Vor wenigen Tagen fanden wieder in ganz Deutschland Veranstaltung zum Gedenken an die Pogromnacht von 1938 statt. Und heute stehe ich selbst auf einem jüdischen Friedhof. Doch der Anlass ist ein anderer. Es herrscht Stille. Junge Männer in Bundeswehruniform, die einen Blumenkranz an den Gräbern des Friedhofes vorbeitragen, gefolgt von einer Schar Männern mit Kippot (Plural der jüdischen Kopfbedeckung Kippa) und Frauen. Schweigen. Scheint ein ernster Anlass zu sein. Und das ist es auch. Denn heute wurden die gefallenen jüdischen Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges mit einer Kranzniederlegung öffentlich geehrt.
Die Gäste wurden von Gideon Römer-Hillebrecht, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten in Frankfurt, begrüßt. Nach der Kranzniederlegung verlas er alle 50 Namen der auf dem Soldatenfriedhof beigesetzten jüdischen Gefallenen. Als Höhepunkt hatte Arno Lustiger, deutscher Historiker mit jüdischer Abstammung, die Ehre das Gebet „El mole rachamim“ vorzulesen. Der Frankfurter saß während des Zweiten Weltkrieges selbst als Jude in verschiedenen Konzentrationslagern und überlebte durch ein Wunder.
Eingeladen hatte der Bund jüdischer Soldaten, der 2006 von jüdischen Soldaten gegründet wurde. Ihre Vorfahren hatten selbst im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft. Dieses Thema hat mich wirklich neugierig gemacht. Welche Intention steckt hinter dieser Initiative? Der Bund jüdischer Soldaten wurde gegründet, um das Andenken an die jüdischen Soldaten in deutschen Armeen zu bewahren. Es soll an das Schicksal der ehemaligen jüdischen Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges und ihrer Familien in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert werden. Allerdings geht das alles nicht, ohne auch gleichzeitig gegen den noch heute existierenden Antisemitismus zu kämpfen.
„Die Juden haben schon während der Befreiungskämpfe Anfang des 19. Jahrhunderts in deutschen Streitkräften gedient“, verriet mir Gideon Römer-Hillebrecht. „Sie wollten ein Teil der multikulturellen multiethnischen Gesellschaft werden.“ Doch sie wurden immer wieder ausgenutzt. In Kriegszeiten wurden sie mit Kusshand genommen, durften sogar Offiziere werden. In Friedenszeiten wurden sie ausgegrenzt. Das ging soweit, dass sie 1935 als wehrunwürdig abgestempelt wurden. Doch die Geschichte der Juden in der deutschen Streitkraft ging weiter. Sie ließen sich nicht unterkriegen. 1955 wurde die Bundeswehr gegründet. Anfangs reagierten die Juden noch sehr zögerlich. Nur wenige fanden bis in die Jahrhundertwende hinein den Weg zur Bundeswehr. Aber heute dienen 200 bis 300 Juden dem deutschen Staat und es werden stetig mehr. Was wohl auch daran liegt, dass rechtsextreme Vorfälle innerhalb der Bundeswehr geschwinden gering sind, wie Römer-Hillebrecht, selbst Berufssoldat, erzählte. Allerdings kann davon innerhalb unserer zivilen Gesellschaft nicht die Rede sein. Eindrittel der Juden in Frankfurt wurden bereits mit antisemitischen Angriffen konfrontiert, auch wenn es nicht zu körperlicher Gewalt kam, so wie in Berlin. Dort hat jeder dritte Jude Erfahrungen mit handgreiflichen Übergriffen gesammelt. Allerdings ist es wohl auch nicht besser, wenn sich ein kleines Mädchen auf einem Frankfurter Spielplatz als Judenhure beschimpfen lassen muss, nur weil sie auf eine jüdische Schule geht. So wurde es mir erzählt. Aber es ist wohl egal, ob Jude, Türke oder Russe – jeder hat mit Vorurteilen zu kämpfen.