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Digital-Report „Der Holocaust als Meme“

„In digitalen Räumen wächst ein völlig neues Geschichtsverständnis“

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Ein Digital-Report der in Frankfurt ansässigen Bildungsstätte Anne Frank analysiert die Gefahren einer Umdeutung der NS-Geschichte in digitalen Räumen, die das Geschichtsbild der jungen Generation prägen.

Florian Aupor /

In digitalen Räumen wie Social-Media-Plattformen und digitalen Spielen wird heute maßgeblich das Geschichtsverständnis der jungen Generation geprägt und teilweise umgedeutet. Ein Digital-Report der Bildungsstätte Anne Frank analysiert die Herausforderungen, die daraus für die historisch-politische Bildung hervorgehen, und zeigt auf, dass diese digitaler und partizipativer werden muss.

„Während in formellen Bildungsräumen immer weniger Wissen zur Shoah vermittelt zu werden scheint, erfreut sich das Thema NS-Historie in Sozialen Medien oder digitalen Games einer großen Beliebtheit", stellt Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank und Herausgeberin des neuen Digital-Reports, heraus.

Social-Media-Trends spielen mit der Idee „als DJ in einer Gaskammer aufzulegen“

Der Content bewege sich zwischen „gelungenem Bildungscontent bis hin zu offenem Geschichtsrevisionismus oder Holocaust-Leugnung“. Erinnerungskultur werde immer stärker für politische Deutungskämpfe genutzt. Problematisch sei auch, dass sich gerade die AfD an die Spitze dieses Deutungskampfes setze und den Social-Media-Diskurs mit ihren Inhalten stark beeinflusse.

Auf verstörende Trends verweist auch Eva Berendsen, Mitherausgeberin des Digital-Reports. Bei Instagram oder TikTok geschehe Holocaust-Leugnung beispielsweise häufig über Codes: „Mal wird die Anzahl der 6 Millionen ermordeten Juden angezweifelt, mal behauptet, das Tagebuch von Anne Frank sei mit Kugelschreiber geschrieben und deshalb ein Fake.“

Nazi-Größen wie Hitler und Himmler würden in Memes verherrlicht oder „Wehrmachtskitsch“ verbreitet, sagt Eva Berendsen. Laut ihr spülen AfD-Influencer „die geschichtsrevisionistische Botschaft vom 'Schuldkult' in den Mainstream“ und es werde „in aktuellen Social Media-Trends mit der Idee gespielt, als DJ in einer Gaskammer aufzulegen“.

Info
Einige zentrale Ergebnisse des Reports sind:

Digitale Holocaustleugnung funktioniert häufig in Codes und Chiffren. Oftmals wird der Holocaust ins Lächerliche gezogen und Teil einer humoristischen Meme-Kultur, wobei auch Provokationen zur Erzeugung von Reichweite genutzt werden. Geschichtsrevisionismus wird so zum Massenphänomen, relativierende und romantisierende Narrativ treten stellenweise in den Vordergrund und verdrängen Verantwortung. Bezogen auf den Nahostkonflikt findet häufig eine Opfer-Täter-Umkehr statt, wenn beispielsweise eine Gleichsetzung der Shoah mit dem israelischen Konflikt nach dem Terrorangriff der Hamas stattfindet und Israelis als neue Nazis bezeichnet werden.

Auch ist oftmals fraglich, ob die Auseinandersetzung durch KI-generierte Inhalte und Protagonisten historisch und ethisch korrekt ist. So erzählt etwa ein KI-Avatar des KZ-Arztes Josef Mengele auf TikTok eine Geschichte seiner Läuterung, für die es keine historischen Belege gibt. In digitalen Spielen mit Bezug auf den Zweiten Weltkrieg wird der Holocaust oft ausgespart, dafür wird besonderer Wert auf realistische Waffen oder Schlachten gelegt, die akribisch nachgestellt werden.

Den kompletten Digital-Report finden Sie hier.


Es sind „die Feinde der Demokratie, die sich diese Gemengelage zunutze machen“

Durch Digitalisierung ausgelöste gesellschaftliche Transformationen machen auch vor der Erinnerungskultur keinen Halt: „Dieser Prozess ist längst im Gange und nicht aufzuhalten – er lässt sich nur gestalten“, wie Schnabel ausführt. Erinnerungsarbeit müsse deshalb „digitaler und partizipativer werden“, worin der Report gleichzeitig auch Chancen für die Bildungsarbeit sieht.

Aktuelle Trends bereiten Schnabel allerdings Sorgen: „Unter dem Einfluss von digitalen Plattformen, Games und KI-Anwendungen wächst ein völlig neues Geschichtsverständnis, das von Bildung und Öffentlichkeit noch zu wenig adressiert wird. Vielmehr sind es – wieder einmal – die Feinde der Demokratie, die sich diese Gemengelage zunutze machen.“

Um diesen gesamtgesellschaftlichen Trend im digitalen Raum abzuwehren, müssten digitale Plattformen „stärker in die Verantwortung gezogen werden“ und es brauche „eine Kultur der digitalen Mündigkeit“. Gerade Einrichtungen der historisch-politischen Bildung sehen sich hier völlig neuen Herausforderungen gegenüber, für deren Bewältigung „– wie übrigens auch in vielen anderen Bereichen des Lebens – größere Investitionen notwendig“ sind, wie Schnabel festhält.

Info
Die Bildungsstätte Anne Frank analysiert regelmäßig Entwicklungen im digitalen Raum. Im Jahr 2024 erschienen bereits die Digital-Reports „Die TikTok-Intifada. Der 7. Oktober 2023 und die Folgen im Netz“ und „Das TikTok-Universum der (extremen) Rechten“ sowie der von Eva Berendsen, Leo Fischer, Deborah Schnabel und Marie-Sophie Adeoso herausgegebene Sammelband „Code & Vorurteil. Über Künstliche Intelligenz, Rassismus und Antisemitismus“ in der Edition Bildungsstätte Anne Frank im Verbrecher Verlag.

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