Das Network-Label feiert 30. Geburtstag: Der LEUTE-Aufmacher in der aktuellen Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT (Heft 24) widmet sich Christian Scholze. Seit 30 Jahren bringt er den Musikfans Musik aus den entlegendsten Ecken der Welt ins Wohnzimmer. Mit seinem Partner Zweitausendeins hat er schon lange vor dem Weltmusik-Boom mit seinem Network-Label für Furore gesorgt – nicht nur in Deutschland, auch im europäischen Ausland und sogar den USA. Was er dabei erlebt hat, steht oft in den reichhaltig bebilderten CD-Editionen oder Booklets. Und gerne erzählt er auch von den Abenteuern, die er bei den Produktionen seiner außergewöhnlichen CDs erlebt. Er will „den ganzen Erdball“ abbildern, während die meisten Kollegen vor allem auf dem Balkan, in Afrika, auf Kuba und in Südamerika unterwegs sind. Zu wenig für Scholze, den Mann mit Entdecker-Mentalität.
Vor der Abreise zu den Produktion, die immer vor Ort bei den Musikern stattfindet, erkundigt sich der Labelchef und Produzent natürlich immer bei seinen Bands: Gibt es vor Ort Studios, welche Qualität haben diese? Auf die Auskünfte ist nicht immer Verlass. Denn die Musiker sind ihr lokales Niveau gewohnt. Und die Realität, die Scholze dann vorfindet, ist oft erschreckend. Aber Improvisationstalent gehört auch zu seinen Stärken.
Sansibar
Da fand Scholze einen Raum ohne Fenster vor, in den trotzdem Geräusche von außen drangen. Alles war schlecht abgeschirmt. Auf dem alten Mischpult lag Staub, alles schien eher marode. Bakschisch war das Zauberwort. Der Network-Chef bestach kurzerhand die Polizei, den Verkehr kurzfristig umzuleiten, damit kein knatternder Auspuff, kein Autohupen die Aufnahmen stören konnte. Blieb das Problem schreiender Babys in der Nachbarschaft. Da halfen kleine Geschenke für die Mütter, dass diese sich mal für Stunden weiter vom Aufnahmeort entfernten. Als die Musiker dann schon am Spielen war, störten Quietschgeräusche im Kopfhöhrer. Die ortete man schließlich unter den Dielen. Des Rätsels Lösung: Unter dem Boden hatte sich eine ganze Katzenfamilie eingenistet.
Armenien
Da nahm man im Studio von Radio Eriwan (manch einer kennt das nur aus den alten Frage an Radio Eriwan-Witzen) auf, der Sender war längst vom Netz, aber die großen Mischpulte waren noch vorhanden. Ganz wichtig, denn es galt ein großes Ensemble aufzunehmen. Von den 24 Kanälen am Pult waren einige schon kaputt, andere verabschiedeten sich nach kurzer Produktionzeit, schließlich hatte man gerade noch für jeden Musiker einen. Dafür durften die Instrumentalisten sich beim Spielen kaum bewegen, denn der alte Boden knarrte. Und durch die Decke drang der Regen. Trotzdem gelang es auch hier, Raum für Kreativität zu schaffen und Aufnahmen zu realisieren, für die man sich hinterher nicht entschuldigen musste.
Mazedonien
Schon im Flieger war Scholze von Blauhelmen umgeben. Ein „doofes Gefühl“ für den Network-Chef, der in sehr unruhigen Zeiten zur Produktion mit Esma Redzepova nach Skopje flog. Schüsse waren zu hören, für die Musiker, die mit Lust und Freude bei der Produktion waren und ihre Späßchen machten, Alltag. Aber sie lebten auch wie auf einem eigenen Planeten, in der größten Zigeunerkolonie der Welt, in Shutka, wo über 60 000 Roma leben. Esma, die „Gypsy Queen“, schwebte über allem und gab allen das Gefühl, der Bürgerkrieg könne ihnen nichts anhaben.
Griechenland
Georgia Dagaki entdeckte Scholze in einem Kellerlokal in Frankfurt, wo die junge Griechin als Gast eines bekannten Landsmannes sang. Begeistert von ihrem Lyraspiel und ihre Stimme ließ er sich später einen Kontakt herstellen. Aber auf mehrere Kontaktversuche gab es nie eine Antwort aus Griechenland, auch bei einer Zwischenlandung in Athen auf dem Weg ins Häuschen auf Kreta ließ sich kein Kontakt herstellen. Dafür kam wenige Tage später ein Anruf – wir sind jetzt auf Kreta, wo finden wir Dich? Und plötzlich stand Georgia mit zwei Managern und einem Journalisten bei Scholze vor der Tür. Ein Essen wurde spontan organisiert. Man hatte – aus welchen Gründen auch immer – Zebrafilets zuhause. „Aber Griechen essen nur, was sie kennen“, musste Scholze tricksen, legte 100 Euro auf den Tisch, die der bekommen sollte, der erkennt, was er da isst. Die Stimmung war entsprechend lustig, der Wein tat ein übriges und Georgia – eigentlich schon im Gespräch mit einem großen Label in Athen - ließ sich zu einem „I’m strong and I’m ready“ hinreißen. Auf Christians „Kann ich das schriftlich kriegen?“ kritzelte sie das auf einen Zettel, ihre Manager wunderten sich nur noch und fragten ihren neuen Geschäftspartner, ob er seine Deals immer so mache? „Das Wort zählt“, antwortete der. Und die nächste Frage war dann schon: „Und wann machen wir die Aufnahmen?“
Zum 25-Jährigen schrieb das JOURNAL FRANKFURT vor fünf Jahren: Suche nach Sinnlichkeit
Le Monde lobt seine CD-Produktionen regelmäßig über den grünen Klee. Jetzt feiert Christian Scholze den 25. Geburtstag seines Plattenlabels Network Medien. Das Jahr begann gut für Christian Scholze. Gleich die erste Veröffentlichung auf seinem Network-Label 2005 wurde ein Riesenerfolg. „Golden Afrique Vol. I" setzte sich auf Platz 1 der World Music Charts Europe fest. So schloss sich – nicht geplant – im Jubiläumsjahr der Kreis. Denn mit einer Platte mit afrikanischer Musik begann auch die nunmehr 25-jährige musikalische Reise durch alle Kontinente. Reisen gehört zu den großen Leidenschaften des Geschäftsführers der kleinen Plattenfirma am Frankfurter Merianplatz. Scholze (58), Mutter Russin, Vater Halbzigeuner aus Tschechien, kam zunächst als Gutachter für Entwicklungsprojekte in Afrika, Lateinamerika und Asien mit fremden Kulturen in Berührung. Nachdem der gebürtige Berliner im April 1980 Network Medien in Frankfurt gegründet hatte, produzierte Scholze zunächst Cassetten mit Begleitbüchlein zu politischen Themen, zu Ausländerfeindlichkeit, AKWs und Startbahn West, bevor er sich ausschließlich der Musik widmete.
Joachim-Ernst Behrends „Vom Hören der Welt" und „Die Welt ist Klang" waren auf Anhieb Verkaufserfolge, Jazzkritiker Behrend wurde zur Kultfigur. Die enge Zusammenarbeit mit dem WDR erlaubte Scholze und seinem Team, darunter Journalist und Veranstalter Jean Trouillet, Schätze aus dem Archiv des Senders zu zaubern. Die 49 Titel umfassende „World Network Reihe" ist längst so etwas wie die Basisdiscografie der Weltmusik. Vom frühen Erfolg beflügelt entstanden mutige Projekte, hochformatige 2-CD-Anthologien mit reichlich bebilderten Booklets voll liebevoll recherchierten Geschichten. Der „Desert Blues" verkaufte sich über 200.000 mal. Stimmen stolzer Völker wie der Berber und Tuareg. Musik voller Magie und Mystik. Network hatte erfolgreich seine Nische gefunden.
„Lob für die Firma oder Personen, die da arbeiten, ist mir nicht wichtig. Die Musik, die ich so liebe, soll wahrgenommen und respektiert werden", lautet das Credo von Scholze, für den es die klassische Trennung zwischen Arbeit und Privatleben nicht gibt. „Wenn die Leidenschaft zum Beruf wird, ist das natürlich kaum möglich", musste auch Scholzes französische Ehefrau Isabelle erkennen. Sie unterstützt ihren Mann, liebt vor allem seine Kämpfernatur, dass er sich ständig neue Ziele steckt, die er – allen aufkommenden Schwierigkeiten bei der Realisierung zum Trotz – auch erreicht. Ob er nur eine Allstarband in Armenien zusammentrommelt. Oder das erste Frauen-Salsa-Festival auf Kuba organisiert. Oder mitten in den Kriegswirren Musik in Makedonien produziert.
Auf dem Balkan begeisterte Scholze, was er dann auch in den anderen Kulturen bei seiner immerwährenden Suche nach Sinnlichkeit, Leidenschaft und Ekstase fand. Dieses ständige Pendeln zwischen ganz extremen emotionalen Polen. „Das ist in der Zigeunermusik total extrem", schwärmt der Produzent. „Entweder heben die Musiker total ab, die Musik wird wild und unberechenbar, oder die Klänge kriegen eine solche Tiefe, sind voller Schmerz und Trauer." Es ist die Gefühlsechtheit der Lieder, die Gastfreundschaft der Musiker in aller Welt, das Grenzgängerische wenn man den Gleichgang kalkulierter Musik durchbricht, um Räume zu finden, in denen extreme neue Erlebnisse möglich sind. Da erlebt Scholze seine „Glückserfahrungen". Auch sonst ist der „kreativer Chaot mit strategischer Kompetenz" (so ein ehemaliger Mitarbeiter) ein absoluter Genussmensch. Ganz irdische Gelüste wie gut Essen und Trinken stehen im Zentrum seines Lebens. „Materielle Dinge interessieren mich dagegen überhaupt nicht" – für Scholze bleibt es unvorstellbar, dass Auto oder Computer für ihn je Fetischcharakter bekommen können. Stattdessen gönnt er sich seit 2000 einen zweiten Lebensschwerpunkt. An einem wilden Flecken im Süden Kretas, wo noch die alten Widerstandskämpfer in den Bergen leben. Da wird er Christian Scholze zu Christos Scholzakis, sitzt auf seiner Terrasse über dem Meer, schaltet total ab und entdeckt eine weitere seiner Leidenschaften: den Müßiggang, die Faulheit und das Dösen. Text und Fotos: Detlef Kinsler