Ein ganz besonderes Klangerlebnis für echte Beltzianer und Alt-68er: Dank Oliver Augst und Rüdiger Carl bekommt Matthias Beltz endlich seinen Auftritt als Sänger - remixed im Mousonturm.
Detlef Kinsler /
Geboren am 31. Januar 1945 im Vogelsberg, gestorben am 27. März 2002 in Frankfurt am Main. Kabarettist, Autor, Conférencier. Mitglied in den legendären Ensembles Karl Napps Chaos Theater und Vorläufiges Frankfurter Fronttheater. Mitbegründer des Tigerpalastes. Zahlreiche Hörfunk- und Fernsehsendungen. Gewinner des Deutschen Kleinkunst- und des Adolf-Grimme-Preises. Das ist, was man – im Schnelldurchlauf – über Matthias Beltz wissen könnte. Beltz, den Sänger, muss man nicht zwingend auf der Agenda haben. Obwohl er 1990 auf dem Trikont Label mit dem Komponisten Ralf Buron eine CD veröffentlichte: „Wir machen glücklich“. Das HiFi-Magazin Stereoplay bemerkte damals dazu: „Die kauzigen, hinterfotzigen Texte von Matthias Beltz verpackte Ralf Buron in ebenso einfache wie schräge Musik: Frankfurts Antwort auf Haindling.“ Auf diesem Album und in unveröffentlichten Gesangsaufnahmen fanden Komponist, Produzent und Hörspielautor Oliver Augst und Freejazz-Musiker, Improvisationskünstler und Komponist Rüdiger Carl ihr Ausgangsmaterial für die Produktion „OBEN – Beltz remixed“. Die Musik des Ur-Materials, überraschenderweise viel Rock, Blues und Boogie neben Polka und Couplet, fand nicht den Beifall der beiden Beltz-Fans. „Wir gucken mal, wie das ohne den ganzen Kling-Klang ist“, gab Carl die Losung aus. „Dann haben wir uns peu à peu im Studio drüber hergemacht und andersartige Musik dazu entwickelt, die auch unsere Handschrift hat.“ Und die wird bei Augst und Carl, beide auch Kuratoren des pol-Festivals für Neue Musik im Mousonturm, bestimmt von anderen Klangerzeugern als Gitarre, Klavier und Saxophon. Mit Keyboards, Electronics und Akkordeon entstanden neue Kompositionen, vom Original blieb nur die Stimme. Und Beltz' pointenreiche Texte, die so banal wie genial den viel zitierten, hintergründig-sensiblen Zeit-Chronisten in Erinnerung rufen, kommen so – da ist Oliver Augst sicher – „viel prägnanter heraus, was Beltz auch neu und anders schillern lässt.“ Ein Wiederhören mit unvergessenen Zeilen wie „Parmesan und Partisan, wo sind sie geblieben?/ Partisan und Parmesan, alles wird zerrieben ...“, „Was ist der Mensch? Wo kommt er her? Und warum ist er nicht dort geblieben?“ oder „Liberté – Egalité – Varieté, alles passé, uralter Schnee, ach herrje ...“.
Ob echte Beltzianer oder Alt-68er ihren Helden in hörspielartiger Elektro-Ästhetik erleben möchten, dahinter gar eine Entmystifizierung vermuten, daran haben die beiden „Remixer“ vielleicht einen Gedanken verschwendet, sich davon aber nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Denn sie gehen – auch ohne weitere Glorifizierung und kultisch verklärte Verehrung – liebevoll mit dieser wichtigen Figur um, die – wenn sie auch nie die Breitenwirksamkeit aktueller Comedians erreicht hat – einmal von den Zuschauern des hessen fernsehens in die Top 50 „Die größten Hessen“ gewählt wurde – Platz 12 hinter Namen wie Goethe, Rudi Völler, Heinz Schenk, Joschka Fischer. Augst setzt noch einen drauf. In seiner Arbeit hat er sich schon intensiv mit Hanns Eisler und Rainer Werner Fassbinder beschäftigt, und er stellt Beltz in diese Reihe. Denn solche Künstler faszinieren ihn. „Weil sie sich eingelassen haben auf die Geschichte, nicht nur ihre Werke herausgebracht haben, sondern etwas umgewälzt haben und Zeitgeschichte auch irgendwo verkörpern.“ Augst und Carl haben Beltz unterschiedlich kennengelernt, der eine aus der Nähe, der andere aus der Distanz, beide voller Respekt. Rüdiger Carl war „ein bisschen befreundet“ mit ihm. Immerhin briet er ihm über Jahre die Weihnachtsgans und überließ ihm wunschgemäß den Schenkel. Und er durfte Beltz in den Ferien in der Bretagne, käseweißer Körper, kein Muskel und in einer Strickbadehose erleben. Oliver Augst hat ihn „nur 2-, 3-mal gesehen“. Für ihn war der „Beltzraum“ (offiziell „Gesammelte Untertreibungen – Mediathek Matthias Beltz“) im Literaturhaus Entrée in den Beltz-Kosmos. „Diese Verweise, Schallplatten, Bücher, Zeitschriften, JOURNAL FRANKFURT-Ausgaben ohne Ende – wenn man davor steht, sich das alles mal in Klang umrechnet, das kann man wie eine Partitur lesen.“