffen worden. Ich denke da in Frankfurt vor allem an die etablierten Clubs wie das Robert Johnson oder den Cocoon Club. Darauf können heute einige „Hungrige“ zurückgreifen. Es gibt heute im Sommer mehr Festivals als jemals zuvor, es gibt Zeitschriften, die sich ausschließlich mit elektronischer Musik und ihren Randerscheinungen beschäftigen. Deren Wurzeln liegen schon in den 90ern. Es gibt alteingesessene Plattenläden und neue Download-Portale, die meines Wissens auch nicht von 18-Jährigen geführt werden. Viele jüngere DJs nutzen also Strukturen, die sie zunächst nicht zu verantworten haben. Bis ein heute junger DJ allerdings einen der älteren „Stars“ verdrängen kann. ist er vielleicht auch schon nicht mehr der Jüngste, denn warum sollte jemand freiwillig aufhören, der sich wohl fühlt mit dem, was er macht? Ich halte aber wenig davon, die verschiedenen Generationen gegeneinander auszuspielen. Am Ende steht die Frage: Wer spielt die Musik, die mich mehr interessiert?

PUR: Und wenn es um die Art und Weise geht, wie Tracks produziert werden, welche musikalischen Einflüsse genutzt werden, oder wie aufgelegt wird – siehst du da deutliche Unterschiede zwischen sehr jungen Produzenten und schon lange etablierten Künstlern?

Roman Flügel
: Natürlich gibt es da Unterschiede. Aber im Ergebnis zählt, ob jemand den Track oder den Mix mag - oder eben nicht. Nicht das Alter oder die Produktionsweise ist entscheidend. Es gibt nur gute oder schlechte Musik. Mir ist jedenfalls vollkommen egal, ob mich ein DJ ausschließlich mit Vinyl, mit „Traktor“, CDs oder mit allem zusammen überzeugt. Das Gleiche gilt für die Produktion der Musik. Von mir aus kann da auch jemand auf dem Kamm blasen und mit den Füßen stampfen, und ich würde es spielen, wenn es passt, gleiches gilt für den Track, der die allerneuste Software in einer Weise nutzt, die mir gefällt.

PUR
: Kommen innovative Ideen beziehungsweise neue Musikstile wie etwa Dubstep vielleicht aus solchen Gründen in der elektronischen Musik derzeit vor allem von jungen Artists?

Roman Flügel: Dubstep gilt ja augenblicklich als sehr modern. Der 14-Jährige Sohn eines Schweizer Bekannten hat mir kürzlich seine ersten Gehversuche als Dubstep-Produzent präsentiert, Techno und House werden nicht mit der Kneifzange angefasst. Warum auch, wenn man sich vom Vater abgrenzen möchte. Als ich kürzlich in LA am Venice Beach spazieren war, habe ich aus der Ferne den für Dubsteb üblichen, dunklen Bass-Filterwahnsinn gehört. Als ich dann näher kam, konnte ich feststellen, dass die Musik aus einem Hip-Friseur Laden schallte, in dem ganzkörpertätowierte Hip- Friseure eben auch sehr hippe Musik mochten. Das Ganze ist augenblicklich ein interessanter Trend, und natürlich sehen sich viele jüngere Produzenten herausgefordert, wenn es darum geht, an einem „neuen“ Sound zu feilen. Ich fände es jedenfalls sehr gut, wenn sich Clubs und Festivals auch in unserer Region mal mit einer Dubstep-Nacht oder Bühne schmücken würden, so wie das ja in Berlin schon längst der Fall ist.

PUR
: Was steht demnächst bei dir selbst auf dem Produktionssektor an?

Roman Flügel: In naher Zukunft erscheinen mehrere Platten auf unterschiedlichen Labels. Zwei auf „Dial“ aus Hamburg, eine neue Roman IV auf Running Back, eine in Zusammenarbeit mit Ivan Smagghe auf Kill the DJ, eine neue 12" auf „Live at Robert Johnson“. Und  erst kürzlich erschienen sind zwei Remixe. Einer für die neue Superpitcher-Single „Rabbits in a hurry“, der andere für das label „Get the Curse“ aus Paris. Daneben arbeite ich gerade an einem Remix für Martin Buttrichs „Hunter“ und warte auf die Veröffentlichung meines Remixes für Marc Romboys „Alchemist“.

PUR: Die Releases sowohl auf Running Back als auch auf „Live at Robert Johnson“ sind aus geographischen Gründen und aufgrund persönlicher Kontakte sofort nachvollziehbar, aber wie kam es zu einer Zusammenarbeit mit den Dial-Jungs? Waren da die Releases von Raijko (Isolée) auf Dial eine Art Initialzündung oder bestand der Kontakt schon länger?

Roman Flügel
: Ich kenne die Jungs von Dial schon seit den 90er-Jahren, als David Lieske aka Carsten Jost noch 17-jähriger Praktikant bei einer Plattenfirma in Hamburg war, mit der ich regelmäßig zu tun hatte. Mir gefällt einfach die musikalische Ausrichtung des Labels, außerdem das immer excellente Artwork. Zudem fühle ich mich den Label-Machern persönlich verbunden. Wir sind auf der gleichen Wellenlänge.

 

 
11. Oktober 2010, 15.01 Uhr
Timo Geißel
 
 
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