Wenn man weiß, wie die Welt besser ist, was macht man dann?

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Nils Bremer /



Rainer Langhans führte heute eine Gruppe von Studierenden durch die 68er-Ausstellung im Historischen Museum. Wobei man lieber sagen sollte: er führte eine Gruppe von Pressefotografen und Kameramenschen. Hier ein Foto und da noch eins. Eingeladen hatte ihn das English Theatre, denn dort soll er sich um die nächste Musical-Produktion sorgen: "Hair". Wer könnte besser geeignet sein als Langhans, der seine Frisur seit den Kommunezeiten nur marginal geändert hat. Grau ist's Haar geworden, sonst ist er ganz der Alte. Erzählt viel über die vergangenen Zeiten und was sie heute bedeuten, das geht nun mal nicht in ein, zwei dahingeworfenen 30-Sekunden-Statements, auch wenn sich das die Leute von RTL so sehr wünschen. "Wir waren verrückt, vollkommen verrückt, aber das wussten wir auch", sagt Langhans vor einer Vitrine, die unter anderem seine Nickelbrille beherbergt. "Wir mussten uns erstmal selbst kennenlernen, drei Monate verbrachten wir in einem winzigen Zimmer, verließen es nicht, da waren nur wir und einer nach dem anderen wurde auf den Stuhl gesetzt und von den anderen befragt, bis er selbst nicht mehr wusste, wer er eigentlich ist. Man nannte uns ja auch die Horrorkommune, und es war ja auch ein Horror sich selbst kennenzulernen." Und die Liebe, die freie Liebe? Alles nur ein Medienspiel, meint Langhans. "Na, wenn wir gesagt haben, dass bei uns keine Konventionen herrschen, dann wurde natürlich gefragt: dürfen wir schreiben, dass es jeder mit jedem macht? Wir sagten: wenn ihr möchtet, dann schreibt das doch. Dürfen wir schreiben, dass ihr so richtiges Rudelbumsen macht? Wir sagten: wenn ihr möchtet. So kamen so fantasievolle Sprüche in die Welt wie 'Wer einmal mit derselben pennt...'" Mit der Realität habe das nicht viel zu tun gehabt. "Wenn man so zusammenlebt, dann denken alle sofort an eins: Sex. Dabei ist das weißgott nicht das Wichtigste im Leben. In der Hochzeit hatten wir weder Drugs, noch Sex, noch Rock'n'Roll."

Als Langhans zwischen unzähligen recht freizügigen "Konkret"-Covern den Oberaufklärer Kolle entdeckt, ist er pikiert: "Ach, der... habt ihr denn diesen Scheißfilm von ihm im Fernsehen angeschaut? Der Typ nervt noch immer dermaßen."

Dann kommen langsam die dunklen Stellen dieser Epoche, die heute so fern scheint. Auf einem großformatigen Bild sieht man Langhans wie er in Frauenklamotten herumtanzt und neben ihm steht ein gutgelaunter Andreas Baader. "Das kann man nicht voneinander trennen so nach dem Motto: da die liebe Kommune, dort die bösen Terroristen. Das wäre zu einfach. Genauso wie die RAF-Leute als Verbrecher zu bezeichnen. Das waren sie nicht. Sie waren Leute, für die man noch keinen Begriff gefunden hat, denn würde der Staat sie wie Verbrecher behandeln, hätte er sie längst begnadigen müssen." Es wird nun etwas brenzlig und der Ausstellungsleiter versucht zu erklären, dass dies nun alles zu weit führen könnte. Doch Langhans gehört noch zur Generation der Ausdiskutierer. "Wenn man weiß, wie die Welt besser ist, was macht man dann?", fragt er. "Wo legt man die Grenze für den natürlichen Widerstand an, den jeder Mensch in sich trägt?" Von der Gewalt ist auch die Kommune nicht so weit entfernt gewesen, bei ihr war sie nur eher theoretisch. Da sei man manchesmal froh um einen wie Baader gewesen, der die Studentenköpfe als Hirnies beschimpfte und Action forderte. "Es war gut jemanden wie ihn zu haben, der furchtlos war. Wir hatten ja alle Angst vor jeder kleinen Aktion."

Dennoch: "Man kann keinen Kampf, man kann keinen Krieg gegen den Krieg anzetteln. Das funktioniert einfach nicht, damit bringt man sich nur selbst in die Gewaltspirale ein." Die Verherrlichung des Brüsseler Kaufhausbrandes: Ironie. Und 68: "Nur die Morgenröte von etwas, das noch kommen wird." Das Internet: "Eine gigantische Kommune, in der alle Gefühle, in der alle Sehnsüchte Geltung finden." Die Jugend von heute: "Die Jugend ist nicht hier, sie ist virtuell, sie ist im Internet und da findet die Revolution statt. Hier, in der Wirklichkeit, da steht die Jugend so lasch da, wie die Jugend vor 40 Jahren." Die Zitatmaschine könnte noch ewig laufen. Doch die Zeit ist leider um. Im November kommt Langhans wieder - wegen des Musicals. Und um übers Altern zu sprechen. Das sei das neue, das große Thema seiner Generation. Sagt's und wuschelt sich durchs graue Haar.


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