Porcupine Tree in Neu-Isenburg -- To Prog or not to Prog

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Andreas Dosch /

porcupineIch will hier mal eine Lanze für den Prog-Rock brechen. Manch einem gilt er ja als Schimpfwort. Prog-Rock, das ist Strebermusik. Etwas für Leute, die in der Freistunde ihre Matheaufgaben paukten, während die Keith Richards-Fraktion paffend im Aufenthaltsraum rumhing. Vielleicht liegt es ja daran, dass konservative Rocker gerade mal so eben bis 3 zählen können, während die Anhänger der progressiveren Klänge zumindest den Anschein erwecken zu wissen, es handele sich bei dieser Zahl um die Quadratwurzel von 9. So was erzeugt Missgunst.

Jedenfalls war Prog irgendwann tot. Ausgestorben wie die Dinosaurier. Weggefegt vom Erdboden durch Punk, Disco, Grunge, Hip-Hop und was noch so alles kam. Doch in einer kleinen Enklave unserer Planeten leistete ein Grüppchen Unbelehrbarer erbitterten Widerstand, hörte trotzig weiter die alten Pink Floyd-, Yes-, Genesis- und King Crimson-LPs, immer mehr Sympathisanten trauten sich wieder raus aus ihren stillen Kämmerchen und vergrößerten die Gemeinde, neue Bands gründeten sich, die es einfach nicht lassen konnten, Tonträger mir 17-minütigen Konzeptstücken vollzududeln -- und die Dinos standen wieder auf, erhoben sich aus ihrem Massengrab, trampelten über die brüchigen Knochen der müde gewordenen Alt-Punks, trabten schnaubend Richtung Jungbrunnen und setzten runderneuert zum zweiten Frühling an. Mit einem Wort: Ääätsch!

Tja, und jetzt verkaufen sie wieder massenhaft Platten. Wie im Falle Porcupine Tree (www.porcupinetree.com). Steve Wilson, Anführer der britischen Neo-Progger (so nennt man das heute wohl), "was born in '67, the year of ,Sgt. Pepper'", wie er im Zentrumsstück "Time Flies" des neuen PT-Albums "The Incident" singt, und er kennt seine Pappenheimer. Es "floyded" dann auch ordentlich beim Porcupine Tree-Konzert in der Hugenottenhalle (womit wir endlich beim Thema wären), aber nicht unbedingt pink, sondern eher schwer und black. Denn Wilson hat auch eine Menge Metal-CDs gehört, weshalb er und seine Mitstreiter (u.a. Keyboarder Richard Barbieri, einst bei der Band Japan) die sphärisch-poppigen Passagen ihrer Stücke gern und oft durch brettharte Gitarrenpassagen zerhacken, bei denen manchem der älteren Konzertbesucher das schüttere Resthaar vom Schädel geweht wird, während er eifrig damit beschäftigt ist, es im nicht immer leicht nachvollziehbaren Siebzehneinviertel-Takt der Musik ordentlich herumzuschütteln. Über zwei Stunden geht das so, zuerst wird das neue Werk komplett durchgespielt, dann ein paar ältere Sachen, der Sound pendelt zwischen begnadet und brachial, legt sich mit breiter Bombastschwere in den Hallenraum von "Neu-Isenbörg" (wie Mr. Wilson das charmant ausspricht) und lässt die Jünger dankbar zurück. Wahrlich: Rock'n'Roll sieht anders aus. Auf dem Nachhauseweg wird dann erneut darüber philosophiert, ob "die Neue" nun ein epochales Meisterwerk von genialischer Schaffenskraft darstellt oder nicht doch eher kreativen Stillstand mit Hang zum Selbstzitat. Prog-Fans machen so was gerne. Mir jedenfalls (born in '64, the year of "Yeah, Yeah, Yeah") geht "Time Flies" seither nicht mehr aus den Ohren. Der Song dauert gute elf Minuten. Sieben davon hätten wohl auch gereicht.

Eins noch zum Schluss: Im Vorprogramm von Porcupine Tree traten The Stick Men um den begnadeten US-Bassisten Tony Levin auf, der von John Lennon über David Bowie, Paul Simon bis Peter Gabriel schon mit so ziemlich jedem gespielt hat und momentan (ebenso wie sein Stick Men-Trommelkollege Pat Mastelotto) zur Besetzung von King Crimson gehört. Wenn er mit dem "Chapman Stick", einer Art nach oben abgerundetem Musizierbrett, seinen kompliziert-verschachtelten, aber auch funkigen "Math-Rock" zelebriert (Mathe! Da haben wir's wieder.), dann sieht das schon ... na ja ... irgendwie "phallisch" aus. Ist auch eher was für Jungs, dieses ganze Herumgeprogge. Auf Tony Levins Webseite www.papabear.com kann man übrigens im Tour-Diary unter dem Link "Frankfurt" Fotos vom hier beschriebenen Konzert sehen, die der Künstler selbst von der Bühne runter geschossen hat. Das ist doch irgendwie nett. Und nun: Großes Finale! Rabummm!!!!!! Thank you very much. Dieses war mein überlanges Prog-Rock-Stück. Andreas Dosch


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