„Man könnte sagen, mein Sohn ist ein Spießer. Er trinkt deutschen Rotwein, ich trinke Whiskey. Er geht früh schlafen, ich arbeite nachts. Ich glaube, viel unterschiedlicher können Vater und Sohn nicht sein.“ Erzählt Camillo Falk, Pressefotograf in Wiesbaden, mit verrauchter Stimme. Weil Gegensatzpaare aber die besten Geschichten machen und das Herz eines jeden Tatorts sein Ermittlerteam ist, lösen Camillo und sein Sohn Raimund Falk, seines Zeichens Kriminalkommissar, nun ihren ersten Fall. Der überkorrekte Sohn und sein eigenbrötlerischer Vater, der nachts durch die Stadt zieht und jeden Wiesbadener von der Puffmutter zum Politiker persönlich kennt. Als ein lokaler Sektfabrikant im Hotel „Hessischer Hof“ ermordet wird, ist er als erster am Tatort. Was folgt, sind zärtliche bis zickige Abmahnungen seines Sohnkommissars à la „Mensch Papa!“ und gegenseitigen Unterstellungen: „Was sollte ich denn machen?!“ – „Nicht in den Tatort platzen!“ – „Er lag da! Ich konnte ja nicht wissen, dass er tot war.“
Gegensatzpaare also bilden die besten Tatort-Protagonisten, eigentlich schaltet man ja nur ein, um mal wieder Jan-Josef Liefers und Axel Prahl zu sehen. Oder? Oder man schaltet jeden Sonntagabend ein, schon klar, weil der „Tatort“ seit 38 Jahren und 700 Folgen den Schlusspunkt zum Wochenende setzt. Da versammelt sich Deutschland um Schlag 20.15 zur gemeinsamen, einsamen Krimisause vorm flimmernden Kamin-TV-Feuer – genug Freunde, die man einfach nicht anrufen darf zwischen 20.15 und 21.45, ohne sich eine übellaunige Abfuhr zu holen: „Mensch! Wir gucken gerade Tatort!!“ Wie bei jedem Ritual geht es dabei gar nicht um die Qualität, sondern allein um seine Regelmäßigkeit. Würde man eine Quote aufstellen, käme ein Großteil der Sonntagabendverbrechen kaum gut weg – zu langweilig, zu offensichtlich tagespolitisch motiviert, zu konstruiert, zu fadenscheinig. Aber das nur am launigen Rande.
Denn Raimund und Camillo Falk ermitteln gar nicht im Fernsehen, sondern im Radio. Heute Abend gibt’s den ersten Radio-Tatort aus Wiesbaden. Heiter ist der Titel, „Krim-Krieg in Wiesbaden“, geschrieben hat ihn der viel gespielte Theaterautor Roland Schimmelpfennig. Akustisch kommt das Hörspiel eher puristisch daher, während sich die Fernseh-Tatorte mittlerweile in wilden bis konfusen Schnitt- und Kameraexperimenten üben. Ach, und die lokale Farbe, die macht natürlich auch jeden „Tatort“ aus. So erlaubt Schimmelpfennig sich fiese Scherze über die berüchtigten hessischen Verhältnisse, indem er den künftigen Ministerpräsidenten „Robert“ nennt und den noch amtierenden „Dr. Andreas“. Es tauchen illegale Parteispenden auf, die kleine Landeshauptstadt birgt allerlei dunkle Geheimnisse und Intrigen, die obskure, spießige Wiesbadener Kleinglamourwelt wird prachtvoll karikiert. Verbrechen, Politik, schwarze Kassen, ökonomische Interessen, russische Sektimperien und Prostitution sind offenbar zwingend notwendige Zutaten. Ebenso die plötzlich vom Himmel fallende Auflösung des Falles, indem einfach eine neue Figur eingeführt wird. Doch sei’s drum, man hört sich den Tatort ja nicht an, um überrascht zu werden. Sondern, um zu wissen, was man kriegt. Camillo und Raimund Falk sind eine eigenwillige, heitere neue Bekanntschaft, künftige Konfliktlinien zeichnen sich ganz serienfähig auch schon ab – so scheint Raimunds Frau nicht so gut auf seinen Vater zu sprechen zu sein. Also: Mehr vom leger-schrulligen Vater und seinem scharf gebügelten Sohn hört man gern.
Sendetermin: „Krim-Krieg in Wiesbaden“, HR 2 Kultur, 21.09., 22 Uhr